Es war morgens um 7 und ich gab der
Nacht eine letzte Chance. Sie hieß wie immer 'Absturzclub' und stank
nach Bier und kaltem Zigarettenrauch. Es gab keine Schlange. Es gab
keine nette Begrüßung. Es gab nicht mal mehr einen Türsteher. Der
war neben dem Eingang dabei, sein Glück bei einer kleinen Blonden zu
versuchen. Wer hier nach Sonnenaufgang hereinstolpert weiß, dass er
damit zu leben hat, was sich einem hier noch bietet. Jeder gute Kiez
hat mindestens zwei solcher Clubs. Zombiefallen. Wenn die Vögelein
gar lieblich zwitschern, sammelt sich hier der blinzelnde, wankende
Rest, den zuvor die anderen Clubs und Bars mit einem sauren Schluck
Berliner Pilsener aufgestoßen hatten. Du bist so wunderbar...
Berlin.
Neben den physischen Resten von Wing1,
die sich an einem halbvollen Glas Whisky festhielten, stieß ich hier
auf einen alten und einen neuen Bekannten. Pick-Up-Kater TOM, der
seit einiger Zeit ganz ohne JERRY um die Häuser streunte, hatte es
sich auf einem Schrank neben der Tanzfläche bequem gemacht und
fixierte sprungbereit die kleine Gruppe tanzender Mäuse unter ihm.
Deutlich weniger unauffällig versuchte sein neuer Wingman neben dem
Schrank in Deckung zu gehen. Dies gestaltete sich schon aus
platztechnischen Gründen schwierig, denn statt einer kleinen Maus
hatte TOM sich offensichtlich einen wesentlich größeren und
kräftigeren Nager zum Freund gemacht. TOM setzte bereits zum Sprung
an und sein neuer Wingman drückte den Schrank bedenklich weit zur
Seite, als beide auf mich aufmerksam wurden. TOM stürmte sofort auf
mich zu und stellte mir die riesige, dunkelbraune Maus mit den
kräftigen Tatzen hinter ihm als BALU vor. Ich war zu diesem
Zeitpunkt geistig leider nur noch bedingt aufnahmefähig, begrüßte
BALU die Riesenmaus aber höflich und machte mich dann frisch, fromm
und fröhlich auf den Weg zur Bar um mir endgültig gepflegt die
Lampen auszuschießen.
Glücklich und im Besitz eines neuen
Bieres testete ich zunächst mal alle überlebenswichtigen Funktionen
von Wing1, der mir erklärte, dass er sowieso beabsichtige in
nächster Zeit den Schleudersitz zu betätigen und tauschte dann mit
TOM einige lustige Geschichten der vergangenen Wochenenden aus. Aus
dem Augenwinkel konnte ich beobachten, wie BALU tänzelnd und mit
einem Glas Honig in der Hand versuchte ein zierliches, asiatisches
Weibchen an die Bar zu locken, was ihm auch bemerkenswert schnell
gelang. Leicht zu begeistern, wie ich in solchen Zuständen nunmal
bin, beschloss ich bei meiner nächsten Runde durch den Club, kurz
mal bei den beiden an der Bar vorbeizusehen, um BALUS kleiner Biene
neben seinem Honig noch ein wenig Social Proof aufs Brötchen zu
schmieren. Gesagt, getan. Als ich das nächste Mal zum Tresen
schlenderte um mir ein neues Bier zu holen, grüßte ich BALU
besonders herzlich und flüsterte seiner Maja ins Ohr: „Der Mann
ist echt der Hammer, pass bloß auf ihn auf. Er ist wirklich einer
der coolsten Typen, die ich kenne“. Dann nahm ich mein Bier und
ging Richtung Tanzfläche. Ich war äußerst zufrieden über meine
gute Tat. Mein Gehirn beschloss in diesem stolzen Moment, dass das
doch ein großartiger Zeitpunkt für einen Filmriss wäre. Und so
endet meine Erinnerung an diesen Abend auch genau hier.
