25. August 2013

Kill Your Dreams



I used to be a little boy
So old in my shoes
And what i choose is my choice
What's a boy supposed to do?
The killer in me is the killer in you
My love
I send this smile over to you



- The Smashing Pumpkins



This is a story of boy meets girl, but you should know upfront, this is not a love story“. Auf meinem MacBook lief 500 Days Of Summer und ich lag daneben und machte Sit-Ups. Liebesfilme und Bodengymnastik. Dass ich nicht einfach schwul geworden bin, beweist eigentlich nur, wie zynisch Gott sein kann. Ich hatte den seltsamen Traum von meiner Exfreundin gerade verdaut, als sie sich bei mir meldete (i know!). Sie piepste via Skype mitten in meinen Liebesfilm während ich auf meiner Yoga-Matte von LIDL versuchte meinem Bier-Ring zu trotzen. Es war Freitag vor fünf Wochen und meine Exfreundin erwischte mich mal wieder in einem meiner schwächsten Momente. Emotional aufgekratzt durch englische Pop-Musik und das Lächeln von Zooey Deschanel, verschwitzt und aus der Puste durch zwei Dinge, die ich gleichviel hasse, Sport und Sommer, und im bitteren Angesicht der körperlichen Folgen des Alterns und des Alkohols, hatte ich eigentlich schon verloren, als ich ihren Namen über der Nachricht las.

Sie sei in der Stadt um ein paar Freunde zu besuchen, schrieb sie mir, und ob wir uns nicht zum Brunch oder auf einen Kaffee treffen wollen. Eigentlich funktionierten alle meine Alarmleuchten wie immer, nur dieses Mal waren zu viele schwächende Elemente im Spiel. Zu den oben genannten Umständen kam noch dieser irre Traum und dazu schlängelte sich eine Mischung aus Neugier und irrationaler Hoffnung auf vertrauten Ex-Sex, staubige Gefühle oder einfach nur Hormone in mein geschwächtes Hirn. Ich tat also worin ich ohnehin gut bin. Ich redete mir etwas ein. In diesem Fall redete ich mir ein, es wären nun fünf Jahre vergangen, und ich sei ja wohl ein so reifer und erwachsener Mensch, dass ich mich ganz zivilisiert mit meiner Exfreundin zusammensetzen und über Gott und die Welt plaudern könnte. Wie kann man sich nur so selbst verarschen...

Wenn ich Fehler mache, neige ich dazu meist gleich mehrere zu machen. Daher verabredete ich mich nicht nur mit meiner Ex-Freundin, sondern ich lud sie auch direkt zum ABENDESSEN und ZU MIR ein. Den Tag verbrachte ich natürlich völlig unaufgeregt und alphamäßig mit Duschen, Rasieren, Wohnung-Aufräumen, Bett-Beziehen, nochmal Duschen und Auf-Und-Ab-Laufen. Als ich so durch meine Wohnung tigerte und darauf wartete, dass es klingelt wurde mir dann doch kurz bewusst, worauf ich mich da eingelassen hatte. Seit meine Ex vor fünf Jahren das letzte mal hier war, seit wir uns überhaupt das letzte mal gegenüberstanden, hatte ich kein einziges Möbelstück umgestellt. Nichts hatte sich verändert, nicht in meiner Wohnung und nicht in meinem Leben. „Das gibt kein besonders aufregendes Bild von mir ab“ dachte ich. Ich verfiel in leichte Panik und war bereits am Überlegen, wo ich das Sofa hinschieben könnte, als es an der Tür klingelte. Zu spät. Durchatmen.



Losing The Breakup


Wer dumm sein will muss leiden. Und so nahm das Drama natürlich seinen Lauf. Sie kam mit einem breiten Grinsen, einem kurzen Pagenkopf und einem roten Kleid (Jesus Christus!) vor meiner Wohnungstür an. Wir drückten uns (Sie ist dünner geworden) und sie lies sich auf mein Sofa fallen. Nachdem sie sich von meinem Treppenhaus erholt hatte, gingen wir in die Küche. Ich begann Tomaten zu schneiden und sie begann damit mir die Hose auszuziehen. Leider nur im sprichwörtlichen Sinne.

Mit der ersten Breitseite hatte ich ja insgeheim eigentlich schon gerechnet.


Erster Satz – Aufschlag Ex

Ex: „Darf ich mir mal die Wohnung ansehen“

I: „Ja klar“ (Oh Scheiße)

Sie kam in die Küche zurück.

Ex: „Krass. Ich fühl mich wie in einer Zeitkapsel. Da hat sich ja fast gar nichts verändert“

I: „Hehe. Ja. Verrückt, oder? Kommt einem auch gar nicht wie fünf Jahre vor... Wie die Zeit vergeht...“ (Ich brauche Alkohol!)

I: „Willst du ein Bier?“

Ex: „Oh, ja“ (Puh. Glück gehabt. Anscheinend ist es für sie auch unangenehm...)

Ich machte jedem von uns ein Bier auf. Tiefer Schluck. Das tut gut. Schnell irgendwas fragen und total entspannt und unaufgeregt wirken...

I: „Und bei dir so? Schöne Wohnung?“

Ex: „Ja. Total! Ich wohne mit meinem Freund in einer echt großen, schönen Wohnung. Fühl mich da zum ersten Mal so richtig zuhause!“ (Gut gemacht. Großartiges Thema. Ganz tolle Aktion, Mr. Soziale-Dynamiken-Und-Clevere-Gesprächsführung!)

Ich tat so als würde ich mich nur halb konzentrieren und rührte im Salat.

Ex: „Vorher war das nie so. Ich fühl mich viel wohler als bei meinem Ex“ (Ich zucke zusammen. Ach ne, das bin ja nicht ich! Die Frau hatte ja schon zwei Beziehungen während ich nur eine Therapeutin hatte...) „Bei dem war mir das irgendwie zu eng. Das konnte ja nicht klappen.“

Ich nickte, so als hätte ich total Verständnis oder auch nur den geringsten, blassen Dunst davon, wie es ist mit jemandem zusammen zu wohnen.
Ex 01 : Elia 00


Dann holte ich Teller. Wir aßen und ich musste feststellen, dass ich während des ersten Ballwechsels wohl irgendwie die doppelte Menge Ziegenkäse in den Salat geschnippelt hatte. Wir saßen also beide schweigend vor unserem Käsematsch mit Joghurtsoße und stocherten einige Minuten unsicher darin herum. „Kann ja fast nur besser werden“ dachte ich mir, nahm einen kräftigen Schluck Bier, dribbelte zwei mal und warf den Ball in die Luft.


Aufschlag Elia

I: „Ich hab gehört du hast angefangen zu studieren, als du aus Berlin weggezogen bist. Wird das so eine Endlos-Geschichte wie deine Ausbildung, oder wird das diesmal was?“

Ex: „Ne ich bin doch inzwischen schon fertig mit dem Studium“ (Scheiße. Netz. Nochmal...)

I: „Und willst du in dem Bereich jetzt auch arbeiten? Oder kann man damit eigentlich nix anfangen?“

Ex: „Doch, doch, ich hab inzwischen da auch nen ganz guten Job und bewerbe mich gerade um die Leitung. Und du?“ (Verdammt!)

I: „Ich äh-...Naja bei mir ist momentan ja bisschen die Luft raus, was meinen Job angeht. Es läuft zwar ganz gut, aber ich hab irgendwie nicht mehr so richtig Lust auf die ganze Sache...“ (Wie viel Bier hab ich eigentlich noch im Kühlschrank?)

Doppelfehler Elia
Ex 02 : Elia 00


Wir beschlossen, dass der Salat mehr gut gemeint als irgendwas anderes war, und dass wir für diese Art der Unterhaltung beide noch zu nüchtern waren. Eine Sache an der man zumindest arbeiten konnte. Das erste Bier löste sich praktisch binnen Sekunden in Luft auf. Ich betrachtete sie beim letzten Schluck durch den Boden meines Bierglases. Sie war wirklich dünner geworden. Sie war immer schon schlank, aber jetzt hatte sie etwas knochiges bekommen. Ihre Hände wirkten dadurch sehr groß und ihre Wangen schmal und leicht eingefallen. Aber durch das Bierglas hatte sie den gleichen Babyspeck wie die Kindfrau mit der ich damals zusammen war. „Hör auf damit! Du starrst einen immer noch genauso komisch an!“ sagte die Frau in meinem Bierglas. Ich ging zum Kühlschrank, zählte die Munition und nahm zwei neue Bier heraus. Ich reichte ihr die Flasche übers Netz und jeder ging wieder auf seine Seite des Platzes.


