Ich saß im Bett vor meinem neu erworbenen Fernseher und lies mich mit Schwachsinn berieseln. Ja, ich hatte mir letzte Woche so einen Zeitfresser zugelegt, ich geb's zu! Was will man machen, der Winter ist für Singles nunmal NICHT die kuschligste Zeit des Jahres, sondern eher die langweiligste. Und als stolzer Bewohner einer Kohleofen-Wohnung, kann ich euch verraten, dass man froh ist, wenn die Bude und das Bett halbwegs warm sind, und man sich nicht mehr in die Kälte und auf den Weg zur Videothek begeben muss. Während also vor mir ein verzweifelter D-Promi mit Schlamm und Insekten traktiert wurde, machte auf dem IKEA-Tisch neben mir mein Handy durch rhythmisches Vibrieren auf sich aufmerksam. Eine SMS. Es war J, die einzige Affäre, die ich in der Zeit seit meiner letzten Beziehung gehabt hatte, und damit auch die einzige Frau mit der ich in den letzten Jahren Sex hatte. Meine letzte Information zu ihr war, dass sie sich in einer On-Off-Trennung von und mit ihrem lebensunfähigen Boyfriend befand.
22:44
J: Was treibste?
Ich begutachtete kurz meine aktuelle
Situation. Ich saß unrasiert, ungewaschen und stark verkatert in
meinem ältesten Pyjama im Bett. Vor mir eine Bande RTL-Clowns mit
Tieren im Gesicht und neben mir die sterblichen Überreste eines
gequälten Industriehuhns in einer Styropor-Box. Ich überlegte, ob
sich mein Zustand und meine Tätigkeit vielleicht wenigstens lyrisch
ein wenig aufpimpen ließen. Da ich mich aber zu ehrlich und viel zu
wenig kreativ fühlte, beschloss ich, die Informationen einfach auf
ein Minimum zu beschränken, um einen halbwegs zivilisierten Eindruck
zu erwecken.
22:45
Elia: Vor der Glotze hängen...
Sonntags-Mood. Du so?
Einen Eimer Mehlwürmer und zwei Eimer
Kakerlaken später, vibrierte mein Handy erneut.
22:47
J: Weinchen aufgemacht. Ebenfalls
Sonntags-Stimmung, da ich die letzten Tage nur arbeiten war. Viel
gelesen. Nun Lust auf nen Film mit Gesellschaft :)
Die Verwendung von Smileys in
Textnachrichten, irritiert mich bei Frauen, mit denen ich bereits Sex
hatte, immer ein wenig. Diese Doppelpunkte, Strichpunkte und
geschlossenen Klammern erhalten in meinem Kopf dann häufig einen
komisch sexuellen Unterton, bei dem ich mir meist nicht sicher bin,
ob ich ihn mir nur einbilde, oder ob er gewollt ist. Ich war noch am
Überlegen, wie ich darauf antworten solle, als schon die nächste
Nachricht von ihr kam.
22:48
J: Warum wohnen wir so weit
voneinander entfernt? :( Berlin mein Kind du bist zu groß
Da ich noch an der geschlossenen
Klammer tüftelte, brachte mich ihre offene Klammer auch nicht viel
weiter. Es klang zumindest so, als wäre ich nicht das einzige Lonely
Heart an diesem arktischen Sonntag Abend. Ich berechnete kurz, wie
lange die U-Bahn-Fahrt von ihr zu mir dauern würde, und ob ich in
der Lage wäre, mein Schlafzimmer und meinen Köper in dieser Zeit in
einen anregenderen Aggregatzustand zu versetzen.
22:50
Elia: Hm... Magste rumkommen, DVD
schauen? :)
Bäm! So. Da gab's jetzt mal ne offene
Klammer zurück. Von wegen der sexuellen Spannung und so... Beim
nächsten mal würde mein Smiley dann sicher auch noch schelmisch
zwinkern. Ja, ja... Was sie kann, kann ich schon lange... Inzwischen
stand ich in meinem Zimmer. Es könnte also sein, dass es an diesem
Wochenende unerwartet doch noch Sex gibt! Und zwar als Nachtisch,
nach diesem seifigen halben Hähnchen. „Zähneputzen“ setzte ich
schon mal auf die innere Checkliste, als mein Handy sich wieder
meldete.
