Ich saß die letzten Tage jeden Mittag mit meinen französischen Freunden in deren Haus am Tisch und beobachtete eine glückliche Patchworkfamilie, als wäre ich in ein Wahlplakat der Grünen gefallen. Ich habe die beiden ziemlich genau zu dem Zeitpunkt kennengelernt, zu dem sie sich auch kennenlernten und so diese Beziehung praktisch vom ersten Tag an miterlebt. Inzwischen haben sie eine Familie gegründet und leben mit ihren vier Kindern, wovon zwei gemeinsame sind, in einem wunderschönen Haus ein Bilderbuch-Familienleben. Für mich sind die zwei ein großartiger und seltener Fall dessen, was wohl 'wahre Liebe' sein muss. Alle Logistik, Wahrscheinlichkeit und Logik des Datings und der Partnerpsychologie sprachen von Anfang an völlig gegen diese Beziehung. Er lebte in einer Ehe mit einer anderen Frau, sie in einer anderen Stadt. Die beiden trennten nicht nur über 20 Jahre Altersunterschied, sondern auch enorme soziale Unterschiede, Ländergrenzen und 1000km Luftlinie. Trotzdem verliebten sie sich auf den ersten Blick und er folgte ihr, ohne Rücksicht auf die Folgen für ihn, seinen Beruf und seine Ehe zu nehmen, blind in ein anderes Land und ein anderes Leben. Heute sind sie eines der glücklichsten Paare, das ich kenne. Ihre Geschichte war zum großen Teil alles andere als 'hollywoodesk', aber immer wenn ich die beiden zusammen sehe, denke ich, dass es genau das ist, was ich und viele andere doch eigentlich suchen; eine Art 'Seelenpartner'. Aber kann man das Finden, eines solchen Partners durch Techniken oder Verhalten beeinflussen? Kann man die Wahrscheinlichkeit so jemanden kennenzulernen wirklich erhöhen?
In den letzten zwanzig Jahren hatte ich einen relativ stabilen Rhythmus, wenn es um Beziehungen ging. Meine Beziehungen dauerten alle etwas länger als zwei Jahre und dazwischen war ich meist ungefähr zwei Jahre Single. Ins Straucheln kam dieser Rhythmus erst nach meiner letzten Beziehung, nach der meine Single-Phase sich nun bald fünf Jahre hinzieht. Ich lernte die Hälfte meiner Freundinnen über meinen Social Circle kennen, die andere Hälfte in Clubs, Bars oder auf Konzerten. Vor etwas mehr als einem Jahr begann ich zu überlegen, ob es nicht eine Möglichkeit gäbe, diesen Rhythmus zu beeinflussen und die Chancen zu erhöhen, wieder ein Mädchen mit 'Girlfriend-Potenzial' kennenzulernen. Ich entdeckte Pick Up. Und die Idee schien nicht nur für schnellen Sex, sondern auch für die Suche nach einer Beziehung, auf ihre männlich-logische Art so einfach, wie mathematisch richtig zu sein. Wenn man in ungefähr gleichen Abständen, in denen man bisher ja ungefähr die gleiche Anzahl an Frauen kennengelernt hatte, ein Mädchen findet, in das man sich verliebt und mit dem man eine Beziehung führt, dann müsste sich genau diese Zeitspanne, zwischen den Beziehungen, doch verkürzen lassen, indem man einfach die Anzahl der Mädchen, die man kennenlernt erhöht. Das hatte für mich Hand und Fuß. Es war Mathematik, simple Wahrscheinlichkeitsrechnung.
In den ersten Tagen meiner 'Pick-Up-Recherche', faszinierten mich vor allem all die verpassten Chancen, die mir durch den Kopf gingen, während ich mir Daygame-Videos auf Youtube reinzog. Jeder von uns kennt das tolle Mädchen, das heute Mittag auf der Straße an einem vorbeiging, oder in der U-Bahn gegenübersaß. Jeder kennt das grummelige Gefühl, während sie aufsteht und an der nächsten Station aussteigt, oder man sich noch einmal umdreht, und sie hinter der nächsten Häuserecke verschwinden sieht. Wenn man nun tatsächlich all diese Mädchen anspräche, dann müsste doch schon nach kurzer Zeit genau das passieren, was sonst eben erst nach zwei Jahren passiert, wenn man durch Zufall auf der Party die neue Mitbewohnerin der kleinen Schwester einer Bekannten vorgestellt bekommt. Ich war geflashed!