Aufschlag Ex

Ex: „Hihi, ich hatte übrigens auch kurz eine Beziehung mit einer Frau. Zwischen meinem jetzigen Freund und meinem Ex“ (Der war unhaltbar! Ich hatte nicht mal versucht ranzukommen... Punkt für sie.)

I: „Oh, echt. Und? Warum sind Männer dann doch besser?“ (Bloß weg von dem Thema Beziehungen!)

Ex: „Der Sex mit der Frau war mir einfach zu krass. Sie war mir im Bett einfach viel zu derb und brutal.“ (Zweiter Punkt für sie und ich hab jetzt Bier in der Nase. Konzentrier dich bitte mal!...)

Ex: „Und bei dir so? Was machen die Frauen in deinem Leben?“ (Oh nein! Das war's dann wohl...)

I: „Öh... Naja...Eigentlich nix. Also... Es gab da zwei – äh... kurze Affären...“ (Ok, lass es! Wenigstens hast du's versucht...)

Unangenehme Stille...
Ex 05 : Elia 00


Es blieb seltsam still. Die Balljungen rannten von zwei Seiten auf den Platz und räumten die
Salatteller ab. Ich trank mein Bier in einem großen Schluck aus. Sie lächelte mich etwas unsicher an. War das Mitleid? „Oh Gott, ich will hier weg“ flüsterte irgendjemand in meinem Kopf. Solidarisch exte sie auch. Ja, das war Mitleid. Ich ging zum Kühlschrank. Der Junge am Spielfeldrand reichte mir ein Handtuch. Ich gab ihr ihr Bier und setzte mich wieder. Schweigen im Publikum. „Los mach der Sache ein Ende“ dachte ich.


Aufschlag Ex

Ex: „Echt?... Gar nix?“ (Ich folge dem Ball mit dem Kopf, bleibe aber stehen)

I: „Ja. Gar nix.“

Sie ist fair und feiert wenigstens nicht, sondern geht nur still zu ihrem Trainer auf die Bank.

Ex 06 : Elia 00
Erster Satz: Ex


Mit Handtuch über dem Kopf saß ich auf meiner Bank und fragte mich, wie ich denn bitte auf diese scheiß Idee kommen konnte. Das wäre der Moment gewesen, in dem ich einen Herzinfarkt oder wenigstens eine Migräneattacke hätte vortäuschen sollen. Ich war zu frustriert um sinnvoll zu reagieren. Meine Ex kam zurück auf den Platz und setzte ihr Bier laut auf dem Tisch auf. Ich lächelte sie unter meinem Handtuch hindurch an. Die Spielleitung beschloss, das Match nach draussen zu verlegen und so setzten wir uns auf meinen Balkon und schwiegen in den roten Himmel über dem gelben LIDL-Schild.

Sie drückte ihre auffallend braungebrannten Füße gegen die Balkonwand und blickte dann an sich herab. Wir saßen in meinem alten Kinostuhl und unsere Arme berührten sich daher. Sie warf ihr Handtuch über einen der Blumenkästen und ich den Ball in die Luft.


Zweiter Satz – Aufschlag Elia

I: „Was denkst du?“

Ex: „Wie schaffst du es nur, sogar im Sommer so extrem blass zu sein?“

I: „... Ich...“(Ach, vergiss es...)
Ex 01: Elia 00

Langsam zeigte mein Lieblingsgetränk seine beruhigende Wirkung und ich fing an mich mit der Situation, in die ich mich selbst gebracht hatte, abzufinden. Das kleine, grummelige Goth-Kid in meinem Bauch fand natürlich sogar etwas dunkel angenehmes an dieser speziellen Mischung aus Schmerz, Nostalgie, Alkohol und Sonnenuntergang. Selbstmitleidiger, kleiner Wichser! Ich hingegen war noch nicht ganz so weit, um diesen Zustand genießen zu können. Aber das ließ sich ändern. Hoch die Tassen.

Als ich mein Bierglas wieder aus meinem Gesicht nahm, grinste mich meine Ex bereits mit ihrem ebenfalls leeren Glas in der Hand an. „Ich hol uns mal noch welche“ sagte sie und nahm mir meines ab. In der Balkontür blieb sie kurz stehen und sagte, mehr in das dunkle, leere Zimmer als zu mir „ich weiß, dass ich damals ziemlich scheiße war; aber ich hab's zehnfach zurückbekommen, falls dir das hilft“. Ich wollte antworten, aber konnte nicht. Sie ging und ich blieb mit einem dicken, trockenen Tennisball im Hals auf meinem Balkon zurück. Mein Magen zog sich zusammen und es fühlte sich an, als würde ich mich nochmal von ihr trennen. Ich sah sie durch mein Küchenfenster an meinen Kühlschrank gehen, und bemerkte, wie weit weg ich für sie inzwischen war und wie beängstigend nah sie immer noch für mich.
Für mich war sie nach wie vor einer der ganz wenigen Menschen, den man für die gleiche Sache lieben konnte, für die man sie auch hasst.

Sie kam zurück und die Sonne verschwand endgültig. „Ich bin schon ganz schön betrunken“ lachte sie. Ich war mir nicht sicher, ob mir diese Information helfen würde. „Sie mal“ sagte sie und zog ihr Kleid bis über die Hüfte hoch. Sie hatte einen riesigen blauen Fleck auf ihrem Oberschenkel. „Was hast du denn da gemacht?“ fragte ich. „Ich hab keine Ahnung“ antwortete sie „ich muss wohl gestern so betrunken gewesen sein, dass ich mich irgendwo gestoßen habe, ohne es zu merken“. Sie schien ziemlich viel zu trinken. Ganz so glatt und glücklich lief ihr Leben wohl doch nicht.

Sie erzählte mir zwei ziemlich eklige Ketamin-Geschichten. Die eine endete mit dem Verlust ihres Führerscheins und die andere mit einem selbstgestochenen Tattoo, das aussah als hätte sie eine Fliege auf ihrem Bein erschlagen. Der Linienrichter war sich unsicher, entschied aber auf 'Borderline' und wertete drei Punkte für mich. Ich schöpfte wieder Hoffnung. Doch Beziehungs-Tennis ist eine brutale Sportart, und meine liebe Ex hatte offensichtlich nicht vor, dieses Spiel zu verlieren. Wir saßen beide noch etwas verwirrt von dem vielen Ketamin nebeneinander und das Publikum wartete auf die Entscheidung. „Du hast“ sagte ich. „Was?“ fragte sie unsicher. „Na Aufschlag“ antwortete ich und dann vernichtete sie mit der gleichen trockenen Lässigkeit erst ihren letzten Schluck Bier und dann meinen kleinen Funken Hoffnung auf einen Sieg.