Am nächsten Tag wachte ich erst spät
Nachmittags auf. Meine magenbedingte Abstinenz hatte mich wohl
merklich aus dem Training gebracht. Ich machte mir einen starken
Kaffee und klappte meinen Laptop auf. Nach einer Runde Tagesschau,
ganz leise und mit einem Auge, meldete sich TOM auf facebook. Erstmal
bekam ich einen Anschiss für meinen polnischen Abgang und dann
dafür, dass ich ihn mit einer jungen, hübschen Dunkelhaarigen an
der Bar zurückgelassen hatte, die gerade dabei war uns lallend zu
erklären, dass tägliches Duschen völlig überbewertet sei und sie
gerne auch mal drei oder vier Tage ohne Dusche lebt. Offensichtlich
schien dieses Gespräch für mein Gehirn das Signal gewesen zu sein,
den Autopiloten einzuschalten. Ich erinnerte mich ganz dunkel an das
Mädchen und auch an ihre unappetitliche Themenwahl. Anscheinend war
ich mir sicher gewesen, dass es hier nichts mehr zu holen gab ausser
Filzläuse und so muss ich wohl kommentarlos gegangen sein. So weit
so lustig. Danach erwähnte TOM allerdings noch meinen durchaus
mutigen und forschen Approach auf der Tanzfläche. „Tanzfläche???“
dachte ich mir „das klingt gar nicht gut. Und auch gar nicht nach
mir“. Leider kamen hierzu auch bei genauerem Überlegen absolut
keinerlei Erinnerungen. Ich fragte vorsichtig nach, was ich denn da
genau getrieben hätte, auf der Tanzfläche und betete innerlich,
dass jetzt nichts allzu peinliches kommen möge. TOM schrieb mir, ich
sei mitten auf der Tanzfläche ohne große Rücksicht auf Verluste in
ein 3er-Set gegangen, bestehend aus zwei Mädels und einem Typen, die
aber wohl alle drei damit beschäftigt waren bereits heftig
miteinander rumzumachen. Mich habe das aber herzlich wenig davon
abgehalten eines der Mädchen trotzdem ordentlich vollzuquatschen.
Ich konzentrierte mich nochmals mit aller Kraft auf meine Erinnerung.
Es kam nichts. Verdammt. Blackouts waren, und sind für mich immer
noch, ziemlich beängstigend. Ein gruseliges Gefühl. Eine Warnung
meines Körpers. Dagegen sollte ich dringend etwas tun! Entweder ich
würde mir in absehbarer Zeit ein Diktiergerät zulegen müssen, oder
ich sollte mal darüber nachdenken, meinen Alkoholkonsum besser zu
kontrollieren. Ich traf eine wichtige Entscheidung.
Kurz vor Ladenschluss stand ich, zwei
Stunden später, schwankend und mit einem sehr flauen Gefühl im
Magen zwischen den endlosen Regalen bei MEDIAMARKT. „Ja also ich
brauche irgendwie so etwas wie ein Diktiergerät oder so...“
flüsterte ich dem, schon durch meine Anwesenheit überforderten,
Verkäufer entgegen. Der Bursche hatte zumindest einen Hauch mehr
Ahnung als ich. Er wusste, wo die betreffenden Geräte standen.
Danach hörte seine Fachkenntnis natürlich aber auch schon auf. Und
so stand ich mit hämmerndem Schädel vor einem mittelgroßen Regal
voller Aufnahmegeräte. Aber wenn es irgendetwas gibt, in dem Männer
Frauen wirklich überlegen sind, dann darin sich stundenlang und bei
nervigster musikalischer Beschallung in Elektro-Fach- und Bau-Märkten
durch endlose Produktbeschreibungen zu ackern, bis sie das wirklich
beste Gerät zum optimalsten Preis/Leistungs-Verhältnis gefunden
haben. In meinem Fall dauerte es über eine halbe Stunde. Danach trug
ich meine erlegte Beute zur Kasse und war im Anschluss 70 Euro ärmer,
aber stolzer Besitzer eines OLYMPUS VN-712PC Aufnahmegerätes mit
USB-Anschluss, 2GB Speicher und Rauschunterdrückung. Dazu hatte ich
mir ein winziges, schwarzes Knopfmikrofon mit Halteklipp zugelegt.
Als ich mich zuhause auf mein Bett fallen ließ, und beides vor mich
hinlegte, hatte ich wiedermal einen dieser 'Pick Up Momente' in denen
ich mich fragte, was für peinliche, soziopathische Blüten es
eigentlich treiben kann, wenn Männer längere Zeit keine Freundin
haben.
