20. Januar 2013

Feeding Bambi

Heute morgen bin ich vollkommen hektisch aufgewacht und habe mich tierisch geärgert, dass ich schon wieder an einem Wochentag zwölf Stunden geschlafen habe und ich eigentlich schon lange arbeiten müsste. Ich machte mir also extrem wütend einen Kaffee, stampfte vor mich hin fluchend durch meine Wohnung und wollte gerade mit schlechtester Laune meinen Rechner hochfahren und einen Kunden anrufen, als mir auffiel, dass heute ja Sonntag ist. No comment, please.

Mal wieder ein Freitags-Ausgeh-Wochenende gehabt. Das wollte ich ja nicht mehr machen. Mal wieder in der Stammbar gewesen. Das wollte ich ja auch nicht mehr machen. Und mal wieder so lange geblieben, dass in anderen Clubs nichts mehr los war. Auch das wollte ich nicht mehr machen. Und dann auch noch den Abend mit L beschäftigt. Und das wollte ich ja nun wirklich überhaupt nicht mehr machen.
An dieser Stelle wird es dann wohl mal Zeit für eines meiner all-time, life-long Lieblingszitate:

Man wäre kein wahrer Anarchist, wenn man auf Grundsätzen beharren würde.
- Eva Demski

Der Abend war trotzdem sehr, sehr lustig und markiert wohl einen der bisherigen Höhepunkte in der absurden Geschichte von L, mir und der Stammbar. Ich war, wie so häufig, mit Wing2 Pizzaessen und danach durch diverse Bars gestolpert. Wing2 hatte kurzfristig angefangen zu rauchen, um Frauen Zigaretten anbieten zu können und ich hatte mich über das Berliner Barpublikum amüsiert als wir schließlich doch mal wieder in der Stammbar landeten. Ich hatte L schon beim Hereinkommen entdeckt, hatte kurz Augenkontakt, war aber dann in ein Gespräch mit einem Bekannten verwickelt worden.

Als nächstes entdeckte ich C, mein Vorweihnachtsdate, am anderen Ende der Bar. Sie war mit einem Typen da, der aber anscheinend nicht wirklich unterhaltsam war. Jedenfalls freute sie sich, als ich dazu kam und wir unterhielten uns erstmal eine halbe Stunde über ihre Pläne demnächst mal Sex mit einer Frau zu haben und ähnlich amüsante Themen. Plötzlich tippte mir eine alte Freundin auf die Schulter, die zu Besuch in Berlin war und zufällig ebenfalls in die Stammbar gefallen war. Kurzer Schnack mit ihr und wieder zurück zu C. Nach weiteren 20 Minuten seichtem Sextalk mit C über ihre Baraffären stand plötzlich L neben mir. „Oha“ dachte ich mir. So handzahm und nah an mir dran hatten wir das kleine schwarze Rehlein ja überhaupt noch nie erlebt. Sie schenkte mir genau abgezählte 200 Millisekunden Augenkontakt und drehte sich dann zu C um über Silvester und Radiosendungen zu plaudern. Als ich mich von dem Endorphin-Trip den der Augenkontakt mit L hinterlassen hatte wieder halbwegs erholt hatte, dachte ich mir „Momentchen mal! So einfach geht das aber auch nicht. Jetzt hier neben mich stellen, aber mich einfach ignorieren...“.
Bei ihrer nächsten Gesprächspause lehnte ich mich also möglichst weit zu ihr, zum einen um ihr Ohr zu erreichen und zum anderen um Mystery zu ärgern, und flüsterte:

I: Ein gesundes Neues erst mal.

L: Was? Ach so, ja. Ein frohes Neues dir auch.

I: Wie war denn dein Silvester? Ich wollte ja eigentlich auch hier vorbei schauen, aber wir haben's nicht mehr geschafft...

L erzählt mir, ohne mir länger als 200 Millisekunden in die Augen zu sehen von ihrer Silvester-Nacht und was sie so getrieben hat. Mit einer ihrer Freundinnen daneben geht das Sprechen mit mir ja inzwischen schon fast entspannt. Nach ein paar Geschichten verschwindet L aber wieder in den Tiefen des Waldes, äääh, der Stammbar und ich quatsche noch eine Runde mit C.