Ich begann zu rechnen. Wie viele Frauen, die ich interessant fand, hatte ich denn bisher über meinen Social Circle, meine Arbeit oder in Clubs ungefähr pro Jahr kennengelernt? Wie viele in zwei Jahren? Dies musste doch dann die magische Zahl sein! Ginge ich also davon aus, ich hätte durchschnittlich ungefähr 20 tolle Frauen pro Jahr kennengelernt, dann müsste ich also doch nur vor die Tür gehen und die nächsten 40 Frauen, die mir wirklich gefallen, ansprechen und schon hätte ich mit hoher Wahrscheinlichkeit die Telefonnummer meiner nächsten Freundin in der Tasche. Nach 80 Frauen wäre ich praktisch nahezu mit Sicherheit verliebt und bald in einer neuen Beziehung! Quod erat demonstrandum!
Ich habe nun ein Jahr Pick Up hinter mir. Ich habe in dieser Zeit sicherlich so viele fremde Frauen angesprochen, wie sonst in vier oder mehr Jahren. Trotzdem war eigentlich nur ein Mädchen dabei, das mich, zumindest eine Zeit lang, wirklich fesseln konnte. Woran liegt dieser Fehler in der Dating-Mathematik? Ich lesen in Foren von Männern, die täglich zehn oder mehr Frauen auf der Straße ansprechen, die fast jeden Tag ein Date 'absolvieren', die sich keine Chance mehr, ob in der U-Bahn oder der Metzgerei, entgehen lassen. Trotzdem liest man erstaunlich lange von diesen Jungs. Sie freuen sich über ihre ersten Telefonnummern und später ihren ersten 'Fuck-Close'. Doch sehr oft beginnen sie nach einiger Zeit zu jammern, oder zumindest klingt etwas seltsam melancholisches in ihren Tagebüchern und Reports durch, wenn sich die erste Euphorie gelegt hat. Denn nicht alles lässt sich so direkt und einfach erhöhen, wie die Zahl der Telefonnummern in ihren Handys. Und einige bemerken, dass sie eigentlich etwas anderes gesucht hatten. Es ging nie um 70 Telefonnummern. Es ging nie um die verwaschene Erinnerung an das Rumgemache im Club letzte Nacht. Es ging immer um das eine Mädchen. Warum lässt sie denn so lange auf sich warten? Warum lässt sich das anscheinend eben nicht so leicht erzwingen, oder beschleunigen wie die beiden anderen Resultate? Wo liegt der Denkfehler?
Sargen auf dem Alexanderplatz - Die Evolution frisst ihre Kinder und spuckt sie wieder aus
Lustigerweise wird gerade im Daygame, wo einige Jungs wirkliche Approach-Feldzüge über Stunden hinweg führen, diese Problematik besonders deutlich. Hier gibt es wesentlich seltener ein spielerisches Annähern und lange Gespräche, geschweige denn ein Kennenlernen über Freunde oder durch den vermeintlichen 'Zufall'; hier wird meist schnell, direkt und zahlreich genumberclosed. Trotzdem bleiben gerade hier die Ergebnisse recht überschaubar und selten geht jemand nach 80 Approaches mit einer neuen Freundin nachhause. Häufig liest man aber gerade im Daygame von Training, von Übung, davon 'gut darin' zu werden, Frauen anzusprechen. Steigert also die häufige Wiederholung dieses Vorgangs nicht nur einfach die Wahrscheinlichkeit jemand wirklich tollen kennenzulernen, in dem sie schlichtweg die Anzahl der Menschen erhöht die wir ansprechen, sondern bringt uns die häufige Wiederholung eine Art 'Trainingserfolg'? Werden wir sicherer, 'besser' im Kennenlernen und im Ansprechen? Und wenn ja, ist das ein Vorteil? Erhöht das wirklich die Erfolgschancen im Einzellfall, oder verringert es lediglich unser unangenehmes Gefühl dabei?