Sie drehte sich nicht einmal zu mir um, als sie mich fragte, was ich davon halten würde, dass ihr Freund so fixiert auf eine bestimmte sexuelle Praktik sei, sie aber eigentlich gar keinen Spaß daran habe. Vielleicht wollte sie aber auch einfach nur nicht mit ansehen, wie brutal und mit welcher Wucht mich ihr Schmetterball vom Platz und in die hinterste, dreckigste Ecke der Friend-Zone ballerte. Mein Schläger fiel zu Boden und blieb an der Stelle liegen, an der ich gerade noch gestanden hatte. Selbst im Publikum drehten sich einige angewidert ab und meinem Management wurde hinterher von Zuschauern berichtet, die sich übergeben mussten. Ich selbst war für über zwei Minuten bewusstlos und als ich wieder zu mir kam, mussten zwei Balljungen mich die Strecke bis zum Platz tragen. Am Spielfeldrand bestand ich darauf alleine zu gehen, aber ich will ehrlich sein: Ich betrat den Platz auf allen Vieren. Das Spiel war vorbei, ich hatte verloren und meine Ex war in die Küche gegangen. Ich zog mich gerade am Netz hoch, als sie zurückkam. „Wir haben nur noch ein Bier“ verkündete sie leicht panisch und fragte dann mit einem breiten Lächeln „wollen wir noch in deine Lieblingsbar gehen?“

Was ich mir dachte, als ich zu diesem Vorschlag ja sagte, weiß ich leider nicht mehr, wahrscheinlich war es die Hoffnung auf einen Vollrausch, der meine Erinnerung an diesen Abend löschen würde. Wir gingen zusammen zum nächsten Späti. Sie zahlte unser Wegbier. Mitleid vermute ich. Ich muss furchtbar ausgesehen haben. Wir kamen gegen 1:00Uhr in der Stammbar an und hinter dem Tresen begrüßte mich BAMBI. Wie absurd konnte es noch werden? Ich stand mit der einen Irren vor der anderen Irren und mein Hirn bettelte um Alkohol. Nachdem meine Ex sich auf dem Weg bereits über meine Hose lustig gemacht hatte, waren nun meine Schuhe dran. Mit war alles egal. Wir setzten uns in die dunkelste Ecke der Stammbar und der letzte Satz, den sie sagte, bevor sie anfing zu lallen war „ich bin wirklich froh, dass ich einen Freund habe, der mich im Bett unterwirft“.

„Ja, das ist wirklich fein für dich“ gratulierte ich ihr „ich glaube wir sollten mal ein bisschen an die frische Luft“. Selbst nach fünf Jahren erkannte ich noch sofort, wann sie ihre Grenze erreicht hatte und ich wollte keinen Systemausfall meiner Ex in meiner Stammbar riskieren. Wir nahmen unser Bier mit, setzten uns neben der Stammbar in eine Einfahrt, sie legte ihren Kopf auf meine Schulter, lallte etwas in mein Hemd und trat dann ihr Bier um. Da war sie also wieder. Genauso broken und verletzend wie damals. Nur dass ich in den letzten fünf Jahren all diese beschissenen Seiten an ihr vergessen hatte, wie man es eben mit Ex-Freundinnen oft macht. Sie kippte nach vorne und lag jetzt quer über meinem Schoß. Ihr Bier lief langsam in die Tiefgarage neben uns. „Ich glaube ich sollte jetzt nachhause gehen“ sagte sie leise zu meinem Knie. Ich streichelte ihr über den Kopf. Ich hatte vergessen, wie weich ihre Haare waren. „Ja, das ist eine gute Idee“ sagte ich.

Ich brachte sie bis zur U-Bahn. Kurz vor den Treppen sagte sie plötzlich etwas aufgebracht „weißt du was? Ich habe dich nie betrogen, solange wir zusammen waren“. Wir standen direkt am Abgang. Der warme U-Bahn-Wind blies von unten. „Was?“ sagte ich völlig überfordert von ihrer Ansage „hattest du mir nicht nach unserer Trennung gestanden, du hättest schon im ersten Jahr mit deinem Ex-Freund geschlafen?“. Sie ging die ersten Stufen gefährlich schnell hinunter, drehte sich nicht um und rief auf der Mitte der Treppe „Ja. Aber das war gelogen! Ich wollte nur deine Aufmerksamkeit!“. Die letzten drei Stufen nahm sie mit einem großen Sprung und verschwand dann um die Ecke. Ich stand mit meinem Bier in der Hand oben an der Treppe und sah völlig verständnislos auf den kleinen gelben Ball, der vor mir die Stufen hinunter sprang. Dann betrank ich mich furchtbar. Ich tanzte mit keiner Frau, knutschte mit niemandem rum, ging allein auf Toilette und genauso nachhause, aber der Film riss.



Finale


Am nächsten Morgen ging es mir denkbar scheiße. Mein Magen und mein Kopf fühlten sich an, als hätte ich gesoffen (komisch...), aber dazu kam ein fieser emotionaler Down wie bei einem Ecstasy-Kater. Auf dem Weg ins Bad fiel mein Blick auf einen kleinen Karton, der auf meinem Sofa lag. Verdammt! Sie hatte etwas hier vergessen! Kaum lag ich wieder in meinem Bett piepste auch schon die erklärende SMS. „Sorry, hab das Geburtstagsgeschenk für meinen Freund bei dir gelassen. Gib bescheid, wenn du ausgekatert hast, dann hol ich es ab!“ Ich wollte erst lachen, aber mein Kopf tat zu sehr weh. Ich schrieb ihr, sie solle am Nachmittag vorbei kommen.

Sie erschien in einem Outfit wie aus einem 80er-Jahre Aerobic-Video mit einem Shirt, durch das man ihre Nippel lächeln sehen konnte. Wir setzten uns in die Küche, tranken Tee und waren beide gleich wortkarg. Ich musste an Erich Kästner denken. ...und rührten in ihren Tassen...

Sie sagte, sie wollte noch eine Suppe essen gehen. Beim Türken gegenüber. Das war natürlich gemein von ihr. Wir hatten dort zwei Jahre lang die beste Linsensuppe der Welt geschlürft. Ich konnte nicht anders und sagte natürlich ich würde mitkommen. Dann saßen wir beim Türken und ich sah ihr dabei zu, wie sie Linsensuppe aß und es schnürte mir den Hals zu. Als wir gingen legte sie ihren Arm um mich und sagte seltsam laut und betont „Ach, Elia!“. Ich konnte sie nicht ansehen. Ich wollte nur noch in mein Bett. Vor meiner Haustür verabschiedeten wir uns. „Mach keinen Scheiß“ sagte ich. „Mach du mal ein bisschen mehr Scheiß“ sagte sie und lächelte wieder so komisch mitleidig; dann drehte sie sich um und ging.

Als ich in meiner Wohnung ankam war mir schlecht und ich fiel für 20 Minuten in ein tiefes Loch. Das Loch kam mir ziemlich bekannt vor. Ich konnte meinen Namen an den Wänden lesen, weil ich schon Wochen und Monate in diesem Loch verbracht hatte. Ich hätte nur nicht gedacht, dass ich nochmal wiederkommen würde. Als ich wieder herausgeklettert war, schrieb ich ihr von dem Loch. Sie schrieb zurück, dass es ihr leid täte, aber dass sie weiter müsse. Weg aus Berlin; zurück in ihr Leben. Und dann schrieb sie noch, dass das jetzt sicher voll eso-mäßig klingen würde, aber dass ich auch zurückkommen solle; in meinen Körper, da würde es mir bestimmt besser gehen. Danach war ich mir endgültig sicher, dass ich diese Geschichte so extrem in die Scheiße gesetzt hatte, dass es wohl in der Geschichte des Schlussmachens nie mehr jemandem gelingen würde so etwas noch mehr in die Scheiße zu setzen.



Inzwischen ist über ein Monat vergangen und ich habe reichlich darüber nachgedacht, was ich daraus gezogen habe und ob ich die Geschichte überhaupt aufschreiben will. Im Grunde genommen, gibt es nicht viel was man daraus lernen kann. Seine Ex-Freundin zu treffen ist wohl selten eine gute Idee. Seine Ex-Freundin zu treffen, während man selber Single und sie in einer glücklichen Beziehung ist, ist wohl immer eine sehr dumme Idee. Mit seiner Ex-Freundin eine ganze Nacht zu trinken, bis sie anfängt einem Dinge zu erzählen, die man nie wissen wollte ist mit Sicherheit die dümmste aller Ideen. Trotzdem gibt es Ex-Freundinnen, die einen unterbewusst lange verfolgen und mit denen man noch jahrelang eine Art Verbindung hat, selbst wenn diese nur einseitig existiert und man sich nie spricht oder sieht. Man hat so etwas wie einen Geist aus ihnen gemacht und der spukt dann in Träumen und Gedanken, bis man ihn austreibt. Ich habe inzwischen das Gefühl, dass meine Ex für mich nach unserem Treffen ein ganzes Stück weiter weg gerutscht ist. Ich werde sie sicher nicht vergessen, aber darum geht es auch nicht. Wichtige Menschen vergessen wir niemals. Es geht aber darum, das Bild, den Geist, den ich aus ihr gemacht hatte los zu werden. Den komischen Traum einer Rosarot-Version von einem Menschen zu killen, den es so eigentlich schon damals nur in meinem Kopf gab. Und manchmal muss man dafür eben auch viel Scheiße fressen. Oder viel Bier trinken. Oder einen Tennisball verschlucken.