Der Abend wird später, Wing2 verabschiedet sich, C auch und ich parke mich erstmal nahe der Tür bei einem Bekannten. Von dort aus sehe ich L mit einem ihrer Kumpels an einem Tisch am Fenster. Ich entdecke aber ebenfalls noch das Blonde Mädel das mich an der gleichen Bar im November (Schwarzer Freitag 2) angequatscht hatte. Tipp-Tipp auf die Schulter. Sie erinnert sich an mich. Wir kommen sofort ins Gespräch. Sie ist mit ihrer Schwester da. Es geht erst um Musik (ich hatte damals schon festgestellt, dass wir einen extrem ähnlichen Musikgeschmack haben) und später um Geschwister. Als wir beim Thema Silvester-Erlebnisse angekommen sind ist die Musik in der Bar gerade extrem laut. Ich schreie schon fast in ihr Ohr: „Do you really wanna hear the dirty part of the story?“. „Of course she wants to hear that“ kommt die Antwort von hinten über meine Schulter. Ich drehe mich um und sehe gerade noch L auf dem Weg zu den Toiletten.

Das war nun Gespräch Nummer zwei heute Nacht in das sich L kurz eingeklinkt hat. Ich hatte schon länger die Vermutung, bin mir jetzt aber ziemlich sicher, dass auch die Blonde eine gute Freundin von L ist. Ich taste mich also nicht nur quer durch die Bar sondern inzwischen auch quer durch ihren Freundeskreis auf L zu. Als L zurückkommt bekomme ich meine gewohnten 200 Millisekunden und sie sitzt wieder an ihrem Tisch. Ich unterhalte mich noch eine gute halbe Stunde mit den zwei Schwestern, bis diese sich verabschieden. Ich gebe ihnen ein paar Musik-Tips mit auf den Weg und stelle mich zu einem Bekannten direkt neben L's Tisch. Nun ist es also fast geschafft. Ich habe mir zur Tarnung Reh-Ohren aufgesetzt, bin mit dem Hasen um die Wette gehoppelt und habe mit den Vögeln gezwitschert. Alle Tiere des Waldes sind jetzt meine Freunde außer Bambi. Und Bambi konnte sehen, dass ich keines davon gefressen habe. Und nun habe ich mich ganz langsam bis an den Rand der Lichtung vorgeschlichen auf der Bambi steht. Ich halte Futter in meiner zitternden Handfläche und Bambi blinzelt mich scheu an. Für 200 Millisekunden. Dann steht Bambis Saufkumpane auf und verabschiedet sich. Er geht an mir vorbei ohne mich, meine peinlichen Reh-Ohren oder das Futter in meiner Hand zu bemerken. Jetzt sind da nur noch Bambi und ich. Ich bin hochkonzentriert. Über sechs Monate Vorbereitung, endlose Gespräche mit ihren Freunden, durchkämpfte Nächte und ein riesiger Stapel Pick-Up-Bücher liegen hinter mir um dort zu sein, wo ich jetzt stehe. Und der bester Opener der mir einfällt ist:

I: Naaaaaaaaaa.....?
Bambi zuckt kurz, bleibt aber stehen und blickt starr auf ihr halbvolles Glas Wodka.

I: Was machst du denn jetzt eigentlich so, wenn du nicht hier bist....?
Ich höre was ich gerade gesagt habe und habe das unstillbare Verlangen mir eine Gabel in die Stirn zu rammen.

Bambi blinzelt mich an, greift in ihre Tasche, zieht einen kleinen Flyer heraus, knüllt ihn zu einer noch kleineren Kugel zusammen und legt diese zu dem Rehfutter in meine Hand. Ich rate drei Mal falsch was mir der Flyer sagen soll und dann beginnt doch tatsächlich Bambi mit mir zu reden.

