Ich sitze mal wieder fast zwei Stunden zu früh in Berlin Tegel
und trinke ein überteuertes Bier. Klassiker eigentlich. Beim Fliegen
ist es bei mir so, dass ich entweder meinen Flug verpasse, oder
völlig abgehetzt, einige Stunden zu früh, vor dem Gate sitze und
mich darüber ärgere, warum zur Hölle ich eigentlich so sinnlos
früh los bin. Die Antwort kenne ich allerdings schon lange. Ich bin
ein mittelmäßig neurotischer Kontrollfreak. Ich gehe manchmal
morgens mehrmals zu meiner Wohnungstür zurück, um zu checken, ob
ich auch wirklich abgeschlossen habe. Nicht, dass ich es schon jemals
vergessen hätte. Genauso chronisch malträtiere ich von innen mein
Türschloss drei bis vier Mal, bevor ich abends ins Bett gehe. Es
muss abgeschlossen sein. Ich habe den Zwang, gegen meine
Kühlschranktür drücken zu müssen, bevor ich die Wohnung verlasse.
Ich rede mir ein, dass ich es tue um Wohnungsbrände zu vermeiden
(lange Geschichte!), aber die Wahrheit ist, ich tue es, weil es ein
Tick ist; ein Kontrollzwang. Ich hasse Risiken wie die Pest. Das
Risiko, sich auf einen neuen Menschen einzulassen, das Risiko, mit
einer fremden Frau nachhause zu gehen, und das Risiko sich normal
pünktlich auf den Weg zum Flughafen zu begeben. Alles purer Horror
für mich. Letzteres hat aber zumindest ein Gutes. Ich muss jetzt
irgendwie Zeit überbrücken und komme so endlich mal wieder dazu,
ein wenig zu schreiben.
Das mit meiner fehlenden Risikobereitschaft war nicht immer so,
bilde ich mir ein. Es scheint im Laufe meines Lebens langsam
zugenommen zu haben. Früher war ich anders. Da bin ich mir
jedenfalls relativ sicher. Als ich vor 15 Jahren nach Berlin kam, zog
ich in eine Wohngemeinschaft mit einer meiner Ex-Freundinnen und
ihrem aktuellen Boyfriend. Damals muss ich so ängstlich wie ein
römischer Gladiator gewesen sein. Ich meine, HALLO!! Wie todesmutig
kann ein Mensch denn noch sein? Mit einem Pärchen zusammenzuziehen
ist ja schon aus der Abteilung 'Extremsport für Lebensmüde', aber
dann auch noch mit einer Exfreundin? Dagegen ist Bungee-Jumping ja
eine Entspannungsübung, oder was? …Nun ja... Gut überlegt war es
zumindest nicht, soviel kann ich verraten. Aber es war auch irgendwie
lustig. Mit besagter Frau habe ich jedenfalls, im Gegensatz zu fast
allen anderen meiner Verflossenen, noch Kontakt; und sogar ziemlich
guten. So guten, dass sie mich vor ein paar Wochen zu einer kleinen
Party zu sich und ihrem neuen Lebensabschnittsgefährten einlud.
Eigentlich hasse ich Partys von Menschen, die mit ihren Partnern
zusammenwohnen. Man kommt sich als Single immer vor, als säße man
mit den anderen Singles am Kindertisch, während die Erwachsenen sich
über Balkonpflanzen und Küchenmöbel unterhalten; und darüber dass
ja jetzt die total richtige Zeit wäre, in Berlin eine Wohnung zu
kaufen, von wegen Altersvorsorge und Inflation und so, und dass man
ja auch immer noch an ein extra Zimmer für den Nachwuchs denken
sollte und so weiter. Man sitzt dann meist da, hört sich den ganzen
Dreck an, erinnert sich daran, wie man mit ihr oder mit ihm früher
tagelang schlechtes Dope in der Acrylbong geraucht, WORMS-III auf der
Playstation gezockt und sich dabei abwechselnd Nutella- und
Käse-Toast in den Mund gestopft hat, bis man Bauchschmerzen hatte
oder einer eingeschlafen war. Dann fragt man sich, was passiert ist,
was sie, er oder man selbst wohl falsch gemacht hat, wie es so weit
hatte kommen können. Man hört langsam auf zuzuhören, was beim
Immobilienkauf zu beachten ist. Man nickt nur noch interessiert,
trinkt immer schneller und hofft, dass der Alkohol endlich anfängt
zu wirken.
