Am Montag
beschloss ich, dass es Zeit war sich zu melden und vor allem
herauszufinden, wie die junge Dame überhaupt nochmal hiess. Mir war
inzwischen bekannt, dass SMS die dümmste aller Möglichkeiten ist,
mit einer eroberten Nummer umzugehen. Trotzdem gibt es Momente, in
denen der Daumen über die Vernunft siegt. Während des Jobs am
Montag Nachmittag war es dann soweit. Mein Hirn sagt „Stop“ aber
mein Daumen tippt schon mal fröhlich drauf los.
Ob sie die Nacht
überlebt hat, ob sie vor allem die Oper überlebt hat und ob sie
Lust auf den Fernsehturm oder ein Restaurant mit „Deutscher Küche“
(wir hatten uns über das Fehlen kulinarischer Sehenswürdigkeiten in
Berlin unterhalten) hätte schrieb ich ihr und hoffte vor allem, dass
unter ihrer Antwort ein Name und kein Kürzel stehen würde. Es
kam..... Nichts. Keine Antwort. Kein Name. Kein Kürzel.
Bei einer Frau,
die sowieso in absehbarer Zeit den Kontinent verlassen wird, hast du
nicht wirklich was zu verlieren, dachte ich mir. Und auf dem
Nachhauseweg in der U-Bahn beschloss ich einfach nochmal anzurufen.
Möglich, dass eine SMS von meinem High-Tech-Handy (Ich habe alle
meine Mobiltelefone von meiner kleinen Schwester mit den Worten
geschenkt bekommen „Da, das kannste haben, das ist so uncool, damit
kann ich nicht mehr rumlaufen“) auf einem argentinischen Handy, das
gerade in Europa ist, einfach nie ankommt. Also rufe ich an. Sie geht
ran. Wir knüpfen eigentlich sofort an die Stimmung an in der wir uns
zwei Nächte zuvor unterhalten hatten. Ja, sie hat die Oper halbwegs
überlebt. Nein, sie hat keine SMS von mir bekommen. Blablablabla.
Meinen Vorschlag Essen zu gehen findet sie gut. Sie schlägt vor mir
eine E-Mail zu schreiben. Die sollte zumindest auch ankommen. Ihr
Telefon kann sowas anscheinend. Die Idee finde ich wiederum gut. Wir
verabreden uns für den nächsten Abend und ich soll ihr die Details
per Mail schicken.
Am Abend bekomme
ich eine E-Mail. Sie schreibt mir nicht nur ihren Namen (YES!),
sondern auch gleich noch ihren WhatsApp-Namen (Was?), Skype-Namen
(ok...) und Facebook-Namen (Das Mädel scheint im Internet vertreten
zu sein...). Ich habe kein Facebook und weiß nicht ganz genau was
WhatsApp ist, adde sie aber mal sicherheitshalber auf Skype. Außerdem
schreibe ich ihr die Adresse des Restaurants in das ich mit ihr gehen
will und schlage ein Treffen vorher am Alexanderplatz vor. Sie
schreibt sie findet die Idee super und erkundigt sich, was für
Schuhe sie anziehen soll, sie hätte hässliche bequeme oder schöne
unbequeme. Ja, ja, Frauen.... Die unbekannten Wesen...
Am nächsten Tag
treffen wir uns, wie verabredet, am Alex und fahren gemeinsam in das
Restaurant. Die Unterhaltung läuft von Anfang an gut. Wir bestellen
und reden über dies und das. Sie erzählt viel über sich und ihre
Familie. Über ihre Hobbys, Haustiere und Vorlieben. Ich hatte sie
hübscher in Erinnerung, aber sie ist immer noch deutlich über
Durchschnitt. Ich schiebe es auf den fehlenden Alkohol. Was so ein
bisschen Symmetrie-Verschiebung alles ausmacht.
Wie auch immer.
Der Abend wird länger. Nach dem Essen gehen wir noch in eine Bar.
Das Gespräch läuft super aber das Mädel erscheint mir nerdiger und
nerdiger. Die zwei Hunde und eine Katze als Haustiere lasse ich mir
noch eingehen. Die Wochenenden vor dem Piano mit den Hunden als
Publikum gehen auch noch so durch. Auch dass sie, wenn sie weggeht,
nur mit ihren Jungs saufen geht, keine Mädchen als Freunde hat und
tanzen scheiße findet lasse ich gelten. Stutziger macht mich die
Vorstellung, dass sie vier Mal im Jahr für längere Zeit alleine in
die Berge wandern geht. Was sie mir aber wirklich hätte vorher sagen
können ist, dass sie nicht nur anscheinend eine große Fangemeinde
als Figur in einem Online-Rollenspiel hat, sonder dort auch schon
seit langer Zeit verheiratet ist (also in dem Rollenspiel) und viele
ihrer Freunde auch nur über dieses Spiel kennt....