Elia

24. Juli 2013

Träume sind Schweine

Was war das denn bitte? Da lag ich doch heute morgen um 8:30Uhr (absurd früh für mich) mit aufgerissenen Augen in meinem Bett. Ich wurde von meinem eigenen Traum geweckt. Oder hatte ich versucht mich in den Wachzustand zu retten? Ich war völlig verwirrt.

Eigentlich soll man Träume ja nicht aufschreiben, hatte mir meine Therapeutin mal erklärt, da der Körper versucht zu 'verarbeiten und abzusortieren', und man ihn dadurch hindert, zu vergessen. Aber was für ein ekliger Traum war das denn bitte? Ich hatte geträumt, ich sei zur HOCHZEIT meiner Ex-Freundin eingeladen. Allein das spricht ja schon Bände, zumal wir seit fünf Jahren praktisch keinen Kontakt haben. Aber jetzt kommt's richtig dicke: In meinem Traum wird meine Ex kurz vor ihrer Hochzeit ins Krankenhaus eingeliefert, da sie plötzlich ein Kind von ihrem Zukünftigen bekommt. Und so liege ich also, in meinem Traum, neben meiner Ex-Freundin in einem Krankenhausbett, sehe ihr tief in die Augen und fange an ihr zu erklären, dass ich ihr verziehen habe und ihr das Beste wünsche und ähnlich seltsam schnulzigen Schmonz. Ich meine, was ZUR HÖLLE soll das denn, bitte? Von der Ex-Freundin träumen, schön und gut, aber wie wäre es dann bitte mit einem ordentlichen Sex-Traum? Aber nein, meinereiner muss natürlich eine Rosamunde-Pilcher-Version von 'William&Kate&Kates Ex' zusammenträumen, dass es schon nicht mehr feierlich ist! Ich meine, machen sich jetzt schon meine Träume über mich lustig? Bin ich so eine Pussy geworden, dass jetzt endgültig meine 'biologische Uhr' tickt? Mit 34? Werd ich demnächst scheinschwanger? Und was macht überhaupt meine Ex-Freundin nach fünf Jahren immer noch in meinen Träumen? Hat die keine eigenen Träume?

Ich stand dann heute morgen wirklich erstmal eine halbe Stunde vor meinem Espresso-Kocher und habe überlegt, ob es nicht doch besser wäre, wieder das Kiffen anzufangen. Wenn das jetzt in Zukunft meine Träume sein sollen, dann Nein Danke! An ihrem Hochzeitstag neben einer gebärenden Ex-Freundin liegen und ihr alles Gute wünschen? Hallo! Geht's noch? Dann doch lieber gar nix träumen!

Aber ich weiß schon, wem ich das zu verdanken habe!
Die alte Zumpfel hat mich doch neulich angeskypt, um mich mal wieder zu fragen, was für Filme ich zu empfehlen hätte, und dann im Nebensatz ganz unverblümt fallen zu lassen, dass sie ja inzwischen doch gerne mal Nachwuchs hätte, aber ihr Boyfriend das mit der Kohle und dem Nestbau ja nicht so ernst nimmt... Eigentlich hatte ich richtig reagiert und ihr erklärt, dass wenn sie mir verspricht, dass ich es ihrer Mutter sagen darf, wir das mit dem Baby gerne machen können. Aber im Grunde bin ich ja selber schuld, wenn ich mir so einen Schwachsinn reinfahr! Ich hätte sie wohl schon lange auf Skype blockieren sollen. Filmtipps! Nicht zu fassen!

So, der Kaffee ist getrunken und ich hab mich ausgekotzt.

Meine Therapeutin hat versagt! Amateurin! Aber das hat sie jetzt davon, dafür schreib ich jetzt eben
doch meine Träume auf. Kann ja eigentlich nicht schlimmer werden. 'Verarbeiten und absortieren'!.... Pfff...My Ass!


23. Juli 2013

Schwule Mädchen

„Boaisdie-sssschön!“ lallt mir Wing3 ins Ohr, während das kleine Mädchen mit der Flechtfrisur an uns vorbei aus der Bar geht. Er ist extrem betrunken und in diesem Zustand ziemlich schwer. Zumindest wenn er sich, wie jetzt, förmlich an meiner Schulter hochziehen muss um mir etwas zu sagen. „Ja ist sie. Aber die steht nicht auf Männer“ antworte ich, ohne mich zu ihm umzudrehen. Ich genieße den Anblick trotz besserem Wissen. Erst als sie zur Tür raus ist, drehe ich mich zu Wing3 der jetzt immer noch auf den Ausgang starrt. Ich versuche mich direkt an sein Großhirn zu wenden, indem ich mich in sein Blickfeld stelle und seinen Kopf mit beiden Händen fixiere. „Hey, Alter! Die steht auf Mädels, glaub's mir. Ich hab sie vorhin mit der kleinen Schwarzhaarigen draußen so diskutieren sehen, wie nur Pärchen diskutieren. Sie ist lesbisch! Auch wenn sie Stress mit ihrem Girlfriend hat, wird sie wohl kaum heute Nacht ihre sexuelle Orientierung überdenken“. Ich sehe in seine glasigen Augen. Die Worte scheinen grundsätzlich angekommen zu sein. Sie müssen aber irgendwo zwischen seinem Innenohr und seinem Hirn Pause gemacht haben, denn es ist keinerlei Reaktion in seinem Gesicht zu erkennen. Er sieht auf diese komische Art verliebt durch mich hindurch, auf die nur Betrunkene verliebt sein können, und auch die nur für den kurzen Moment für den sie glauben zu wissen, dass dieses eine Mädchen, genau heute Nacht, genau jetzt, an ihnen vorbeigelaufen ist, weil sie es ist, die Eine.



Der Abend hatte sehr ruhig begonnen. Ich hatte mich mit Wing1 in der Stammbar verabredet und gelangweilt ein paar Bier getrunken, bis uns besagtes Mädchen auffiel. Sie entsprach äußerlich so exakt meinem Beuteschema, dass wir nichts sagen mussten und trotzdem sofort beide wussten, was Phase war. Sie stand draussen vor der Bar und gestikulierte wild. Aus der Bar heraus konnten wir weder hören, was sie sagte, noch sehen mit wem sie so aufgebracht diskutierte. Erst als die beiden Streithähne schweigend hintereinander in die Bar zurück trotteten, sahen wir das zweite Mädchen. Sie war im gleichen Alter und fast genauso hübsch, wie ihre Freundin. Ich kann nicht genau sagen, ob es nur die Art war, wie die beiden miteinander stritten, oder noch andere Indizien dazu kamen, jedenfalls schlug mein Lesben-Radar deutlich aus. Ich benötigte ein Frust-Bier, um wieder woandershin sehen zu können. Wir saßen noch eine ganze Weile an der Bar, bis Wing1 sich verabschiedete, um in den Absturzclub weiterzuziehen. Fast zeitgleich erschien Wing3, merklich vorbetankt wie immer. Ich machte mit ihm also direkt da weiter, wo ich mit Wing1 aufgehört hatte. Ich musste aber schon nach kurzer Zeit feststellen, dass er in einem noch verheerenderen Zustand war, als ich angenommen hatte. Er hatte sich offensichtlich bereits über den „Talky-Mode“, wie ich ihn nenne, hinübergetrunken und war in der Phase angekommen, in der die meisten eher still werden und auf ihr Bier starren. Dann kam Sie.
Sie lief an uns vorbei und Wing3 fuhr hoch, wie ein Junkie, dem der Notarzt die reanimierende Ladung Adrenalin gespritzt hat. Er war plötzlich wieder voll da.