Da ich die letzten drei Einladungen der beiden Turteltäubchen
allerdings bereits ausgeschlagen hatte, inklusive der Einweihungs-
und einer Sylvester-Feier, musste ich auf diese Party wohl oder übel
gehen. Meine stille Hoffnung bestand darin, dass meine ehemalige
Mitbewohnerin zumindest ihren Drogenkonsum in ihr Erwachsenendasein
hatte retten können, und daher wahrscheinlich genug
Fluchtmöglichkeiten in diversen Aggregatzuständen vorhanden sein
würden. Drogenliebhaber schaffen es ab einem bestimmten Alter
nämlich gelegentlich ihren Konsum auf eine seltsam spießbürgerliche
Art in ihren Kinderwunsch-Einbauküchen-Akademiker-Alltag zu
übertragen, und so lag, als ich auf der Party ankam, auch
tatsächlich eine bunte Auswahl an Pülverchen und Pillen,
angerichtet wie frisches Obst auf kleinen Tellern und Schalen, in der
Mitte des riesigen Wohnzimmertisches. Eine bunte Truppe aus Mitt- und
End-Dreißigern saß darum herum, nippten an ihren Bierchen,
plauderten angeregt und ließen sich von ausgewählter Minimal- und
House-Musik aus dem Nebenzimmer beschallen. Ich wurde herzlich
empfangen, mit einem Bier bestückt, und eingeladen, mich doch an
allem Anderen einfach zu bedienen. Ich lehnte, bis auf das Bier,
alles dankend ab. Aus irgendeinem Grund rede ich mir schon mein
ganzes Leben ein, keine besondere Affinität zu Drogen zu haben, und
werde doch in regelmäßigen Abständen eines Besseren belehrt. An
diesem Abend sollte ein weiterer Strich auf diese Liste kommen.
Ich setzte mich zu zwei Mädels, mit denen ich auch sofort ins
Gespräch kam. Es war nett, aber weder war eine der beiden attraktiv
genug, noch war das Thema spannend genug, um mich auf längere Sicht
an meinem Platz zu halten. Ich begab mich also nach einer guten
halben Stunde auf einen Rundgang durch die Wohnung. In der Küche
angekommen, schnappte ich mir noch ein Bierchen und gesellte mich zu
einer Gruppe whisky- und rotwein-schlürfender Mediendesigner, die
wie hungrige kleine Kinder um den Herd herum standen und
Tierbetäubungsmittel aufkochten. Als ich mich gerade mit dem
Hausherren über seine neueste GLENLIVET-Einzelfass-Abfüllung
unterhielt, wurden wir von einer jungen Kindergärtnerin mit glasigen
Augen und ohne Frisur unterbrochen. „Sag mal, hast du für das
Ketamin nix besseres als den Teller?“ platzte sie in unsere
Fachsimpelei. „Doch klar. Ich hätte so ne Duftlampe, aber da war
schon Öl drin“ antwortete mein neuer Whisky-Freund. „Ach das is
doch voll witzig, ey!“ quietschte die junge Pädagogin entzückt
„Is bestimmt total lecker! Vanille-Keta! Hihihi.... Vanille-Keta,
ey...!“. Ich spürte ihren knochigen, kleinen Ellenbogen in meiner
Seite und stellte mir vor, wie die kichernde Frau mit den
früchteteefarbenen Strick-Klamotten Montag wieder Kinderlieder im
Sitzkreis singen würde. Wahrscheinlich englische oder französische,
auf speziellen Wunsch der Eltern. Sicher alles so hochgezüchtete,
mehrsprachige Prenzlauerberg-Kinder; mit japanischen Geigenlehrern,
Kinder-Joga-Gruppen, niedlichen Retro-Latzhosen und so schönen
nostalgischen Namen wie bei der Hitler-Jugend. Aber jetzt kratzte sie
erstmal angetrocknetes Pulver vom sonnengelben Ikea-Teller und
strahlte, als wäre schon wieder Weihnachten oder der erste Tag der
Fusion.