Ich war nie ein großer Freund der Evolutionspsychologie und den daraus hergeleiteten Flirtstrategien à la Mystery und Co. Aber wenn wir deren Logik betrachten, so suchen Frauen vor dem Sex vor allem die innere Sicherheit, dass der Mann wirklich an ihnen interessiert ist, bei ihnen bleibt und sie somit nicht Gefahr laufen, im bösen, dunklen Dschungel mit dem Kind ihres Traummannes alleine gelassen zu werden und tragisch zu Grunde zu gehen. Damit erklärt dieser streng darwinistische Teil des Aufreißer-Zirkus all die gemeinen Shittests, Spielchen und LMRs, die ihnen von Frauen auf ihrem Weg zur nächsten Bettkantenkerbe in die Speichen geworfen werden. Es geht der holden Weiblichkeit also darum, unterbewusst zu testen, wie ernst es den Jungen Werther wirklich erwischt hat; wie verwirrt er ist, wenn er vor ihr steht. „You`ve hijacked my brain“ nennt besagter Mystery die Botschaft, die der Angebeteten im Idealfall vermittelt werden soll.
Nun liest man bei Daygame-Coaches wie Sasha Daygame oder Tom Torero immer wieder vom, für diese These sehr interessanten Effekt, dass gerade völlige Neulinge, wenn sie ihre ersten zittrigen, unsicheren Approaches machen, meist erstmal eine überraschend hohe Trefferquote erzielen und fleissig Nummern kassieren. Woher kommt das? Widerspricht das nicht der ganzen Idee von 'Trainingssets um warm zu werden', vom regelmäßigen sargen gehen und vom gut und besser und noch besser werden? Müssten diese Noobs, diese 'AFCs' und 'rAFCs' nicht eigentlich durch ihre Unsicherheit erstmal total abkacken bei den Mädels?
Spannend wird dieser Effekt, wenn man sich noch einmal den vorherigen Gedanken aus der Evolutionspsychologie ansieht und dazu ein wenig in Pick-Up-Foren blättert. Ziemlich zahlreich finden sich hier allzu fleissige Daygame-Soldaten, die nach einer passenden Antwort suchen, auf die immer häufiger auftretende Frage ihrer Targets, ob sie so etwas denn häufiger machen würden. Denn wie einigen aufmerksamen, jungen Pick-Up-Helden bereits aufgefallen ist, sind Mädchen (entgegen dem, was manche wilden Manipulations-Strategien suggerieren) leider nicht dumm und merken durchaus, ob jemand seltsam sicher und entspannt auftritt, während er etwas so unangenehmes und 'unnormales' tut, wie eine fremde Frau auf offener Straße anzusprechen um ihr zu gestehen, dass er einfach nicht anders konnte und ihr sagen musste, wie wunderschön und interessant sie aussieht. Toll für ihn, dass er das jetzt so entspannt kann. Doch nach 150 Approaches, hat er leider etwas verloren, das blutige Anfänger seiner Sportart eben noch haben: Nervosität.
Genau diese Nervosität vermittelt dem jungen Mädchen, das gerade noch überlegt, ob der fremde Typ sie hier nur bumsen oder gar verarschen will, oder ob er das wirklich ernst meint und er sie wirklich so bezaubernd fand, dass er sie wie ferngesteuert ansprechen musste, eine Sicherheit. Die Sicherheit, dass er das offensichtlich wirklich zum ersten Mal tut und die Sicherheit, dass er anscheinend selbst ziemlich von der Situation überfordert ist. Die Sicherheit, dass er sie nicht nur verarschen oder bumsen will, dass es ihm ernst ist, und dass er das nicht schon den ganzen Nachmittag über macht und sein freakiger Coach in zehn Metern Entfernung an einer Hauswand lehnt und sich Notizen zu seiner Körpersprache macht. Die Sicherheit also, dass er keiner von diesen 'Pick-Up-Artists' aus dem Internet ist, von denen sie gelesen hat, sondern der nette, junge Kerl, auf den sie vielleicht wirklich schon lange gewartet hatte. Doch statt dessen wirkt er gar nicht nervös, sondern entspannt, locker und so ausgeprägt unneedy, als würde er fast schon nach der Nächsten Ausschau halten. Das ist es, was sie zurecht misstrauisch macht.
Die Evolutionspsychologie hat erfolgreich funktioniert, das Mädchen davor bewahrt, ein Field-Report zu werden, und genau an dieser Stelle hat sich der fleissige kleine Artist mit all seinen 'Übungssets' und Trainingsstunden schön selbst ins Knie geballert. Oder wie er wahrscheinlich inzwischen sagen würde 'gecockblockt'.