Wäre ich mir nicht so verdammt sicher gewesen, hätte ich ihn natürlich niemals zurückgehalten. Der Mann war im perfekten Zustand um alles und jeden anzusprechen, solange er sich dabei nur irgendwo hätte festhalten können. Aber aus meinem Blickwinkel hatte ich die Schönheit auch schon eine ganze Weile dabei beobachtet, wie sie sich mit ihrer Begleitung wieder versöhnt hatte und war mir einfach zu sicher, dass er ohne Geschlechtsumwandlung bei ihr heute Abend keine Chance haben würde. Letztendlich war es aber auch ganz egal, denn seit er sie gesehen hatte, kam bei meinem lieben Bargenossen sowieso nichts von all dem mehr an, was ich zu sagen hatte. Ich redete also noch eine knappe viertel Stunde mit seinem Gesicht und trank mein Bier aus. Dann ging ich kurz zur Toilette. Ich hätte wissen müssen, was nun kam.

Als ich zurückkehrte, war der Barhocker, auf dem Wing3 gerade noch gesessen hatte verlassen. Ich ließ meinen Blick kurz durch den Raum wandern und entdeckte ihn schließlich. Er saß zwischen(!) den beiden Mädels und redete unter seinen halb geschlossenen Augenliedern hindurch mit der hübscheren von beiden. „Oh, well...“ dachte ich mir und gesellte mich kommentarlos zu dem seltsamen Trio. Als ich mich gerade setzte, blickte Wing3 kurz hilflos zu mir hoch und ich hörte, wie die hübsche Kleine ihm gerade, mit der sanften Betonung einer Kindergärtnerin, erklärte „Yes, but as i told you allready, we are lesbians“. Ich war zu gespannt auf den Fortgang dieser Unterhaltung, um irgendetwas sagen zu können. Ich nickte den beiden Mädels freundlich zu und wartete darauf, dass Wing3 etwas sagen würde, aber der starrte mich nur ausdruckslos und traurig an. Nach einer Pause, die mir endlos erschien, drehte er sich langsam wieder zu seiner Traumfrau um, und antwortete „Yea, ok.... Ok. But... Ähm... But, what about a threesome?“.

Ich konnte es selbst kaum glauben, und dem Ausdruck in ihrem Gesicht nach, musste auch das Mädel erst kurz überlegen, ob sie sich vielleicht verhört hatte. Ich war fast ein wenig stolz auf Wing3. Er hatte es in seinem Suff-Hirn doch tatsächlich geschafft, noch einen letzten Funken Hoffnung, einen letzten kleinen Weg zu finden, um vielleicht doch noch Sex mit einer Frau haben zu können, die ihm gerade erklärt hatte, dass er zwischen ihr und ihrer Lebensgefährtin saß. Fast mittleidig legte sie ihren Kopf etwas schräg, bevor sie ihm antwortete „No. No, i'm sorry. No threesomes“. Man konnte fast hören, wie ein Trinkerherz brach und ein weiterer großer Traum der Menschheit beerdigt wurde. Es folgte ein geradezu andächtiger Moment der Ruhe zwischen den Dreien. Wing3 brauchte ein paar Sekunden um zu trauern und die Mädels suchten den Raum wahrscheinlich insgeheim nach versteckten Kameras ab. Ich entschloss mich, diesem zwischenmenschlichen Drama einen Ausweg zu bieten. „Hi, i'm Elia“ stellte ich mich vor. So was wie Erleichterung machte sich bei den Mädels breit, während Wing3, immer noch in sich zusammengesunken da saß. Mit ihm war für heute wohl nicht mehr zu rechnen, und so begann ich ein wenig Smalltalk um von der menschlichen Tragödie unter uns abzulenken.

Es stellte sich schnell heraus, dass die hübschere von beiden zufällig den gleichen Job hatte wie ich, und so entstand blitzschnell eine sehr angeregte Unterhaltung, wenn auch über ihre Freundin und die Reste meines Freundes hinweg. Wing3 sagte nicht nur nichts mehr, er bewegte sich auch nicht mehr, seit er erfahren hatte, dass es heute keinen Sex mehr geben würde. Wozu auch?
Nachdem ich mich eine ganze Zeit sehr gut mit den Mädels unterhalten hatte, stand er dann aber urplötzlich doch ganz langsam auf. Wie ein Zombie oder ein Narkosepatient machte er vier Schritte von uns weg, und ließ sich zwei Meter weiter erschöpft auf eine Bank fallen. Er lehnte seinen Kopf gegen die Wand und schloss die Augen. Wir betrachteten das Schauspiel alle kurz und setzten dann unsere Unterhaltung fort. Ich setzte mich jetzt zwischen die Beiden, da keine von ihnen Anstalten machte, aufzurutschen. Nach einer halben Stunde fragten wir etwas besorgt bei Wing3 nach, ob er sich nicht doch wieder zu uns setzen wolle. Er öffnete kurz die Augen, aber verneinte. Stattdessen stand er zwei Minuten später auf, verabschiedete sich kurz (bei mir, nicht bei den Mädels) und ging nachhause. Er wirkte gebrochen. Also deutlich gebrochener als sonst. Er hatte mutig und hoch gepokert und war mit all der Euphorie, mit all dem Endorphin, und Adrenalin, und was sein kleiner Körper sonst noch so produziert hatte, und mit ganz viel Anlauf gegen eine regenbogenfarbene Wand gerannt. Ich blickte ihm noch kurz nach, dann setzte ich mein Gespräch fort. Die beiden waren tatsächlich ziemlich witzig, und ich konnte mit der Hübscheren endlos über unseren Job philosophieren.

Es war der Höhepunkt unseres Gespräches, ich war gerade richtig in Fahrt und gestikulierte wild, als mir auffiel, dass die zwei Mädels mich gar nicht mehr ansahen, während ich meinen Vortrag hielt. Stattdessen blickten sie beide auf meine Hand, oder besser gesagt, auf meinen Ärmel, oder noch besser gesagt, auf das Kabel, das aus meinem Jackenärmel hing und an dessen Ende dieses kleine Mikrofon baumelte und durch die Luft wirbelte, während ich sprach.
Hupsi!... Das Teil hatte ich ja völlig vergessen! Und jetzt starrten wir es alle drei an....
Ich überlegte kurz, nahm dann das Mikrofon und klemmte es einfach kommentarlos wieder an meinen Jackenärmel. Dann sprach ich weiter, als wäre nichts gewesen. Zu meiner Überraschung reagierten die Mädels kein bisschen und fragten auch nicht nach. „Eigentlich auch logisch“ dachte ich mir erleichtert „wer würde auch auf die Idee kommen, dass ein Typ nachts in einer Bar seine Gespräche mit einem Mikrofon im Ärmel mitschneidet. Welcher Vollpsycho würde denn so eine Scheiße machen?“

Es wurde noch ein sehr langes und lustiges Gespräch, an dessen Ende wir Nummern und Mailadressen tauschten, da die Kleine mir unbedingt Arbeiten von sich schicken wollte. Aus 'PUA-Sicht' hatte ich voll versagt und die halbe Nacht mit zwei Lesben verplempert. Als Nice-Guy verstehe mich aber logischerweise auch einfach zu gut mit schwulen Mädchen. Wir verabschiedeten uns und ich zog weiter in den Absturzclub.



Ich habe mir gerade nochmal schnell einige Stellen meiner Aufnahme aus dieser Nacht angehört. Inzwischen kann ich das sogar fast ohne aus dem Zimmer gehen zu wollen. Erstaunlicherweise war es gar nicht so spät, als ich in den Absturzclub ging und ich hatte dort noch einige Stunden reichlich Spaß (auch wenn ich mich nicht an jedes Gespräch erinnern konnte). Ich flirtete lange mit einem Mädel am Eingang, traf Wing1 wieder, flirtete mit einer großen Blonden, die ich eigentlich für ihn anquatschen sollte (ich Kameradenschwein) und betrank mich zu guter Letzt mit BALU an der Bar. Alles in allem ein sehr lustiger Abend. Trotzdem war das Gespräch mit der hübschen, lesbischen Kollegin für mich der beste Teil. Wir haben uns noch ein paar Mal geschrieben, und sie ist wirklich gut in ihren Job. Vielleicht sieht man sich ja auch demnächst mal wieder in der Stammbar und führt ein gutes Gespräch. Ganz ohne Reinstecken.

Wie immer.