Das Küchen-Grüppchen folgte dem heißen Teller mit den frischen
Drogen durch die Wohnung, wie die drei Könige dem Morgenstern und
ich trottete als letzter hinterher, um nicht allein in der Küche
zurückzubleiben. Im Wohnzimmer begann die Hälfte der Anwesenden
sofort mit dem Ketamin-Abendmahl, während ich beschloss, zum
hundertsten Mal auszutesten, ob es wirklich, wirklich, wirklich immer
noch eine dumme Idee ist, Whisky in Fassstärke und Bier parallel zu
trinken. Es war immer noch eine dumme Idee. Der Alkohol tat also das,
was er nunmal am besten kann, und so war mein Geist bald willig und
mein Fleisch schwach, und als das nächste mal die kleine Platte aus
irgendeinem geschnittenen Edelstein mit dem silbernen Röhrchen
vorbeikam, fragte ich nur „Was ist das?“.
Die Substanz wurde mir weder als Crystal noch als Ketamin
vorgestellt und fiel damit für mein Suff-Hirn inzwischen unter die
Rubrik 'Zum Verzehr geeignet'. Der Vorteil an Speed zu Alkohol ist,
dass man wieder ziemlich nüchtern wird und noch mehr trinken kann.
Der Nachteil an Speed zu Alkohol ist, zumindest nach meinen
bisherigen Erfahrungen, dass ich meist absurd gierig nach beidem
werde und dazu neige, es in hohen Dosen gegeneinander 'anwirken' zu
lassen um herauszufinden, wer gewinnen wird. So gab ich mich also
nicht mit einmal Abtauchen zufrieden, sondern fuhr auf dem lustigen
Bergkristall eine gute Runde Slalom. Danach besorgte ich mir
natürlich mehr Bier, setzte mich zu einer anderen Gruppe an den
Tisch und begann das Buffet durchzutesten. Zu meinem neuen Bier
servierte man mir ein Tortenstück Ecstasy. Zum nächsten wieder
Speed und zum nächsten wieder Ecstasy. Die Zeit begann gefährlich
zu rasen. Als ich kurz auf die Uhr sah, war es bereits Fünf. Vor mir
saß ein Typ, der mir seit gefühlten Stunden von dem Buch 'Die Kunst
des klaren Denkens' vorschwärmte und mir dazu, als ich wieder
aufsah, euphorisch eine hellblaue Pille vor die Nase hielt. „Ja,
danke“ sagte ich, nahm ihm die Pille ab und segelte damit Richtung
Badezimmer. Vor dem Spiegel rief ich mich zur Ordnung, befahl mir,
jetzt möglichst schnell die Wohnung zu verlassen, um noch etwas von
der Nacht zu haben, vielleicht eine Frau kennenzulernen, zumindest
aber diesem Zeitstrudel zu entkommen. Ich spürte, wie Logik und
Vernunft in mein Hirn zurückkehrten. Sie sahen sich dort um, und
dann gegenseitig lange und erschrocken an. Wie ferngesteuert wusch
ich mir das Gesicht, nahm ein Viertel der Pille und steckte den Rest
ein.
Auf dem Weg ins Wohnzimmer, nahm ich direkt meine Jacke mit, um
gar nicht erst auf dumme Gedanken zu kommen. Ich verabschiedete mich
schnell von meiner Ex-Mitbewohnerin, ihrem Boyfriend und dem Mann mit
dem 'klaren Denken', winkte einmal in die Runde und verließ die
Wohnung. An der frischen Luft erreichte ich ungeahnte
Geschwindigkeiten. Die Stadt bewegte sich wie ein Laufband unter
meinen Füßen hindurch. Ich setzte meine Kopfhörer auf und war im
Handumdrehen an der U-Bahn. Ich fuhr quer durch die Stadt in mein
gewohntes 'Revier'. Dort angekommen lief ich drei Clubs ab, aber für
die üblichen Locations war es bereits zu früh am Morgen. Also
machte ich mich auf den Weg zu einem kleinen Technoschuppen, von dem
ich wusste, dass dort mit Sicherheit noch genug los war. Es war
inzwischen bereits taghell auf der Straße, aber ich feierte sowieso
schon die großartige Musik in meinem Kopf, mich selbst und die Welt.
