Immer wenn ich gestern die Augen
aufmachte, sah ich den Wildwuchs auf meinem Balkon gegen den blauen
Himmel und konnte feststellen, dass die Sonne wieder ein Stück
weiter an mir hochgewandert war. So verbrachte ich den gesamten Tag.
Der pulsierende Schmerz in meinem Kopf lies leider keine andere
Aktivität zu. Schmerzfrei war ich erst gegen 21Uhr und da hatte ich
dann aber auch keine Lust mehr noch etwas produktives aus den letzten
Stunden des Samstags zu holen. Wie man jetzt recht leicht
schlussfolgern kann, war ich Freitag seit langem mal wieder aus und
musste nicht nur feststellen, wie schnell man, nach einer 4-Wöchigen
Club- und Bar-Pause, aus seiner Ansprechroutine raus ist und wieder
böse AA mit sich herumschleppt, sondern auch, wie schnell man aus
dem Trinktraining ist und wie fies einem, wenn man um 18Uhr schon
anfängt, gegen 3Uhr das 8te, 9te oder 10te Bier doch die Füße
wegzieht. Auf dem Nachhauseweg machte ich dann auch noch jeden
morgendlichen Passanten durch meinen berühmten, extrem lauten und
nicht zu unterdrückenden, Bier-Schluckauf auf mich aufmerksam. Ich
war Eindeutig nicht mehr im Training.
Was mir in meinem Bierkater gestern
allerdings themenbedingt doch noch einfiel, war dass ich ja nicht nur
mit meinen Field Reports fast einen Monat hinterher hinke, sondern
dass ich auch schon einige Buchbesprechungen im Verzug bin und dass
nun eigentlich Tucker Max dran wäre, besprochen zu werden.
Thematisch passt das natürlich hervorragend zusammen, denn bei
Tucker Max geht es prinzipiell eigentlich fast nur ums Saufen. Dass
dabei im Verlauf immer mal wieder einige Mädchen abgeschleppt
werden, kann genauso direkt auf den stets fast komatösen
Alkoholpegel des Protagonisten zurückgeführt werden, wie seine
regelmäßigen, unkontrollierten Kotz- und Scheiß-Attacken in
fremden Betten oder an öffentlichen Orten. Für schwache Mägen ist
das Buch 'I Hope They Serve Beer In Hell'
von Tucker Max also mindestens so falsch wie der darin recht
unverhohlen abgefeierte Konsum großer Mengen des genannten
Erfrischungsgetränks.
Als
ich anfing darin zu lesen hatte Tucker Max meine grundsätzliche
Sympathie recht schnell alleine schon damit gewonnen, dass er zu
Beginn jeder (angeblich wahren) Geschichte erstmal, durch eben völlig
unverhältnismäßigen Alkoholkonsum, dafür sorgt, jede zivile
Ordnung und deren Regeln in seiner Umgebung aufzuheben und einen
extrem explosiven, anarchischen Ausnahmezustand herzustellen. Er
schien mir ein vernünftiger, junger Mann zu sein. Was mich
allerdings recht schnell nervte, war die Tatsache, dass er in seinen
Erzählungen eben auch genau bei diesem Ablauf (Saufen-Kotzen-Ficken,
oder Saufen-Ficken-Kotzen) bleibt und die Geschichten sich irgendwann
endlos zu wiederholen scheinen. Ich fühlte mich an einige
Field-Report-Sammlungen von bekannten, oder weniger bekannten,
PickUp- und Forums-Helden erinnert und reagierte auch irgendwann
ähnlich genervt auf die zwanzigste Wiederholung. Was Tucker Max,
genauso wie viele PickUp-Autoren, vermissen lässt, sind Einblicke in
seine Gefühls- und Gedanken-Welt. Vielleicht ist das aber auch gar
nicht zu seinem Nachteil, denn wenn er den Leser, in einigen kurzen
Passagen, mal einen Einblick in seine Gedanken gewährt, lassen die
meist auf ein erschreckend flaches Gewässer schließen.