Elia


21. Juli 2013

Theorie-Update: Tucker Max

Immer wenn ich gestern die Augen aufmachte, sah ich den Wildwuchs auf meinem Balkon gegen den blauen Himmel und konnte feststellen, dass die Sonne wieder ein Stück weiter an mir hochgewandert war. So verbrachte ich den gesamten Tag. Der pulsierende Schmerz in meinem Kopf lies leider keine andere Aktivität zu. Schmerzfrei war ich erst gegen 21Uhr und da hatte ich dann aber auch keine Lust mehr noch etwas produktives aus den letzten Stunden des Samstags zu holen. Wie man jetzt recht leicht schlussfolgern kann, war ich Freitag seit langem mal wieder aus und musste nicht nur feststellen, wie schnell man, nach einer 4-Wöchigen Club- und Bar-Pause, aus seiner Ansprechroutine raus ist und wieder böse AA mit sich herumschleppt, sondern auch, wie schnell man aus dem Trinktraining ist und wie fies einem, wenn man um 18Uhr schon anfängt, gegen 3Uhr das 8te, 9te oder 10te Bier doch die Füße wegzieht. Auf dem Nachhauseweg machte ich dann auch noch jeden morgendlichen Passanten durch meinen berühmten, extrem lauten und nicht zu unterdrückenden, Bier-Schluckauf auf mich aufmerksam. Ich war Eindeutig nicht mehr im Training.

Was mir in meinem Bierkater gestern allerdings themenbedingt doch noch einfiel, war dass ich ja nicht nur mit meinen Field Reports fast einen Monat hinterher hinke, sondern dass ich auch schon einige Buchbesprechungen im Verzug bin und dass nun eigentlich Tucker Max dran wäre, besprochen zu werden. Thematisch passt das natürlich hervorragend zusammen, denn bei Tucker Max geht es prinzipiell eigentlich fast nur ums Saufen. Dass dabei im Verlauf immer mal wieder einige Mädchen abgeschleppt werden, kann genauso direkt auf den stets fast komatösen Alkoholpegel des Protagonisten zurückgeführt werden, wie seine regelmäßigen, unkontrollierten Kotz- und Scheiß-Attacken in fremden Betten oder an öffentlichen Orten. Für schwache Mägen ist das Buch 'I Hope They Serve Beer In Hell' von Tucker Max also mindestens so falsch wie der darin recht unverhohlen abgefeierte Konsum großer Mengen des genannten Erfrischungsgetränks.

Als ich anfing darin zu lesen hatte Tucker Max meine grundsätzliche Sympathie recht schnell alleine schon damit gewonnen, dass er zu Beginn jeder (angeblich wahren) Geschichte erstmal, durch eben völlig unverhältnismäßigen Alkoholkonsum, dafür sorgt, jede zivile Ordnung und deren Regeln in seiner Umgebung aufzuheben und einen extrem explosiven, anarchischen Ausnahmezustand herzustellen. Er schien mir ein vernünftiger, junger Mann zu sein. Was mich allerdings recht schnell nervte, war die Tatsache, dass er in seinen Erzählungen eben auch genau bei diesem Ablauf (Saufen-Kotzen-Ficken, oder Saufen-Ficken-Kotzen) bleibt und die Geschichten sich irgendwann endlos zu wiederholen scheinen. Ich fühlte mich an einige Field-Report-Sammlungen von bekannten, oder weniger bekannten, PickUp- und Forums-Helden erinnert und reagierte auch irgendwann ähnlich genervt auf die zwanzigste Wiederholung. Was Tucker Max, genauso wie viele PickUp-Autoren, vermissen lässt, sind Einblicke in seine Gefühls- und Gedanken-Welt. Vielleicht ist das aber auch gar nicht zu seinem Nachteil, denn wenn er den Leser, in einigen kurzen Passagen, mal einen Einblick in seine Gedanken gewährt, lassen die meist auf ein erschreckend flaches Gewässer schließen.

Als 'Hobby-Barfly' fühlte ich mich dann aber doch das eine oder andere Mal auch ein wenig ertappt. In einem der ersten Kapitel analysiert er den Zusammenhang zwischen Flirt- und Trink-Verhalten seines guten Freundes 'SlingBlade' recht kurz und treffend:
I think it was George Burns who said, „It takes only one drink to get me drunk. The trouble is, I can't remember if it's the thirteenth or the fourteenth.“ The same could be said for SlingBlade about hooking up. For him to hook-up he has to perfectly hit his drinking sweet-spot. It's got to be enough alcohol that he is truly fucked up, but not so much that he loses control. The problem with this is that his tolerance is terrible, which leaves him without much margin for error. If he doesn't drink enough he still thinks the woman is a slut and he won't touch her, but if he drinks too much he throws up and/or passes out. It's a delicate balance to get him into his Hook-up Zone.“
Natürlich halte ich Frauen im nüchternen Zustand nicht für Schlampen. Aber ich kennen die Herausforderung, den schmalen Grad, den magischen Pegel, den perfekten Zustand zu finden, in dem man Frauen anspricht als würde man nie etwas anderes tun, und der kleine, sozial untaugliche Arsch, den man sonst gerne im Kopf hat, geknebelt und gefesselt unter der Bar liegt.

Tucker Max hat ein Problem mit Frauen. Das hätte man sich denken können. Auch wenn er darüber nicht schreibt, lässt es sich ziemlich leicht herauslesen. Und in seinem Fall, wie in vielen ähnlichen Fällen, fehlt der Respekt für Frauen ganz einfach dadurch, dass er keinen Respekt vor sich selber hat. Würde man in solch dummen Kategorien denken, wäre Tucker Max eine klassische 'LSE-HD'. Er mag sich selber nicht und folglich kann er sich nicht erklären, warum irgendeine Frau ihn mögen könnte. Wenn also eine Frau mit ihm nachhause geht, kann sie nur eine dumme Schlampe sein. Wenn einem der natürliche Respekt vor der eigenen Person fehlt, kann man sich seinen Wert nur noch durch die zählbaren Reaktionen der Außenwelt beweisen, durch die berühmten 'Kerben in der Bettkante'. Wenn man andere Menschen aber auch kaum respektiert, benötigt man viele, und immer wieder neue, 'Kerben' um den eigenen Wert zu spüren:
I don't know exactly how many girls I've slept with, but it's well into the triple digits. You start to forget a few last names somewhere in the 30s, some first names around the 60s, and entire girls altogether somewhere around the 90s, but no matter how much or how many you fuck, some are just unforgettable.
This particular girl, 'Candy,' I met while working in Cancun. I was so busy fucking her sorority sister, I didn't hit on her until the day before she left, but she was having none for me. I figured that she just respect herself and didn't want to fuck someone like me...“

Der fehlende Respekt vor anderen Menschen, speziell Frauen, wird besonders deutlich an einer Stelle des Buches an der Tucker Max beschreibt, wie er einen Bekannten in seinem Schrank versteckt, um heimlich und ohne ihr Mitwissen ein Mädchen zu filmen, während er Sex mit ihr hat. Doch wie an allen anderen Punkten, an denen der moralische Abgrund in den er ja auch selber, spätestens beim Schreiben, blicken muss, so tief und schwarz wird, dass er sich doch genötigt fühlt etwas zu erklären, flüchtet er in eine seltsam stilisierte Position des 'schlechten', 'verdorbenen', 'unmoralischen' Antihelden, der sich aber eigentlich doch unübersehbar für seinen 'sicheren Platz in der Hölle' abfeiert und heimlich auf Applaus schielt:
I am a bad person. At 21, I was possibly the worst person in existence. I had no regard for the feelings of others, I was narcissistic and self-absorbed to the point of psychotic delusion, and I saw other people only as a means to my happiness and not as humans worthy of respect and consideration.“

Und genau diese Art der Stilisierung wiederholt Tucker Max bis zum, von ihm so geliebten, Erbrechen. Nur dass in diesem Fall der Leser derjenige ist, der sich über die Kloschüssel retten muss. Und nachdem er sich irgendwann zum hundertsten Mal grinsend und unkreativ seine immer gleichen, verbalen Teufelshörner aufgesetzt hat und sich damit aber dann doch ziemlich cool fühlt, möchte man ihn eigentlich schon lange fragen, warum er das alles denn dann überhaupt tut? Genau diese Frage beantwortet Tucker Max aber, ohne es zu merken, eigentlich ständig selbst. Im Grunde ist sein 'Problem' ein hasserfülltes Selbstbild, was zu einem hasserfüllten Frauenbild führt. Und wie bei fast allen Männern, die mit einem derart miesen Frauenbild durch die Welt rennen, ist dieses nur die logische Folge eines genauso spießigen und negativen Männerbildes. Denn Tucker Max ist kein Freigeist, der freie Liebe und befreite Sexualität fordert. Für ihn sind Frauen, die sich mit Männern wie ihm vergnügen, weiterhin billige, unreine Schlampen und Männer, die sich wie er verhalten, eben einfach nur 'schlecht'.
Look, I know how bad some of these stories are. I know that in return for my youthful behaviour, fate will give me five daughters and make them all vicious sluts who sleep with guys like me an then throw it in my face. I know that in any cosmically just afterlife, I deserve to have all order of awful punishments waiting for me...“ und so weiter, und so weiter, und so weiter...