Als mich kurz vor dem Club ein grinsender spanischer Tourist stoppte,
nur um mir in schwer verständlichem Englisch ein Kompliment für
meinen beschwingten Gang zu machen, bemerkt ich, dass ich
mittlerweile mehr tanzte als lief, und das wahrscheinlich auch schon
seit der U-Bahn. So ist das also mit dem Selbstbewusstsein.
Inner-Game schwappt irgendwann nach aussen, wissen wir ja. Und dass
man Inner-Game eben auch durch die Nase ziehen kann, war hiermit
erwiesen.
Ich tanzte also noch die letzten Meter bis vor den Club und
stellte mich in der warmen Morgensonne vor die wummernde Eingangstür.
Der Türsteher blinzelte kurz ins Freie, winkte mich ran und drückte
mich dann wie die letzte Dosen-Sardine in den, immer noch brechend
vollen, kleinen Club. Die Tür schloss sich wieder und es gab keinen
Zentimeter Platz mehr um mich herum. Die Luft war warm, feucht und
roch nach Schweiß und Parfum zu gleichen Teilen. Eigentlich musste
man sich gar nicht bewegen, die Masse drückte einen einfach weiter
und zuckte dazu im Rhythmus. Als ich an der Bar vorbeigeschoben
wurde, konnte ich ein Bier ergattern und ließ mich damit weiter bis
zur Tanzfläche treiben. Dort strandete ich in der Nähe des DJs,
eingeklemmt zwischen einer Gruppe zappelnder Mädchen, einem kleinen
Mauervorsprung, einem Barhocker und einem riesigen Typen mit
Pumperbrust und V-Ausschnitt bis zum Bauchnabel. Erstmal musste ich
dem Gorilla mit meinem nettesten Lächeln klar machen, dass ich nicht
vorhatte, ihm Weibchen, Baum oder Status abspenstig zu machen, dann
erkämpfte ich mir ein wenig Platz zum Tanzen.
Ich hatte meinen Spaß, freundete mich mit den mich umgebenden
Sardinen und dem Gorilla an, und tanzte, bis es langsam leerer im
Club wurde. Der letzte Rest eingefangene Nacht entwich mit jedem Mal,
das sich die kleine Tür öffnete und die Sonne in den Club schien.
Einer nach dem anderen stolperte und schwankte, allein oder in
Begleitung, gen Tür und hinaus in den Tag. Irgendwann waren wir zu
wenige, die sich weigerten sich, diese Nacht und ihre Suche nach
irgendwas oder irgendwem, aufzugeben. Das Licht ging an und der DJ
legte die letzte Platte auf. Als dann auch noch die Musik der
seltsamen Mischung aus Tinnitus, heiseren Stimmen und dem Klirren der
leeren Gläser wich, machte sich das finale Grüppchen, gefolgt von
meiner Wenigkeit, wiederwillig und kiefermalmend auf den Weg nach
draussen. Ich verabschiedete mich vom Türsteher und stolperte als
einer der letzten aus dem Club. Vor der Tür stand die kleine,
tapfere Legion der Übriggebliebenen. Sturzbetrunkene Mädchen
suchten nach den besten, noch halbwegs ansehnlichen, Männchen.
Grummelnd sammelten sich Paare und Grüppchen, um sich Taxen zu
teilen; nachhause, ins Bett oder ins Berghain. Schlafen, ficken oder
weitermachen.
Ich stand einfach nur da und starrte vor mich hin. Ich wurde zwei
mal gefragt, ob ich in einen Club mitfahren wolle, dessen Namen ich
noch nie gehört hatte. Ich verneinte kurz. Die Taxitüren knallten
und wir wurden schnell weniger. Aus einem der Taxis stieg, ungefähr
zehn Meter vor mir, ein Mädchen wieder aus, bevor der Wagen
schwungvoll wendete und davon fuhr. Entweder hatte sie es sich anders
überlegt, oder sie war von ihren neuen Freunden aus dem Taxi
geworfen worden. Sie blieb einige Sekunden unsicher stehen und
starrte auf die Stelle, an der gerade noch der urinfarbene Mercedes
stand. Dann drehe sie sich zu mir, blickte auch mich einige Momente
mit leeren Augen an, und begann dann, unter größeren
Schwierigkeiten, langsam auf mich zuzugehen.