Einige Tage später...
Ich lag vor meinem
Laptop und starrte auf diese Datei. 400 MB. 5 Stunden, 7 Minuten und
28 Sekunden. Meine gestrige Nacht. Ich erinnerte mich, dass die erste
halbe Stunde schwierig war, weil ich mich fühlte als würde ich vor
Publikum sprechen. Danach wurde ich lockerer und nach ungefähr zwei
Stunden hatte ich es vergessen. Ich musste lediglich beim Pinkeln
einige mal grinsen, als ich das kleine, schwarze Mikrofon an der
Innenseite meines linken Jackenärmels sah. Am Abend hatte ich noch
überlegt, wo ich das Mikro befestigen sollte. Ich dachte zuerst an
den Kragen meines Hemds oder meiner Jacke, aber das war mir zu
zentral im Blickfeld meiner zukünftigen Gesprächspartner. Dann kam
mir die Idee. Das Aufnahmegerät packte ich in meine linke
Innentasche und führte das Mikrofonkabel durch den linken Ärmel.
Das Mikrofon befestigte ich dann an der Innenseite meines Ärmels.
Das war geradezu perfekt, da das Mirko nun, wenn ich den Arm
anwinkelte direkt nach oben zeigte. Für gewöhnlich halte ich mein
Bier oder meinen Drink mit der Linken und so würde sowohl ich als
auch mein Gegenüber, da man sich im Club beim Unterhalten etwas
vorlehnt, direkt in das Mikro sprechen. Auf höchster Qualität hatte
ich über 22 Stunden Aufnahmezeit. Das sollte wohl reichen. Als ich
mich gegen 1Uhr Nachts der Stammbar näherte, nahm ich meinen neuen
Begleiter aus der Jackentasche und drückte auf Record. Ganz kurz
verspürte ich den Drang in mein Handgelenk zu sprechen und ein
schwarzes Auto mit roten LEDs zur Hilfe zu rufen, aber ich konnte ihn
kurz vor dem Eingang doch noch unterdrücken.
Es war keine
meiner besten Nächte, aber es waren reichlich Gespräche in
unterschiedlich lauten Clubs und Bars zusammen gekommen. Ich war
gespannt. Gespannt, ob die Qualität überhaupt ausreichte und
gespannt darauf mich zum ersten Mal in meinem Leben selbst zu
belauschen. Ich startete die Datei und man hörte Schritte und
langsam lauter werdende Musik. Ich skippte 5 Minuten vor. Laute
Musik, Gläserklirren und viele Stimmen. Ich skippte nochmal 3
Minuten. BÄM! Bambi! Man konnte sie laut und deutlich verstehen. Wie
es mir denn gehe und wo ich so lange war, fragte sich mich gerade.
Und dann kam ich. Oder zumindest hätte ich dann kommen müssen.
Stattdessen hörte man einen schmierigen Typen mit seltsam
tiefgedrückter Stimme einen blöden Witz machen und im Anschluss
feist und falsch lachen. Aaaah! Mich überfiel Panik und ich klickte
hektisch auf den Pause-Knopf. Oh mein Gott! Wer war der Typ? Oder wer
sollte das sein? Das war doch nicht ich! Wen versuchte ich denn da
darzustellen? James Bond? Superman auf einer Überdosis Viagra?
Sascha Hehn beim Vorsprechen für den ersten Traumschiff-Porno? Ich
hatte mich inzwischen aufgesetzt und starrte völlig entgeistert auf
meinen Laptop. In einer Mischung aus Neugier und Angst bewegte ich
den Mauszeiger langsam wieder über den Play-Button. Click. Da war er
wieder. Der Porno-Onkel. Ich hörte genauer hin. Irgendwie war das
schon ich, der da sprach, nur hatte ich anscheinend versucht Kreide
zu fressen und sie dann mit Gleitcreme runtergespült. Es war schwer
zu ertragen. Nach 20 Sekunden musste ich wieder stoppen. Frustriert
stand ich auf und machte mir erstmal einen Kaffee. „Wenn ich
tatsächlich so mit Frauen rede“ dachte ich mir „bin ich
erledigt. Mit dem Typen würde ich auch nicht abhängen wollen“.