Als
'Hobby-Barfly' fühlte ich mich dann aber doch das eine oder andere
Mal auch ein wenig ertappt. In einem der ersten Kapitel analysiert er
den Zusammenhang zwischen Flirt- und Trink-Verhalten seines guten
Freundes 'SlingBlade' recht kurz und treffend:
„I think it was George Burns who
said, „It takes only one drink to get me drunk. The trouble is, I
can't remember if it's the thirteenth or the fourteenth.“ The same
could be said for SlingBlade about hooking up. For him to hook-up he
has to perfectly hit his drinking sweet-spot. It's got to be enough
alcohol that he is truly fucked up, but not so much that he loses
control. The problem with this is that his tolerance is terrible,
which leaves him without much margin for error. If he doesn't drink
enough he still thinks the woman is a slut and he won't touch her,
but if he drinks too much he throws up and/or passes out. It's a
delicate balance to get him into his Hook-up Zone.“
Natürlich halte
ich Frauen im nüchternen Zustand nicht für Schlampen. Aber ich
kennen die Herausforderung, den schmalen Grad, den magischen Pegel,
den perfekten Zustand zu finden, in dem man Frauen anspricht als
würde man nie etwas anderes tun, und der kleine, sozial untaugliche
Arsch, den man sonst gerne im Kopf hat, geknebelt und gefesselt unter
der Bar liegt.
Tucker Max hat ein
Problem mit Frauen. Das hätte man sich denken können. Auch wenn er
darüber nicht schreibt, lässt es sich ziemlich leicht herauslesen.
Und in seinem Fall, wie in vielen ähnlichen Fällen, fehlt der
Respekt für Frauen ganz einfach dadurch, dass er keinen Respekt vor
sich selber hat. Würde man in solch dummen Kategorien denken, wäre
Tucker Max eine klassische 'LSE-HD'. Er mag sich selber nicht und
folglich kann er sich nicht erklären, warum irgendeine Frau ihn
mögen könnte. Wenn also eine Frau mit ihm nachhause geht, kann sie
nur eine dumme Schlampe sein. Wenn einem der natürliche Respekt vor
der eigenen Person fehlt, kann man sich seinen Wert nur noch durch
die zählbaren Reaktionen der Außenwelt beweisen, durch die
berühmten 'Kerben in der Bettkante'. Wenn man andere Menschen aber
auch kaum respektiert, benötigt man viele, und immer wieder neue,
'Kerben' um den eigenen Wert zu spüren:
„I don't know exactly how many
girls I've slept with, but it's well into the triple digits. You
start to forget a few last names somewhere in the 30s, some first
names around the 60s, and entire girls altogether somewhere around
the 90s, but no matter how much or how many you fuck, some are just
unforgettable.
This particular girl, 'Candy,' I met
while working in Cancun. I was so busy fucking her sorority sister, I
didn't hit on her until the day before she left, but she was having
none for me. I figured that she just respect herself and didn't want
to fuck someone like me...“
Der fehlende
Respekt vor anderen Menschen, speziell Frauen, wird besonders
deutlich an einer Stelle des Buches an der Tucker Max beschreibt, wie
er einen Bekannten in seinem Schrank versteckt, um heimlich und ohne
ihr Mitwissen ein Mädchen zu filmen, während er Sex mit ihr hat.