Sie hatte dunkelbraune Locken und trug ein fast bodenlanges,
buntes Kleid. Ihr Zustand war kaum zu übersehen. Es grenzte an ein
Wunder, dass sie nicht hinfiel, bis sie bei mir war. Ich redete
gerade noch mit einem Typen über den ominösen Club, in den die
meisten jetzt gegangen waren, als sie sich neben mich stellte. Erst
stand sie nur schwankend da, dann lehnte sie sich wortlos an mich und
drehte sich dann so vor mich, dass sie, mit dem Kopf an meiner
Schulter schon halb in meiner Jacke verschwand. „Äh,....Hi!“
sagte ich in die dichten Locken „wer bist du denn?“. Sie stellte
sich als Jana vor, nahm meine Hand und zog mich dann murmelnd einige
Schritte weiter, bis wir vor einem Fahrrad standen.
„Dasssismeinfahrrad“ kommentierte sie den Ortswechsel kurz und
starrte mich dann wieder lange und erwartungsvoll an, währenddessen
ihr zwei mal die Augen zufielen. „Du kannst aber auf keinen Fall
mehr Fahrrad fahren“ sagte ich. Sie nickte kurz und lehnte sich
dann wieder an mich. Ich überschlug die Situation, meinen Zustand
und ihren Zustand. Ich wusste, was die meisten Typen an meiner Stelle
wahrscheinlich tun würden und fühlte mal wieder diesen unangenehmen
Erwartungsdruck an mich selbst. „Jetzt komm schon, Alter“
versuchte ich mich innerlich zu motivieren „morgens in solche Läden
zu gehen, aber keine komatösen Frauen vögeln zu wollen, ist doch so
schwachsinnig wie bei Germanys Next Topmodel zu kandidieren, wenn man
gar keine Kurzhaarfrisur haben will. Na los jetzt! Mach schon!“.
Ich sah noch einmal an Jana herunter. Meine Entscheidung fiel
anders aus.
„Ich ruf dir jetzt mal ein Taxi, oder?“ sagte ich in die
Locken an meiner Schulter. Sie versuchte es wieder mit
Alleine-stehen, sah mich etwas irritiert an und antwortete
„könnnntenn wirnichteinfach zu dir, oder so?“. Ich spürte, wie
der Druck noch mehr zunahm. „Nein, ich glaube das ist keine gute
Idee“ erklärte ich langsam „schau mal, du bist wirklich sehr
betrunken. Ich bin auch sehr betrunken und ausserdem... Weißt du
Jana, vielleicht hat dir das heute noch keiner gesagt, aber... du
blutest irgendwie an der linken Hand“. Sie blickte überfordert
auf ihre blutverklebten Finger, sah mich wieder mit diesen
Fragezeichen in den Augen an, überlegte kurz und streckte ihren Kopf
dann etwas näher an mein Ohr. „Ok. ...Ichhwerde dann malsssehen,
ob mich einer dieser jungen Herren da drüben mitnimmt“ lallte sie
und nickte in Richtung des Clubs „das willssstdu sicher nicht mit
ansehen“.
Ohne ein weiteres Wort drehte sie sich um und balancierte, den
linken Arm aristokratisch abgewinkelt, auf die fünf Gestalten zu,
die vor der Tür des Clubs standen. Ich wartete bis sie angekommen
war und machte mich dann auf den Weg zur nächsten U-Bahn. Als ich
die Kreuzung überquert hatte, blieb ich doch nochmal stehen und
drehte mich um. Irgendwie wollte ich zumindest sichergehen, dass Jana
nicht auf der Bank vor dem Club schlafen würde. Ich beobachtete die
Verhandlungen und als ich sah, dass sich schließlich ein Pärchen
ihrer annahm und die Drei zusammen losgingen, machte auch ich mich
auf den Weg nachhause.
Die Situation vor einem Berliner Technoclub morgens um 10 ähnelt
auf amüsante Weise der, auf dem Datingmarkt ab Mitte Dreißig.
Niemand ist mehr wirklich fit, man merkt allen an, was sie hinter
sich haben und die meisten nehmen, was sie noch kriegen können.
Jeder hat seine Treffer kassiert und manche haben Narben
davongetragen. Das große Risiko besteht jetzt nicht mehr darin,
jemanden zu Fragen, ob man gemeinsam nachhause geht. Das Risiko liegt
nun darin, auf diese Frage mit Ja zu antworten. Für manche kann
diese Hürde gigantisch werden.