The Answer Is You
Ein anderes Wurmloch in meiner eisern
logischen Datingmatrix war, dass sie natürlich einen uralten, staubigen Effekt der Psychologie ausblendet. Der Suchende kann nur
finden, wenn er mit sich selbst im Reinen ist. Es gibt eine Million
Gründe, warum wir single sind und die wenigsten sind extern. Die
meisten Gründe liegen in uns selbst; dein größter Feind bist immer
du.
Nach einer längeren Beziehung und
einer wahrscheinlich schmerzhaften Trennung brauchen wir Zeit, um uns
wieder zu regenerieren, Frieden mit uns und unserem Leben zu machen.
Ein deutlicher Hinweis darauf, dass etwas wirklich im Argen liegt,
ist wenn Menschen ständig von einer Beziehung in die nächste
wechseln, oder manisch von einem Bett ins nächste springen. Diese
Menschen sind offenbar nicht in der Lage mit sich selbst allein zu
sein und benötigen aus irgendeinem Grund immer das Feedback und die
Bestätigung durch einen anderen Menschen oder eine Beziehung. Es ist
also richtig und wichtig, dass wir nach einer Beziehung meist nicht
in der Lage sind, uns auf eine neue Beziehung einzulassen. Selbst
wenn wir uns eine neue Partnerschaft wünschen, benötigen wir einige
Zeit, um wieder dafür bereit zu sein. Dies strahlen wir, ob wir
wollen oder nicht, natürlich aus. Häufig sind aber gerade diese
Fälle auch diejenigen, die am verbissensten und verzweifeltsten
suchen. Und auch diese Tatsache trägt natürlich nicht zum Erfolg
der Suche, sondern nur zum Gegenteil bei.
Ein anderer Punkt, der uns aus uns
selbst heraus ausbremsen kann und häufig durch schwierige Trennungen
oder Beziehungen entsteht, sind Angst, Zorn oder Misstrauen gegenüber
dem anderen Geschlecht. Niemand geht ohne Narben aus Beziehungen und
über die Jahre werden diese natürlich mehr, aber wenn wir Gefühle
wie diese aus alten Beziehungen mitnehmen und es nicht schaffen, sie
abzuschütteln, dann sabotieren diese, ob wir wollen oder nicht,
unsere nächsten Beziehungen oder machen es schlichtweg unmöglich,
jemanden kennenzulernen oder eine Beziehung einzugehen. Andersherum
strahlen wir diese auch aus und unser Gegenüber wird, bewusst oder
unbewusst, ein Problem haben, sich auf uns oder eine Beziehung mit
uns einzulassen. Es ist also immens wichtig, sich nach einer Trennung
genug Zeit zu geben, um nicht mehr wütend zu sein, sich selbst und
seinem Ex-Partner zu vergeben und die Angst vor Verletzungen
abzulegen.
Noch schlimmere Sabotage an sich
selbst betreiben Zeitgenossen, die durch ihre Partnerschaft, die
Trennung, oder die Partnersuche danach, Frustration, Zorn oder gar
Hass gegenüber dem anderen Geschlecht aufgebaut haben. In der Pick
Up Community laufen sie uns praktisch täglich über den Weg und wir
alle kennen den ekligen Unterton ihrer Kommentare, wenn es um Frauen
geht. Dass eine Beziehung mit solch einem frustgeladenen Frauenhasser
weder lange funktionieren kann, noch irgendeiner Frau zu wünschen
ist, versteht sich von selbst. Was diese Art von Jungs aber schon
lange nicht mehr bereit sind zu verstehen, ist dass sie nicht nur
Frauen für ihr, mit einer völlig anderen Frau erlebtes, Leid und
ihre Frustration büßen lassen, sondern vor allem sich selbst damit
strafen. Früher oder später haben sie sich in ihrer Spirale aus
Hass und daraus resultierendem Scheitern so weit nach unten gebombt,
dass ihnen nichts weiter mehr bleibt, als sich mit anderen wütenden
Kerlen, mit genauso roten Gesichtern, in eine Ecke, oder wahlweise
eine Facebookgruppe zurückzuziehen und gemeinsam beleidigt und
gekränkt vor sich hin zu hassen, oder sich ganz doll selbst leid zu
tun, weil die Welt und die Frauen so ungerecht zu ihnen sind. Oft
entwickeln sie ein wüstes, ritterliches Selbstbild einer
rachesuchenden, maskulinen Speerspitze der letzten 'wahren Männer',
in Wahrheit sind sie aber das Traurigste, was das männliche
Geschlecht, in der Auseinandersetzung mit dem weiblichen,
hervorgebracht hat.