Im Grunde erklärt uns Tucker Max aber durch seine Gedanken zu Frauen, und warum diese mit 'Typen wie ihm' schlafen, unfreiwillig ganz von selbst, seine eigenen Ego-Probleme, und die von wahrscheinlich vielen Männern, die ihre Bestätigung darin suchen, dass möglichst viele Frauen bereit sind mit ihnen zu schlafen und darin, dies dann natürlich möglichst vielen Männern mitzuteilen. Auf beiden Seiten sind es eben oft sehr schwache Egos, die sich gegenseitig versuchen, am jeweils Anderen, und dessen Bereitschaft, doch tatsächlich mit diesem nackigen, kleinen Ego Sex zu haben, hochzuziehen. Und in dieser Tatsache gleicht Tucker Max, und alle seine Klone, eben der neunzehnjährigen Stephanie aus seinem Buch, sie nutzen sich eben nur gegenseitig als Trophäen:
Stephanie had that type of body you see on the cover of Maxim, except she was that hot in real life and not just airbrushed hot. Granted, she threw up a lot of dinner for that body, but considering that I wasn't paying for her food, I didn't care.
Like most super hot girls, she was incredibly insecure. She wore too much make up and not enough clothes, which is always a sign of despair in a woman. But she went beyond the normal female do-these-pants-make-me-look-fat insecurity, which is manageable, and graduated to full on, I-am-so-ugly-and-worthless, I-hate-myself, please-fuck-me-so-I-can-feel-close-to-somebody insecurity. As a result of her severe and unquenchable insecurity, she was quite promiscous, to the point where dating her was similar to the experience of sitting on a warm toilet seat: Even without seeing him walk out of the stall, you knew that someone else had been there only moments before you arrived.“

Genau diese spießige, amerikanische Doppelmoral ist es, die ab der Mitte des Buches immer häufiger und klarer hervorsticht. Ein ganzes Kapitel widmet Tucker Max dem Gespräch mit einem Homosexuellen in einem Gay-Club, der ihn darauf aufmerksam macht, dass bei den hunderten von Frauen, mit denen er inzwischen Sex hatte, ja mit fast absoluter Sicherheit auch schon eine dabei war, die vor ihrer Operation noch ein Mann gewesen ist. Als Tucker dann ins Grübeln kommt und ihm Frauen einfallen, die einfach nicht feucht werden wollten, die beim Analverkehr nicht so eng waren wie andere Frauen oder die so gut blasen konnten, als wüssten sie aus eigener Erfahrung, wie es sich anfühlt, flippt er über fast zwei Seiten hinweg völlig aus. Der Gedanke eventuell mit einem 'Mann' Sex gehabt zu haben, wird von ihm als das Abartigste und Ekligste Empfunden, was man sich nur vorstellen kann. Und das, nachdem er bereits seiten- und kapitelweise ohne Probleme von nicht mehr zu haltendem Bier-Schiss, dem Schlafen in Hundescheiße und dem Ficken im eigenen Erbrochenen berichtet hatte. Willkommen im Gehirn eines durchgeknallten, amerikanischen Konservativen.

Ähnlich schlimm, oder mit anderen Worten schwul, ist der Gedanke der Tucker kommt, nachdem eine Bekannte vor ihrem Date mit einem anderen Typen, bei Tucker vorbeischaut, um ihm einen zu blasen. Nach kurzem Grübeln stolpert er über die Idee, dass er im Umkehrschluss ja sicher auch schon Frauen geküsst hat, die vorher, wenn nicht sogar am selben Tag, den Penis eines anderen Mannes im Mund hatten. Eine Welt bricht zusammen. Die Flagge wird auf Halbmast gesetzt.
Granted, I've done horrible stuff also, but anyone in the world can read this book and know what I've done. It's the not knowing that really messes with me. What fucks me up is to think that girls I'm casually dating are fucking around on me, and not even just on other days, but right before they see me. I don't really go on dates anymore since I learned that you don't need to spend money to get pussy, but when i did, I wonder how many girls came out with sperm breath? And how many of those did I kiss? And even now I wonder how many women have I met out at a bar who fucked a guy before going out, and then went home with me?“
Es ist eine kleine, fast kindlich naive, aber staubig-urkonservative Welt, in der Tucker Max denkt. Zum Glück liegt zwischen mir und dieser Welt ein Ozean.

Und gerade wenn man, gegen Ende des Buches, versucht ein wenig Frieden zu schießen, mit diesem seltsamen College-Boy, und versucht zu verdrängen, dass es auch in unseren Gefilden genug Idioten mit der gleichen wackeligen Doppel- und Sexual-Moral und dem gleichen piefigen Frauen- und Männer-Bild gibt, haut einem Tucker Max seine letzten Zeilen um die Ohren. In diesen beschreibt er sein eigenes System um Frauen zu kategorisieren. Wozu auch immer man das tun sollte, lasse ich mal dahingestellt. Jedenfalls endet sein Buch mit diesen gar lieblichen Worten, in denen er die 'niedrigste' Stufe seiner 'Frauenkategorien' beschreibt:
Other category: 0-star (aka, Wildebeast): The lowest of the low. A 1-star (common-stock-pig) with a terrible personality qualifies as a Wildebeast. They should all be put to sleep. This is that loud, disgusting fat girl in the bar that smokes, orders complicated drinks and then spill them on everyone, and is generally just so annoying that you have to actively restain yourself from kicking her in the crotch and stomping on her throat until she drowns on her own blood. There is no insult too mean or crude for her, and basic human rights do not apply to her“

Prost Mahlzeit. Selbst abzüglich der verkaufszahlen-fördernden Provokation und pseudo-witzigen Anti-Political-Correctness, ist dieses Menschenbild, und sind diese Gewaltfantasien, dann eben doch, um es mit Tuckers Lieblingstätigkeit zu beschreiben, zum Kotzen.

Schade, Tucker. Kurz fand ich dich echt sympathisch, aber irgendwie hast du Sache dann doch ziemlich verkackt. Oder doch verkotzt?


Elia


14. Juli 2013

There is allways a Philipp

So hässlich Berlin im Winter ist, so schön ist es im Sommer. „Ich bleib für immer einfach hier sitzen“ sagt Wing2 regelmäßig, wenn wir zusammen an der belebten Kreuzung vor dem kleinen Pizzaladen sitzen und versuchen uns auf's Essen zu konzentrieren während dicht neben uns ein Minirock nach dem anderen vorbei stöckelt. Besonders hart ist der Sommer aber natürlich für Daygame-Loser wie mich, deren AA auf der Straße so groß ist, dass sie zum Glück die ganzen hübschen Mädchen dahinter gar nicht sehen können. Und so konnte sich mein völlig überfordertes Hirn neulich auch der Situation, dass zeitgleich zwei wunderschöne Elfchen auf ihren Retro-Fahrrädern an der Ampel neben mir und meinem klappernden Schlachtross hielten – eine rechts, eine links - nur entziehen, indem ich mich geschlagene 90 Sekunden der philosophischen Frage widmete, ob nun eigentlich der Sommer immer nach Mädchen, oder die Mädchen immer nach Sommer riechen. Als die beiden losfuhren starrte ich ihren fliegenden Kleidern so lange regungslos nach, dass es fast schon wieder rot wurde, als ich in meinen Körper zurückgekehrt war.