Bingo! Ich habs
mal wieder geschafft, die freakigste Tante in dem ganzen Laden
aufzureissen! Wahnsinn. Mein Psycho-Radar hat sich ein weiteres Mal
auf großartige Weise selbst übertroffen.
Sie wird im Laufe
des Abends immer redseliger und zeigt mir ne knappe Stunde lang Fotos
von der ganzen Familie, Freunden und Bekannten inklusive
dazugehöriger Haustiere auf ihrem Streichel-Telefon. Irgendwann ist
es 2:00 und mir wird bewusst, dass ich morgen sehr früh aufstehen
muss. Ich zahle unsere Drinks und frage sie reichlich direkt, ob sie
noch mit ins Taxi zu mir nachhause steigen will.
I: Ok, i´ll take
a Taxi to my place. You wanna come with me?
S: Why?
Sie kichert. Hm...
Die Reaktion kenne ich noch von meiner beknackten Kuss-Frage.
Naja... Komische
Fragen verlangen bekanntlich komische Antworten.
I: Because you are
leaving Berlin in two days. So...... We have not so much time left.
Ich weiss nicht
mehr genau, wie sie geantwortet hat. Auf jeden Fall ist sie nicht mit
zu mir gefahren. Stattdessen habe ich sie für den nächsten Abend zu
mir nachhause zum Essen eingeladen. Was sie ohne zu zögern für eine
super Idee hielt. Und so verabredeten wir uns für den nächsten Tag.
Auf dem Weg
nachhause war ich mir schon nicht mehr wirklich sicher, ob aus der
Nummer überhaupt noch mal was wird bzw. ob ich eigentlich das, was
man aus der Nummer machen könnte, überhaupt haben will. Ich hatte
das Gefühl sie sei nicht uninteressiert, aber extrem schüchtern.
Die Tatsache, dass sie übermorgen wieder fliegen würde, machte
eigentlich nur zwei Wege für diese Situation denkbar. Entweder eine
kurze, nette Bettgeschichte, oder eine lange komplizierte
Fernbeziehung. Zweiteres reizte mich inzwischen in Bezug auf dieses
Mädchen überhaupt nicht mehr und so blieb eigentlich nur Variante
eins. Diese würde aber, wenn sie überhaupt klappen sollte, eine
schnelle Eskalation erfordern. Ich hatte meine Zweifel an uns beiden.
An mir, ob ich das bringen würde – ich merkte wie von meiner Seite
seit dem Kennenlernen auch das körperliche Interesse an ihr deutlich
abnahm – und an ihr, ob sie das zulassen würde – sie schein wie
gesagt was Männer, oder besser gesagt Menschen im allgemeinen,
betrifft extrem vorsichtig zu sein.
Unser Date am
nächsten Abend begann nett mit Whisky und Kochen bei mir. Nettes
Gespräch, nette Atmosphäre, nettes Mädchen. Und Nett, das wissen
wir ja alle, ist eben vor allem die kleine, hässliche Schwester von
Scheisse.
Und so kochten wir
und assen und tranken und quatschen. Ich war müde von dem wenigen
Schlaf, den ich in der Nacht davor bekommen hatte und wurde langsam
aber sicher auch immer müder. Was sie wiederum anscheinend vor allem
dazu ermunterte fleissig weiter zu trinken und immer wieder (das
kannte ich ja schon von ihr) regelmässig zu betonen, dass sie
wirklich üüüüüberhaupt nicht müde sei. Great.
Irgendwie war ich
weder müder genug, um das Date zu beenden noch fit genug um mich
ausreichend um körperliche Eskalation zu kümmern und so schaffte
ich es zwar, sie nach dem Essen und Trinken in Mein Schlafzimmer zu
lotsen, dort gab ich dann aber erst Mal der übermächtigen Mutter
Gravitation nach und machte es mir auf meinem Bett bequem, während
sie anscheinend nach längerer Suche den tatsächlich am weitesten
vom Bett entfernten Punkt des Zimmers gefunden hatte. Und so stand
sie da. An der Wand gegenüber. Und wir unterhielten uns weiter.
Was für eine
behinderte Situation.