Ich brauchte fast
eine Stunde, um mich wieder zu trauen, auf Play zu drücken. Ich
hörte, wie ich diverse Male den Club wechselte, wie K mir
unterbreitete, dass sie sich von ihrem Freund getrennt hatten
(surprise!) und ich darauf eine unfassbar peinliche Rede über Männer
und ihre angeborene zwischenmenschliche Behinderung hielt. Ich hörte,
wie ich Mädels auf der Straße ansprach (woran ich mich bis heute
nicht erinnern kann) und wie mich der Türsteher von Club2 anmaulte.
Ich hörte mich pinkeln, trinken und Scheiße labern. Stundenlang!
Ich hätte nie geglaubt, wie viel man im Laufe so einer Nacht in
Wirklichkeit redet. Eigentlich redete ich ununterbrochen. Mit Frauen,
mit Männern, mit Türstehern, mit Fremden und mit Freunden.
Irgendwann hörte man, wie die Abstände zwischen meinen Worten
verschwammen und ich langsam anfing zu lallen. Ab da wurden meine
Opener deutlich kürzer. Gegen Ende der 5 Stunden saß ich mit Wing3,
der mir berichtete er habe sich gerade reichlich MDMA eingefahren und
wisse jetzt gar nicht so recht, was er mit der Nacht noch anfangen
soll, an der Bar. Als er sich kurz gen Toilette verabschiedete wurde
ich Zeuge meines letzten und kürzesten Openers der Nacht. Ich
erinnerte mich noch an die große Blondine, die neben uns gesessen
hatte.
I: „Und?
Wieheißtjetztdu?“
MIRA: „Äää...
was?“
I: „Wieduheißt!
IchheißeELIAhallo.“
MIRA: „Hi.
Ich heiße MIRA.“
I: „MIRA!
SchönerName. Chabdichhiernochniegesehn.
Aberdupassssstjahierganzgutrein.“
MIRA: „Ich komme
hier schon ewig her.“
I: „Ohnajadannmußichdichwohlübersehenhaben.
Vielleichtwarichauchschonimmerhier (zeige unter den Tresen)
unddukonntestmichnichtsehen..“
In dem Moment kam Wing3 zurück an die Bar und ich unterbrach mein
Gespräch mit MIRA abrupt. Das letztes Gespräch auf meiner Aufnahme
fand im Taxi statt. Ich erläuterte dem türkischen Taxifahrer die
problematische Entwicklung der modernen Kunst im digitalen Zeitalter
und er stimmte mir darin voll zu: „Ja. Das'Problem.
Das'groß'Problem!“. Wir verstanden uns anscheinend hervorragend.
Alkohol verbindet Menschen und Kulturen. Wir sollten viel mehr
Schnaps in Krisengebiete liefern. Bier für Palästina wäre
sicherlich auch eine tolle Initiative... Ich werde das demnächst mal
als Verein eintragen lassen.
Ob sich die 70 Euro gelohnt haben? Das weiß ich noch nicht so genau.
Es ist auf jeden Fall eine schmerzhafte Erfahrung, sich bei solchen
Gesprächen zu belauschen und mein erster Gedanke war auch „Das
kann meinem Selbstbewusstsein gar nicht gut tun“. Trotzdem werde
ich meine neue technische Errungenschaft wohl in Zukunft noch einige
Male mit aufs Schlachtfeld nehmen. Selbst wenn es keinerlei
'Lehrwert' für mich haben wird, könnte es doch irgendwann eine
beeindruckende Sammlung an betrunkenem Bullshit sein, über den sich
meine Enkel und Erben sicher freuen werden. Außerdem gibt es mir die
Möglichkeit in 10 Jahren ein Best-Of-Album zu veröffentlichen. Mit
den beliebtesten und gelalltesten Openern und allen großen Momenten
inklusive den geheimen 'unreleased Bambi-Tracks' und Ende des
Jahres gibt es dann natürlich das Weihnachts-Album mit einem
Glühwein-Kotz-Konzert für die ganze Familie featuring Wing1, 2 und
3! Freut euch schon mal drauf...
Elia