22:53
J: Super gerne!! Aber so kalt und so
weit weg... Brrrr! Was für ne Station war es nochmal? Und du zu mir
:) ???
Was wird denn das jetzt? Eine offene
Klammer und drei Fragezeichen? Ich schob die Vorhänge zur Seite. Es
schneite und der Wind pfiff draußen deutlich hörbar. Schon beim
Gedanken wurde mir kalt. Dreckswetter! Aber Wein und Js warmes Bett
klangen natürlich zugegebenermaßen nicht schlecht. Trotzdem fand
ich den sich anbahnenden kleinen Machtkampf zu durchschaubar. Ich
hatte ja schon ein Angebot gemacht, und schließlich bin ich ja auch
kein Pizzaservice, den man Sonntag Abend mal schnell bestellt.
Außerdem war ich die letzten drei Male, als ihr Beziehungsschalter
mal wieder auf OFF ging, schon zu ihr gefahren. Ich mischte mir also
aus Mehl, Dschungel-Schlamm, Faulheit und Stolz eine leckere
Entscheidung zusammen, goss diese in eine Backform, setzte zur
Dekoration eine offene Klammer oben darauf, und anschließend alles
auf eine Karte.
22:56
Elia: (XXX)straße. Du bist dran! :)
kommste?
Ich grübelte trotzdem weiter und war
hin- und hergerissen. Hätte ich vielleicht doch einfach hinfahren
sollen? Puh... Aber das ist auch ganz schon viel Action für ein
bisschen Sex... Und ausserdem ist es hier so gemütlich...Und dann
müsste ich ja auch sowieso erst noch duschen... Undundund... Sie
ließ sich ebenfalls einige Minuten Bedenk- und Backzeit. Auch ihr
Kuchen war zum größten Teil aus Faulheit und Mehl.
23:04
J: Ja da geb ich dir recht ;) aber
habe es mir schon zu gemütlich gemacht und 2 Gläser Wein intus...
Das müssen wir wohl vertagen. Schade. Ein Beamer wäre äußerst
praktisch :)
Ich war inzwischen schon wieder in mein
Bett zurückgekehrt. Eigentlich kannte ich diese Art von Ereignis ja
auch bereits. Zwei Menschen, die durchaus einiges an Sympathie und
die gleiche Veranlagung zur Faulheit teilen, pieksen sich nach einem
eher tristen Wochenende kurz an, um zu testen, ob es ohne allzu
großen Aufwand möglich wäre, ein wenig körperliche Zuneigung zu
schnorren. Schließlich einigen sich beide darauf, dass zwar
ausreichend Sympathie vorhanden wäre, aber die altbekannte Faulheit,
die Natur und die Berliner Verkehrsbetriebe mal wieder im Weg stehen,
und vertagen es auf den nächsten Versuch. Dann vielleicht im
Frühling, wenn es draussen wärmer ist...
Ich antwortete nicht mehr. Nicht, weil
ich beleidigt oder sauer gewesen wäre, sondern weil mein
Prepaid-Guthaben auf unter 20 Cent gerutscht war und ich das Gefühl
hatte, wir seien uns sowieso einig geworden. Sie meldete sich eine
Minute später nochmal.
23:05
J: Würde mich freuen, dich bald mal
wiederzusehen.
Vielleicht hatte sie auch ein
schlechtes Gewissen. Musste sie aber gar nicht. Ich konnte sie gut
verstehen. Es war ja auch scheißkalt. Und so ein Bekannter im Bett
hilft vielleicht gegen die Kälte, aber eben nicht gegen die
Einsamkeit. „Gute Nacht“ dachte ich mir, legte das Handy weg,
machte den Fernseher aus und ging Zähneputzen.
Als ich mich nur eine halbe Stunde
später vor einer Pornoseite im Internet wiederfand, musste ich dann
allerdings doch mal kurz lachen.
Also Gute Nacht ihr Wichser.
Elia