Zuallererst muss ich mich wohl
entschuldigen. Ich hatte in den letzten Wochen extrem viel um die Ohren und bin daher einfach nicht mehr zum Schreiben gekommen. Es gab
einige schwierige familiäre Probleme, die sehr viel meiner Zeit in
Anspruch genommen hatten. Dazu kommen Jobs die, bedingt dadurch,
liegen geblieben waren und die ich so die letzten Wochen mehr vor mir
hergeschoben als abgearbeitet hatte. Natürlich haben sich trotzdem
einige lustige Geschichten zugetragen und ich habe, um sie nicht zu
vergessen, inzwischen diverse angefangene Texte auf meinem Desktop
liegen, die ebenfalls darauf warten 'abgearbeitet' zu werden. Da
Familie und Job aber natürlich vorgehen, wird das wohl auch in den
nächsten Wochen nur tröpfchenweise möglich sein.
Nicht nur meine Familie hatte mich in
den letzten Wochen in die alte Heimat beordert, dazu kam noch, dass
ein guter Freund meinte in den Hafen der Ehe einlaufen zu müssen und
ich, kaum vier Tage in Berlin, schon wieder mein geliebtes Bett gegen
Mutters Couch eintauschen durfte. Was ich bei solchen Anlässen in
den letzten Jahren besonders deutlich vor Augen geführt bekommen
habe, ist meine, mit zunehmendem Alter und fortdauerndem
Singledasein, sich immer deutlicher manifestierende soziale
Unverträglichkeit bei längerem, erzwungenem Zusammensein mit
anderen Menschen auf engem Raum. Ich bin es nunmal nach über zehn
Jahren des Alleine-Wohnens und fünf Jahren Singledaseins einfach
gewohnt, den extremen Luxus der Einsamkeit zu genießen, wann immer
meiner buckligen, kleinen, misanthropischen Persönlichkeit danach
ist. Und das spüre ich und mein Umfeld in solchen Situationen schon
nach wenigen Tagen. Ich erwische mich dann regelmäßig dabei, wie
ich Freunde und Familie grundlos anfauche, kurze gehässige
Bemerkungen in völlig unangebrachten Momenten mache (und zwar
deutlich mehr als wenn es mir gut geht) oder vor mich hin schweige,
bis sich mein Gegenüber mindestens so unwohl fühlt wie ich. Kurz,
ich werde zum Ekel. Und ich bemerke
es auch noch selber, kann aber nichts daran ändern. Ich bin wohl
einfach nicht, oder nicht mehr, in der Lage auf Dauer mit jemand
anderem eine Wohnung zu teilen. Wahrscheinlich ist das auch der
Grund, warum ich in meinem Leben noch nie in Betracht gezogen habe,
mit einer Frau zusammen zu ziehen. Dies wiederum hat mit Sicherheit,
wenn man bedenkt wie Frauen auf längere Zeiträume des
'Sich-nicht-Weiterentwickelns' ihrer Beziehung reagieren, auch schon
zu mehreren Trennungen beigetragen. Ein weiterer hässlicher Nagel
zum Sarg meiner Träume vom glücklichen, jungen Pärchen mit der
Altbauwohnung und den IKEA-Kindern!
Der Grund warum ich gerade kurz Zeit
habe überhaupt zu Schreiben ist, dass meine beste Freundin, die mich
traditionell und berufsbedingt immer zur Fashion-Week besuchen kommt,
heute nach Potsdam geflohen ist, um meinem Familien- Hochzeits- und
Job-gestressten Ekel-Ego aus dem Weg zu gehen. Wer kann es ihr
verdenken? Wäre es möglich, würde ich mich momentan auch meiden.
Als sie mich Anfang der Woche vom Flughafen abholte ging es mir
kurzzeitig ganz gut. Ich war froh, der provinzigen, scheubeklappten
Heimat entkommen und wieder in Berlin zu sein. Wir spazierten in
bester Laune zu meinem Lieblingsthailänder um zu Abend zu essen.
Wie der ganze Bezirk, hat sich auch
mein kleiner Lieblingsthai (liegt's an mir, oder klingt das strange?)
in den letzen zwei Jahren extrem verändert und aus dem unscheinbaren
Geheimtipp ist eine weitere Kantine für Berlins hippe Armee der
Startup-Arschlöcher geworden. In Ermangelung einer Uzi müssen wir
uns also damit arrangieren, dass kein Tisch mehr frei ist. Da wir ja
aber in Berlin sind und das verdammt nochmal mein Thai ist, fragen
wir einen, draussen allein an einer Bierbank vor sich hin
schluffenden Studenten, ob wir uns dazusetzen können. „Klar“
sagt er freundlich, tolerant, weltoffen und vom Bildungsbürgertum in
seiner schwäbischen Heimat dazu erzogen, als er die kleinen
Maschinengewehre in unseren Augen sieht. Während wir noch über der
DIN-A4-Faltkarte grübeln, setzt sich seine Freundin zu ihm. „Ey
wie krass du hast jetzt echt die BZ mitgebracht, oder wie?“ sagt er
grinsend. Ich hatte von den beiden auch eher eine taz erwartet, aber
sie erklärt sofort, dass es in dem Kiosk gegenüber nix anderes gab.