Im Pick Up würde es wohl alles unter
'Inner Game' laufen: Selbstbewusstsein, Selbstliebe und die
Einstellung, eine tolle Frau und eine Beziehung mit ihr nicht nur zu
verdienen, sondern auch finden und ebenbürtig führen zu können.
Diese Einstellung fehlt aber vielen von uns und es ist nicht leicht,
sich das einzugestehen und noch schwieriger, es zu ändern. Solche
Probleme lassen sich weder in einem netten Wochenend-Workshop noch in
einem kurzen Coaching beseitigen. Um daran zu arbeiten brauchen wir
oft Jahre, viel Energie und meist einen guten Therapeuten.
Viel wichtiger als alles Sargen,
Training, die tollen Opener, Körpersprache, Zaubertricks und
NLP-Fingerspielchen ist es offen, angstfrei und ohne Feindbild mit
Frauen umgehen zu können. Wer vollgestopft mit der Angst vor
Shittests, reichlich Erfolgsdruck und Gruppenzwang, billigen Routinen
und frustgetränkten Psycho-Macht-Spielchen auf Frauen zugeht, wird
über die Telefonnummer oder die erste betrunkene Nacht nie
hinwegkommen. Nur wenn wir uns selbst lieben, kann sich jemand
anderes in uns verlieben. Nur wenn wir uns selbst die Beziehung mit
einer tollen Frau zugestehen, der ehrlichen Überzeugung sind, dass
wir sie verdienen, werden wir in der Lage und wirklich bereit sein,
diese auch zu finden.
Pick Up hat viel mit vermeintlicher
Kontrolle zu tun; Kontrolle über sich selbst, über seine Gefühle und vor allem Kontrolle über andere und deren Gefühle. Der sehr
unreife Gedanke, mit der richtigen Technik alles im Leben
kontrollieren zu können, die gottgleiche Machtphantasie mancher Pick-Up-Helden, ignoriert die alte Weisheit, dass das meiste im Universum
durch Zufall geschieht. Für manche fühlt es sich freundlicher an,
den guten Zufall Gott, Mohammed, Game oder Gerechtigkeit und den
schlechten Zufall Satan, Pech oder Schicksal zu nennen; ich nenne den
Zufall lieber Zufall.
Zufällig doch noch an diesem Abend
weggegangen zu sein, und dann auch noch in diese Bar, die man
eigentlich nicht mochte, um dort die Frau zu finden, mit der man dann
sein halbes Leben verbringt und drei rotzfreche Versager in die Welt
setzt, birgt zugegebenermaßen ein enormes Potenzial an
Romantik. Da Romantik keine Pick-Up-Abkürzung hat, werden einige
Profi-Casanovas bei dem Wort entweder Fragezeichen in den Augen
haben, oder angeekelt zusammenzucken. Ich glaube Romantik spielt eine
große Rolle und wird im Pick Up fast genauso konsequent ignoriert
wie Humor und Charme. Statt sich über Romantik Gedanken zu machen,
kümmern sich die meisten lieber weiter bei McFIT um ihre
Oberschenkelmuskulatur. Das ist anscheinend, was Frauen angeht,
zielführender und ausserdem weit weniger schwul. Das gemeine an
Romantik in Verbindung mit Zufall ist nämlich, dass man es im
Gegensatz zur Oberschenkelmuskulatur nicht trainieren kann, sondern
erkennen muss. Man muss ein Gefühl dafür haben, ähnlich wie bei
Humor und Charme. Daher sind diese Sachen beim Verführen von Frauen
ja offensichtlich auch so total unwichtig.