Doch wie an allen anderen Punkten, an denen der moralische Abgrund in
den er ja auch selber, spätestens beim Schreiben, blicken muss, so
tief und schwarz wird, dass er sich doch genötigt fühlt etwas zu
erklären, flüchtet er in eine seltsam stilisierte Position des
'schlechten', 'verdorbenen', 'unmoralischen' Antihelden, der sich
aber eigentlich doch unübersehbar für seinen 'sicheren Platz in der
Hölle' abfeiert und heimlich auf Applaus schielt:
„I am a bad person. At 21, I was
possibly the worst person in existence. I had no regard for the
feelings of others, I was narcissistic and self-absorbed to the point
of psychotic delusion, and I saw other people only as a means to my
happiness and not as humans worthy of respect and consideration.“
Und genau diese Art
der Stilisierung wiederholt Tucker Max bis zum, von ihm so geliebten,
Erbrechen. Nur dass in diesem Fall der Leser derjenige ist, der sich
über die Kloschüssel retten muss. Und nachdem er sich irgendwann
zum hundertsten Mal grinsend und unkreativ seine immer gleichen,
verbalen Teufelshörner aufgesetzt hat und sich damit aber dann doch
ziemlich cool fühlt, möchte man ihn eigentlich schon lange fragen,
warum er das alles denn dann überhaupt tut? Genau diese Frage
beantwortet Tucker Max aber, ohne es zu merken, eigentlich ständig
selbst. Im Grunde ist sein 'Problem' ein hasserfülltes Selbstbild,
was zu einem hasserfüllten Frauenbild führt. Und wie bei fast allen
Männern, die mit einem derart miesen Frauenbild durch die Welt
rennen, ist dieses nur die logische Folge eines genauso spießigen
und negativen Männerbildes. Denn Tucker Max ist kein Freigeist, der
freie Liebe und befreite Sexualität fordert. Für ihn sind Frauen,
die sich mit Männern wie ihm vergnügen, weiterhin billige, unreine
Schlampen und Männer, die sich wie er verhalten, eben einfach nur
'schlecht'.
„Look, I know how bad some of
these stories are. I know that in return for my youthful behaviour,
fate will give me five daughters and make them all vicious sluts who
sleep with guys like me an then throw it in my face. I know that in
any cosmically just afterlife, I deserve to have all order of awful
punishments waiting for me...“ und
so weiter, und so weiter, und so weiter...
Im
Grunde erklärt uns Tucker Max aber durch seine Gedanken zu Frauen,
und warum diese mit 'Typen wie ihm' schlafen, unfreiwillig ganz von
selbst, seine eigenen Ego-Probleme, und die von wahrscheinlich vielen
Männern, die ihre Bestätigung darin suchen, dass möglichst viele
Frauen bereit sind mit ihnen zu schlafen und darin, dies dann
natürlich möglichst vielen Männern mitzuteilen. Auf beiden Seiten
sind es eben oft sehr schwache Egos, die sich gegenseitig versuchen,
am jeweils Anderen, und dessen Bereitschaft, doch tatsächlich mit
diesem nackigen, kleinen Ego Sex zu haben, hochzuziehen. Und in
dieser Tatsache gleicht Tucker Max, und alle seine Klone, eben der
neunzehnjährigen Stephanie aus seinem Buch, sie nutzen sich eben nur
gegenseitig als Trophäen:
„Stephanie had that type of body
you see on the cover of Maxim, except she was that hot in real life
and not just airbrushed hot. Granted, she threw up a lot of dinner
for that body, but considering that I wasn't paying for her food, I
didn't care.
Like most super hot girls, she was
incredibly insecure. She wore too much make up and not enough
clothes, which is always a sign of despair in a woman. But she went
beyond the normal female do-these-pants-make-me-look-fat insecurity,
which is manageable, and graduated to full on,
I-am-so-ugly-and-worthless, I-hate-myself,
please-fuck-me-so-I-can-feel-close-to-somebody insecurity. As a
result of her severe and unquenchable insecurity, she was quite
promiscous, to the point where dating her was similar to the
experience of sitting on a warm toilet seat: Even without seeing him
walk out of the stall, you knew that someone else had been there only
moments before you arrived.“
Genau diese
spießige, amerikanische Doppelmoral ist es, die ab der Mitte des
Buches immer häufiger und klarer hervorsticht. Ein ganzes Kapitel
widmet Tucker Max dem Gespräch mit einem Homosexuellen in einem
Gay-Club, der ihn darauf aufmerksam macht, dass bei den hunderten von
Frauen, mit denen er inzwischen Sex hatte, ja mit fast absoluter
Sicherheit auch schon eine dabei war, die vor ihrer Operation noch
ein Mann gewesen ist. Als Tucker dann ins Grübeln kommt und ihm
Frauen einfallen, die einfach nicht feucht werden wollten, die beim
Analverkehr nicht so eng waren wie andere Frauen oder die so gut
blasen konnten, als wüssten sie aus eigener Erfahrung, wie es sich
anfühlt, flippt er über fast zwei Seiten hinweg völlig aus. Der
Gedanke eventuell mit einem 'Mann' Sex gehabt zu haben, wird von ihm
als das Abartigste und Ekligste Empfunden, was man sich nur
vorstellen kann. Und das, nachdem er bereits seiten- und kapitelweise
ohne Probleme von nicht mehr zu haltendem Bier-Schiss, dem Schlafen
in Hundescheiße und dem Ficken im eigenen Erbrochenen berichtet
hatte. Willkommen im Gehirn eines durchgeknallten, amerikanischen
Konservativen.