Als ich aus der U-Bahn ausstieg, rief ich meinen ältesten Freund
an. Wir kennen uns schon seit der Schule und er war der einzige, den
ich mich um diese Uhrzeit anzurufen traute und dem ich meinen
Rede-Flash zumuten wollte. Wie erwartet, war er wach und bereits
hochaktiv. Er und seine langjährige Freundin packten gerade ihr
Rucksäcke für eine sonntägliche Pärchen-Wanderung mit ihren
Bekannten. Da prallten mal wieder Welten aufeinander. Aber wenn mich
jetzt noch jemand verstand, dann er. „Alter, das mit dem
Single-Ding.... also ich kann dir was verraten, irgendwann wird das
komisch“ textete ich mit verkrampftem Kiefer in mein Handy „ich
mach das ja jetzt schon fünf Jahre mit, und ich sag dir was: Bei
diesen Langzeit-Singles, da gibt es eigentlich nur zwei Arten... Die
einen vögeln nie und die anderen, die vögeln ständig. Und weißt
du was das lustigste dabei ist? Beide sind genauso einsam...“.
„Ja, Schatz! Ja, das Moskitospray“ antwortete er „nein, dich
mein ich nicht! Was hast du gesagt?“. Die Unterhaltung gestaltete
sich wieder erwarten doch einigermaßen schwierig, aber er hörte
sich meinen drogengetränkten Redefluss geduldig an, bis ich an
meiner Haustür war. Im Treppenhaus stolperte ich natürlich noch in
meine 80jährige Nachbarin, die sich bei mir ausführlich über die
viel zu laute Hippie-WG im Haus auskotzen wollte. Ich konnte mich
irgendwie aus der Unterhaltung winden und flüchtete, mit gefährlich
großen Schritten, bis in meine Wohnung. Ich sperrte die Tür (zwei
Mal) hinter mir ab und fühlte mich endlich sicher. Hier drin konnte
mir dieser kranke Planet für die nächsten Stunden nichts anhaben.
Aufgeputscht wie ich war, konnte ich natürlich nicht schlafen und
versuchte noch ein wenig Sex mit mir zu haben, was dank des
Amphetamins in meinem Blut ziemlich kläglich scheiterte. Ein
weiterer guter Grund warum ich ganz froh war, niemanden mit mittleren
oder gar hohen Erwartungen mit zu mir nachhause eingeladen zu haben.
Es wäre ein Trauerspiel geworden. Ich hätte mich wohl dumm stellen
und tatsächlich Kaffee anbieten müssen. Aber so gab es für all das
wenigstens keine Zeugen. Alles in allem war die Sache also mal wieder
gut ausgegangen.
...but the drugs like me.
In den letzten Monaten habe ich noch ein paar weitere Male mit der
Wirkung diverser Drogen auf mein Flirtverhalten experimentiert. Im
Grunde gab es aber keine wirklich nennenswerten Erkenntnisse. Die
meisten Drogen wirken nicht viel anders als PickUp. Ein Großteil der
Wirkung ist einfach nur Placebo, aber kurzzeitig senkt man damit
seine Hemmschwelle und steigert das Selbstbewusstsein, was natürlich
auf den ersten Blick zu besseren Ergebnissen führt. Genau wie PickUp
verändern aber die meisten Drogen leider das Urteilsvermögen und
das Sozialverhalten, verunsichern auf die Dauer mehr als dass sie
helfen und hinterlassen einen ziemlich fiesen Kater. Wichtig ist also
bei Drogen, genauso wie bei PickUp, irgendwann auch wieder den
Absprung zu schaffen. Wer länger dabei bleibt, wird entweder zum
Opfer, oder er beginnt zu dealen, und selbst aus der Schwäche und
Unsicherheit anderer Kapital zu schlagen. Wenn man den Absprung
schafft und sich davon erholt hat, bleiben aber in beiden
Fällen durchaus ein paar lustige Erinnerungen. Und wer sie
aufgeschrieben hat, kann sich später köstlich darüber amüsieren.
In diesem Sinne: Habt Spaß, haltet die Ohren steif, und lasst
euch nichts andrehen!
Elia