Als sie sich
offensichtlich sicher war, dass ich weder vorhatte mich jetzt
auszuziehen noch sie zu verspeisen setzte sie sich schließlich doch
zu mir aufs Bett. Und als das Gespräch, die Stimmung, meine Energie
und der Abend nach einer weiteren Stunde den absoluten Nullpunkt, das
Gewicht meiner Augenlieder dafür aber den absoluten Höhepunkt
erreicht hatten und ich eigentlich schon am Überlegen war, wie ich
dem Ganzen jetzt ein Ende setzen könnte für das ich mich im
Nachhinein nicht bei allen Autoren der PickUp Literatur die ich
bisher gelesen hatte persönlich entschuldigen müsste, beschloss
mein erster großer Aufriss, dass jetzt doch der richtige Moment wäre
um sich entspannt zurückzulehnen, ihren Kopf auf meine Schulter zu
legen und auszuprobieren, ob der kleine, blasse Mann mit den
leuchtend roten Augen neben ihr denn vielleicht noch genug Saft in
den Batterien für eine ausgiebige Runde Latin-Love hätte.
Ich hatte ihn
nicht. Oder vielleicht hätte ich ihn gehabt und sie hätte mich
danach, wie eine Spinne ihr Männchen nach dem Sex, auch gleich
verspeisen können, auf jeden Fall wollte ich ihn ihr nicht geben.
Nicht jetzt. Nicht um (schon wieder!) 2:00Uhr Nachts, wo ich doch
morgen wieder um 6:00 raus musste. Und so tat ich nichts. Ausser mich
zu fragen, wie ich sie jetzt charmant in ein Taxi bekommen würde.
Und natürlich, ob ich verrückt geworden sei. Ob mir überhaupt noch
zu helfen sei. Da hatte ich seit zwei Jahren keinen Sex gehabt, seit
zwei Monaten eine PickUp-Schlacht gegen alle meine inneren und
äusseren Schweinehunde geführt, hatte dieses Mädel eine Nacht nach
Strich und Faden „gebabysittet“, wie Mystery sagen würde, hatte
wie aus dem Bilderbuch „getimebridget“ um sie wieder daten zu
können. Hatte sie belabert, „attracted“, gefüttert und bespaßt
als ob es kein Morgen gäbe. Und jetzt? Jetzt lag sie neben mir in
meinem Bett. Das „HB“ aus dem Club von vor 3 Tagen. Bis hierhin
hatte ich es geschafft. Und alles was ich jetzt wollte, war schlafen.
Nicht mir ihr. Sondern wie ein Baby. Schlafen.
Mir war nicht mehr
zu helfen. Ich gab auf. Sie betonte tatsächlich noch ein letztes Mal
wie „üüüüüüüüüüüberhaupt nicht müde“ sie sei und dann
sagte ich ihr, dass ich ihr jetzt ein Taxi rufen würde. Brachte sie
zur Tür und wartete mit ihr auf das Taxi. Drückte sie und küsste
sie zum Abschied auf die Wange. Sagte ihr wie schön es war sie
kennengelernt zu haben undsoweiterundsoweiter. Schloss die Tür ging
in mein Schlafzimmer, fiel ins Bett und schlief sofort ein.
Am nächsten
Morgen dachte ich beim Kaffee darüber nach, was da schief gelaufen
war. Ich fand nur eine für mich schlüssige Erklärung: Ich hatte
ein Mal gelesen, dass das weibliche und das männliche Gehirn bei der
Partnerwahl genau andersherum vorgehen. Männer ersetzen alles, was
sie noch nicht über die Partnerin wissen mit einem positiven „Ja“
(sie wird sicher nett sein, sie wird sicher gut im Bett sein, sie
wird bestimmt Humor haben...) wohingegen Frauen erstmal alle
unbekannten Variablen mit einem „Nein“ beantworten. Daraus ergibt
sich, dass Männer erst im Laufe des Kennenlernens von ihrer
Positiven Wahl zu einer Negativen umgestimmt werden können,
wohingegen Frauen sozusagen erstmal Nein sagen und sich dann für den
Partner, oder von ihm, überzeugen lassen.
Anscheinend hätte
es in der Mitte dieses Drei-Tage-Dates vielleicht einen Punkt
gegeben, an dem wir hätten miteinander schlafen sollen. Dieser war
dann wohl kurz bevor ich sie irgendwie zu anstrengend und zu nerdig
fand um mit ihr etwas anzufangen und kurz bevor sie mich interessant
genug fand um mit mir etwas anzufangen.
Wir hatten ihn
leider verpasst. Er muss sehr kurz gewesen sein.
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