Der Zufall ist bekanntlich eine dumme
Sau und kommt daher meistens, wenn wir ihn nicht erwarten und auch
gar nicht brauchen. Dass uns die Frau unseres Lebens gegenübersteht,
während wir eigentlich schon mit einer anderen verheiratet sind und
ausserdem auf dem Weg zur Arbeit, muss man erstmal erkennen können
und wollen. Wer es dann auch noch schafft, völlig needy und ohne zu
Zögern alles zu riskieren, um diese Frau zu erobern, der hat die
Chance, die Art von Beziehung zu führen, die leider nur wenige in
ihrem Leben ein Mal erleben dürfen.
Der Zufall lässt sich nicht
beeinflussen. Aber er lässt sich erkennen oder nicht und nutzen oder
nicht, und genau das ist die große Kunst. Das Mädchen deiner Träume
lässt sich nicht erzwingen, indem du den kompletten scheiß
Alexanderplatz mit deinem neuen Opener nervst. Aber wenn es neben dir
in der U-Bahn sitzt, liegt es an dir, den Zufall zu erkennen und sie
anzusprechen. Dann wirst du wahrscheinlich etwas zittern, total
peinlich schwitzen und völlig uncool wirken. Du wirst dein Herz laut
in deinem Kopf schlagen hören, bevor du einen Ton rausbekommst.
Deine Stimme wird seltsam wackelig klingen und du wirst den größten
Scheiß der Welt erzählen, weil du so aufgeregt bist. Und wenn sie
wirklich cool ist, wird sie das erkennen und sie wird es romantisch
finden. Weil es romantisch ist. Genau diese Romantik lässt sich
übrigens ziemlich leicht töten. Und zwar genau dann, wenn dieses
Mädchen die Nummer 32 ist. Wenn du vor ihr dem Mädchen Nummer 31,
fünf Meter weiter, den gleichen Dreck erzählt hattest, und du
direkt nach ihr die Nummer 33 ansprechen wirst, bevor du kurz bei
McDonalds Sarging-Pause machst. Dann wird in eurem Gespräch genau
das fehlen, was du leider nicht mit deinem Coach üben konntest. Und
ausserdem wirst du irgendwann mal deinen Coach anrufen müssen, damit
er euren Kindern erzählt, wie du an dem Tag Mutti als 'Nummer 32'
angetextet hattest.
Der Zufall hat selten einen sicheren
Rhythmus, und so wie du eben nicht jedes Jahr einen wirklichen Freund
findest, so findest du auch nicht jedes Jahr eine Freundin. Das ist
nicht schlimm, sondern normal. Wäre es wirklich so leicht, seine
Traumfrau zu finden, würde nicht ein kleines Grüppchen von Freaks
den Alexanderplatz leersargen, dann würde nicht eine kleine
Internet-Community an neuen Openern basteln, sondern jeder
Single-Mann der Welt würde im nächsten Kaufhaus nach einer
weiblichen Meinung zur nahegelegensten Postfiliale fragen.
Ich hatte also vor einem Jahr einiges
vergessen bei meiner kleinen Rechenaufgabe zum Thema Dating und Pick
Up. Ich hatte unter anderem vergessen, dass vielleicht gar nicht die
Anzahl der Frauen entscheidend ist, die man kennenlernt, und auch
nicht das dumme Gelaber, das man sich überlegt, vor oder während
man mit ihnen spricht, sondern die Zeit, die man vorher mit sich
selbst verbracht hat, oder die Einstellung, die man ihnen gegenüber
hat, oder die Einstellung die man sich selbst gegenüber hat, oder
das komische Grummeln, wenn sich das Mädchen in der U-Bahn plötzlich
neben dich setzt, oder einfach, dass du den Zug davor ganz knapp
verpasst hattest. Und wirklich wichtig ist am Ende eben nur, einzig
und allein, dass du kurz allen Mut zusammen nimmst, und anfängst mit
ihr zu reden.
Zumindest wenn es um die Zeit mit mir
alleine geht, bin ich schon lange überfällig. Mein Gequatsche ist
angeblich halbwegs zu ertragen, meine Einstellung
gewöhnungsbedürftig, aber nicht boshaft, mein Magen grummelt
ständig und ich bemühe mich so viele U-Bahnen wie möglich zu
verpassen. Ich wäre dann soweit. Wenn also das nächste Mädchen in
meinem Leben nicht der verdammte Oberhammer ist, bekommt der liebe
Zufall von mir eventuell wirklich mal ein paar aufs Maul.
Elia