Und Bambi hört gar nicht mehr auf zu reden. Nach einer halben Stunde steht Bambi auf, läuft quer über die grüne Lichtung zur Bar und kommt mit einem großen Glas zurück. Bambi stellt sich neben mich und hält mir das große Glas hin. Ich hebe meinen viertelvollen Whisky und denke Bambi möchte jetzt anstossen auf die neugewonnene Freundschaft mit dem zitternden Jäger mit den Rehohren auf dem Kopf. Statt anzustossen schüttet Bambi schwungvoll die Hälfte ihres Drinks auf meinen Whisky. Ich versuche trotz des Verlustes meines Whiskys freundlich zu Lächeln und Dankbarkeit vorzutäuschen. Dieses Ritual scheint etwas in der Reh-Kultur zu sein, das ich noch nicht verstanden habe. Bambi erklärt kurz und knackig:

L: Das ist Wodka mit Wasser.

I: Oh. Ok. Äääh, Danke!

Dann stößt Bambi doch mit mir an und ich beruhige mich langsam.

Nach 10 Minuten traue ich mich, mich vorsichtig neben Bambi ans Fenster zu setzen. Sie erzählt mir von ihrer großen Vision für die Welt und die Tiere des Waldes. Von ihrem Leben auf dem Bauernhof und wie sie dort weggelaufen ist. Mir kommt es ziemlich surreal vor und die Zeit scheint zu verfliegen. Irgendwann sagt Bambi, sie müsse jetzt nach Hause. Ich klopfe die Futterreste von meiner Handfläche und halte ihr freundlich die Hand hin. Bambi lehnt sich vor und küsst mich rechts und links. Ich kann gar nicht richtig reagieren so überrascht bin ich von all der Zutraulichkeit.

Ich bestelle mir noch ein Bier, setze mich an die Bar und sehe zu, wie Bambi sich von all ihren lustigen Freunden verabschiedet.

Nach dem Bier mache ich mich auf den Weg in Club1. Es ist viel zu spät und auf der Tanzfläche springen nur noch die um Aufmerksamkeit buhlenden ungefickten Reste des Abends auf und ab. Mir ist das egal, ich fühle mich wie auf Droge. Ich bestelle noch ein Bier und stelle mich an den Rand der Tanzfläche um das amüsante Paarungsverhalten einiger Teenager-Zombies zu beobachten. Als selbst die Teenager zum Kotzen oder Bumsen davongezogen sind verlasse auch ich Club1 und mache mich auf den Weg zu Club2. Dort ist mehr Publikum, aber genauso schlechte Frauenauswahl. Mir ist auch das egal. Ich habe mit der Bienenkönigin getanzt. Und mein Bier schmeckt immer noch nach Honig. Wäre tatsächlich ein schönes Mädchen da gewesen hätte ich sie bei meinem Energy-Level wahrscheinlich ohne Worte bis vor den Altar bekommen, aber es ist eher schauderhaft, was sich an diesem Morgen noch in Club2 rhythmisch zu bewegen versucht.

Gegen 7 oder 8 verlasse ich Club2 und setze mich in ein Taxi. Auf der Fahrt ruft mich Wing2 an. Ich gehe ran und höre zwei Minuten das dumpfe Stampfen eines Technobeats. Ich erkläre ihm, dass er in einem Club ist und ich ihn daher leider überhaupt nicht hören kann, wüsche ihm noch viel Spaß und Erfolg, und lege auf. Er ist doch mal wieder in seinen Absturzclub gegangen.

Es ist hell als ich mich zuhause aufs Bett setze. Ich krame die kleine Papierkugel aus meiner Hosentasche. Der Flyer macht überhaupt keinen Sinn. Für Menschen. Er ist von einem Reh und offensichtlich auch nur für Rehe verständlich.

Ich lege mich hin und träume die ganze Nacht von Zombies. Eigentlich wollte ich doch von Frauen träumen. Deswegen hatte ich doch aufgehört Pornos zu schauen. Anscheinend muss ich wieder anfangen Zombie-Filme zu sehen um von Frauen träumen zu können.

Ich hab schon ewig keinen Zombie-Film mehr gesehen. Aber als nächstes leihe ich mir erstmal Bambi aus. Den Film.

Gute Nacht.

Elia

1 Kommentar:

  1. Immer wieder ein Schmaus dein Blogeinträge.
    Machst wirklich toll
    (PuA und den Blog meine ich)

    Grüsse

    syncronisiert (ausm Forum)

    AntwortenLöschen