Puh. Das war knapp. Wie hätte er das nur ihren
Lehrer-Schwiegereltern im Schwarzwald erklären sollen?
Während meine Freundin weiter die
Karte studiert, kann ich es nicht lassen, unseren neuen Nachbarn beim
Abendessen zuzusehen. Sie passt auf eine komische Art perfekt zu ihm.
Er hat dunkle Haare und dunkle Augen, verzichtet aber auf eine Frisur
und trägt stattdessen lieber alles eine Nummer zu groß. Sie ist
blond, blass und auf eine komisch schlabbrige Art dünn. Sie sind
beide nicht wirklich schlechtaussehend, weigern sich aber
offensichtlich aus politischen Gründen etwas aus sich zu machen. Sie
wirken beide gleich alt, gleich gestylt und gleich langweilig. Sie
passen nicht wie ein Paar zusammen, das guten Sex hat, sondern eher
wie Brüderchen und Schwesterchen. Warum verlaufen sich solche Leute
nicht einfach mal im Wald? Warum haben solche Leute Beziehungen? Ganz
einfach: Weil sie keine Ekel sind wie ich, sondern beim Essen nur
lauter nette Gedanken haben, weil sie andere Leute nicht unangenehm
lange beobachten und weil sie sicher schon lange zusammenwohnen. In
einer schönen Altbauwohnung. Gleich auf der anderen Straßenseite.
So jetzt aber erstmal was gegen den Hass machen. Der kommt vom
Hunger. Ich gehe rein um zu bestellen.
Als ich wieder rauskomme sind die zwei
schon am essen und haben die BZ neben sich aufgeschlagen. „Männername
mit vier Buchstaben“ sagt sie. Zuerst denke ich es liegt daran,
dass man ja unmöglich öffentlich eine BZ lesen kann, aber schon
nach wenigen Minuten ist nicht mehr zu übersehen, dass die zwei wohl
ziemlich regelmäßig Kreuzworträtsel zusammen machen. Und sie
scheinen eine genau dosierte und angemessene Menge Spaß dabei zu
haben. Ich frage mich, was das für Pärchen sind, die Abends
Kreuzworträtsel zusammen machen. Ich hatte mal eine Freundin, die
Abends immer Kniffel mit mir spielen wollte. Sie war Lehrerin, hatte
einen Hund und wohnte in einer Art Reihenhaussiedlung in einem eher
spießigen Stadtrandbezirk. Ich hatte zwei mal versucht mit ihr nach
dem Gassigehen in der Küche Kniffel zu spielen, aber es machte mir
keinen Spaß. Wir waren zwei Jahre zusammen und stritten uns in
dieser Zeit kein einziges Mal. Dann machte ich mit ihr Schluss. Ich
war ehrlich zu ihr. Ich sagte ihr, dass ich mich von ihr trennen
müsse, weil wir uns nie streiten würden. Weil sie nie ausflippt, weil sie nie etwas kaputt macht, nie irrational wird oder Scheiße
baut. Weil wir uns perfekt verstehen. Aber perfekt verstehen kann ich
mich auch mit mir allein. Streiten kann ich mich nicht mit mir
allein. Ich brauche Reibung. Ich bin selbst kontrolliert und, so weit
ich das beurteilen kann, logisch. Was ich brauche ist jemand, der
anders ist, oder sein kann. Irrational und chaotisch. Mich
gelegentlich rausholt aus meiner Küche und nicht dort Kniffel mit
mir spielen will. Oder wenigstens dort mit ein paar Tellern wirft,
von mir aus auch nach mir. Ich stelle gerade mal wieder fest, dass
meine Therapeutin eine Pfeife war.
Offensichtlich bin ich auch in dieser
Hinsicht gestört, denn die zwei neben uns schienen ja ihr Glück
gefunden zu haben. In sich und in Kreuzworträtseln. Es gibt diese
Paare. Es gibt sie sogar zuhauf. Sie besiedeln in Berlin ganze
Bezirke und bekommen dort, wenn sie nicht gerade Kreuzworträtsel
lösen, ihre langweiligen Kinder. „Anderes Wort für Sprudelwasser
mit vier Buchstaben“ sagt sie. Ich frage mich, wie solche Pärchen
streiten? Oder streiten sie überhaupt? Wahrscheinlich nicht.
Wahrscheinlich diskutieren sie es lieber in Ruhe aus, statt sich zu
streiten. Das sind diese Art von Pärchen, die nach ihrer Trennung
auch immer sofort beste Freunde sind. Total harmonisch und ohne
Hassgefühle. Keiner bumst einen anderen und wenn dann ist es ganz
offen und auch voll ok. Ich fand diese Trennungen und Menschen, die
dazu in der Lage sind, schon immer pervers. Wie kann man sich denn
bitte harmonisch trennen? Desto länger ich den beiden zusehen, desto
unmöglicher erscheint es mir, dass sie sich überhaupt trennen. Ich
versuche mir mit aller Kraft vorzustellen, wie so eine Trennung
aussehen könnte. Aber alles was ich sehe sind die beiden, wie sie
sich gegenübersitzen. Jetzt in einer noch größeren und noch
schöneren Wohnung. Viele, viele ruhige, glückliche Jahre später
und beide sind schon sehr alt. „Männername mit vier Buchstaben“
sagt sie in meiner Vorstellung.
„Hallo....?“
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