Ähnlich schlimm,
oder mit anderen Worten schwul, ist der Gedanke der Tucker kommt,
nachdem eine Bekannte vor ihrem Date mit einem anderen Typen, bei
Tucker vorbeischaut, um ihm einen zu blasen. Nach kurzem Grübeln
stolpert er über die Idee, dass er im Umkehrschluss ja sicher auch
schon Frauen geküsst hat, die vorher, wenn nicht sogar am selben
Tag, den Penis eines anderen Mannes im Mund hatten. Eine Welt bricht
zusammen. Die Flagge wird auf Halbmast gesetzt.
„Granted, I've done horrible stuff
also, but anyone in the world can read this book and know what I've
done. It's the not knowing that really messes with me. What fucks me
up is to think that girls I'm casually dating are fucking around on
me, and not even just on other days, but right before they see me. I
don't really go on dates anymore since I learned that you don't need
to spend money to get pussy, but when i did, I wonder how many girls
came out with sperm breath? And how many of those did I kiss? And
even now I wonder how many women have I met out at a bar who fucked a
guy before going out, and then went home with me?“
Es ist eine kleine,
fast kindlich naive, aber staubig-urkonservative Welt, in der Tucker
Max denkt. Zum Glück liegt zwischen mir und dieser Welt ein Ozean.
Und gerade wenn
man, gegen Ende des Buches, versucht ein wenig Frieden zu schießen,
mit diesem seltsamen College-Boy, und versucht zu verdrängen, dass
es auch in unseren Gefilden genug Idioten mit der gleichen wackeligen
Doppel- und Sexual-Moral und dem gleichen piefigen Frauen- und
Männer-Bild gibt, haut einem Tucker Max seine letzten Zeilen um die
Ohren. In diesen beschreibt er sein eigenes System um Frauen zu
kategorisieren. Wozu auch immer man das tun sollte, lasse ich mal
dahingestellt. Jedenfalls endet sein Buch mit diesen gar lieblichen
Worten, in denen er die 'niedrigste' Stufe seiner 'Frauenkategorien'
beschreibt:
„Other category: 0-star (aka,
Wildebeast): The lowest of the low. A 1-star (common-stock-pig) with
a terrible personality qualifies as a Wildebeast. They should all be
put to sleep. This is that loud, disgusting fat girl in the bar that
smokes, orders complicated drinks and then spill them on everyone,
and is generally just so annoying that you have to actively restain
yourself from kicking her in the crotch and stomping on her throat
until she drowns on her own blood. There is no insult too mean or
crude for her, and basic human rights do not apply to her“
Prost Mahlzeit.
Selbst abzüglich der verkaufszahlen-fördernden Provokation und
pseudo-witzigen Anti-Political-Correctness, ist dieses Menschenbild,
und sind diese Gewaltfantasien, dann eben doch, um es mit Tuckers
Lieblingstätigkeit zu beschreiben, zum Kotzen.
Schade, Tucker.
Kurz fand ich dich echt sympathisch, aber irgendwie hast du Sache
dann doch ziemlich verkackt. Oder doch verkotzt?
Elia