Ein weiterer Pluspunkt des Sommers ist, dass ich mich wieder dem wunderbaren und fast arbeitsfreien Projekt des 'Anarcho-Gärtnerns' widmen kann, dessen stolzer Erfinder ich bin und das ich seit fast 10 Jahren auf meinem Balkon mit aller politischer Härte vorantreibe. Wer von euch den solidarischen Drang verspürt mitzumachen, hier eine kurze Anleitung und das Regelmanifest zu 'Elias Anarcho Garten':
  1. Fülle diverse Blumenkästen mit Mama Erde und stelle sie auf deinem Balkon zur freien Verfügung. Für die jetzt bereits wieder weinerlich gekränkten Maskulinisten stellst du noch einen kleinen Blumentopf mit Papa Erde daneben.
  2. Gieße sie regelmäßig und dünge sie von Zeit zu Zeit.
  3. Alles was angeflogen kommt und sich wohlfühlt hat Bleiberecht und darf wachsen.
  4. Einmal pro Woche ist Aktionstag. Ziehe hierfür dein T-Shirt aus, stelle dich breitbeinig mit erhobener Faust auf deinen Balkon und lasse dich von belustigten Passanten fotografieren. Sonntags darfst du das auch gerne noch mit einem 'Anarchie ist machbar, Herr Nachbar“-Transparent oder der gesungenen 'Internationale' ausschmücken.

Aber all der Spaß und die kurzen Röcke sind nichts gegen den wichtigsten Pluspunkt und das deutlichste Anzeichen, dass es Sommer ist in Berlin: Das ungefragte Feiern auf Privatpartys von Menschen, die man nicht kennt. Man läuft nachts durch die Straßen, man vernimmt gar lieblich laute Musik und Geräusche aus einer Wohnung und zack, schon hat man etwas viel besseres auf der Agenda als den blöden Club! Als ich vor über zehn Jahren nach Berlin zog, war diese sommerliche Sportart nicht nur weit verbreitet in der schönsten aller Städte, sie gehörte praktisch zum guten Ton. Wer wirklich etwas auf sich hielt kam nicht nur spät zu einer Party, sondern hatte auch keinen blassen Dunst, wer oder was hier eigentlich gefeiert wird und kannte natürlich auch keine alte Sau. Doch selbst in der guten, alten Zeit war ein solch 'besonderer' Partygast natürlich nie ganz vor den berühmten und gefährlichen vier Frage sicher, „wer bist du eigentlich?“, „wer hat dich eingeladen?“, „ist das unser Whisky in deiner Tasche?“ und „hat einer von euch ins Treppenhaus gekotzt?“.
Bei den letzten beiden Fragen hilft nach meiner Erfahrung wirklich nur ekelhaftes, dreistes Lügen, was man aber ja bekanntlich nach Alkoholkonsum und in Stresssituationen besonders gut kann. Für die ersten zwei hingegen empfehle ich schon seit Jahren immer auf unseren lieben Freund Philipp zu verweisen. Wir kennen ihn alle. Wir lieben ihn alle. Wir haben alle so viel mit ihm erlebt, dass man stundenlang über ihn reden könnte. Gerade war er ja auch noch hier, aber naja, wir wissen ja schließlich alle wie Philipp so ist. Gerade noch neben dir und schon wieder weg. So ist er eben. Unser Philipp!

Das schwierigste logistische Problem dabei endlich auf Sabines Geburtstagsfeier zu kommen, obwohl man Sabine gar nicht kennt (oder noch nicht), ist aber meist die richtige Klingel zu finden. Bei manchen Häusern helfen einem schon mal Beschriftungen auf dem Klingelkasten, wie 'Hinterhaus', 'Seitenflügel' und so weiter, oder ein betrunkener Partygast auf dem Balkon, der so aussieht, als würde er sich über neue Freunde freuen. Gelegentlich lässt sich auch von dem Stockwerk auf die Reihe der Klingeln schließen, oder man nimmt die Rambo-Methode und klingelt einfach mal einige Nachbarn aus den Betten – schlafen konnten die ja wahrscheinlich eh nicht. Aber mein persönlicher Tipp ist immer noch das gute, alte 'Tailgating'. Hierfür stellt man sich einfach an den Hauseingang seiner Wahl und wartet bis eine lustige Truppe neuer Partygäste ankommt, die natürlich wissen, wie Sabine mit vollem Namen heißt, um sich dann entweder direkt unter die Gruppe zu mischen, oder zumindest den Vorteil der nun offenen Haustür zu nutzen. Ein Bonus hierbei ist natürlich auch, dass man gleich mit einem ganzen Schwung neuer Gäste ankommt, automatisch zu der Gruppe gerechnet wird und sich damit eventuelle blöde Fragen an der Wohnungstür spart.



Es war eine der ersten richtig warmen Sommernächte und Wing2 hatte es sich mit mir in der Stammbar gemütlich gemacht. Viel mehr konnte man da an diesem Abend auch nicht machen, weil sich aus irgendeinem Grund alle paarungswilligen, attraktiven Weibchen der Stadt für eine andere Bar entschieden hatten um dort auf die Ankunft ihrer Traumprinzen zu warten und ihren Gurken-Gin zu schlürfen. Auch das Auftauchen von Wing3, besoffen und pleite wie es von ihm erwartet wird, hob die Stimmung in der Bar nicht wirklich und so beschlossen Wing2 und euer treuer Nichtheld einige Stufen zu überspringen, nicht über Los zu gehen und direkt in den Absturzclub einzufallen. Ein alleine schon deswegen ungewöhnlich bis denkwürdiger Move, weil Wing2 eigentlich den Absturzclub meidet und für die frühen Morgenstunden ein eigenes, kleines Clübchen vorzieht.

Angenehm laute Elektromusik gemischt mit Gläserklirren und Lachen drang von einem Balkon und diversen offenen Fenstern im dritten Stock eines Eckhauses auf die Straße. Wing2 schob gerade eines seiner fünf Fahrräder, die 'Handtaschen' der Berliner Single-Männer, neben mir her als wir beide instinktiv stehen blieben, nach oben blickten und nach der Quelle dieser lieblichen Symphonie Ausschau hielten. Wir orteten Zeitgleich den Balkon und sahen einige Schatten darauf herumstehen, rauchen und trinken. „Ey!.... Hey! Hallo!“ versuchten wir Kontakt zu Planet Party herzustellen. Vergebens. Entweder war die Musik zu laut oder man war zu cool um mit Menschen, die drei Altbaustockwerke unter einem in der Partyhierarchie standen zu kommunizieren. Also gut, dann anders. Wir versuchten am Klingelkasten unser Glück. Nix zu machen. Viele Klingeln und kein Hinweis darauf, welche die Party-Klingel war. Wir entschlossen uns zu warten, ob in absehbarer Zeit nicht vielleicht neue Gäste kommen würden. Während wir so warteten kam mein schwuler Club-Freund (der Mann mit dem kontraproduktiven Arschfick-Opener... siehe 'Ostern ohne Eier' 13. April 2013) an uns vorbei spaziert. Nachdem wir ihm unsere Mission erklärt hatten versuchte auch er sich an den Klingeln, versagte aber ebenso und erklärte uns dann er würde jetzt mal weiterziehen gen Absturzclub. Nach einer viertel Stunde brachen wir frustriert ab und gingen ebenfalls weiter.

„Puh, ey das sind irgendwie nicht so meine Frauen“ monierte Wing2 vor sich hin, als wir vor dem Absturzclub standen und ich mein halbvolles Wegbier in mich hinein stürzte. „Ne, Mann. Sind sie nicht. Waren sie auch noch nie. Das wussten wir doch vorher. Das ist der ABSTURZCLUB. Hier wird gefressen, was auf den Tisch kommt“ antwortete ich. Mit schlechter Laune entschied Wing2 dann aber doch kurz mit reinzuschauen. Es wurde drinnen nicht besser. Nach dem ersten Bier verkündete er seinen Rückzug. Wir verabschiedeten uns und ich gesellte mich zu meinem Gay-Freund und seinem neonroten Drink an die Bar. Grundsätzlich sind Schwule ja Frauenmagneten. Das Problem bei ihm, abgesehen von seinen deplatzierten Aufforderungen zum Analverkehr, ist eher, dass er, solange er nicht tanzt, überhaupt nicht schwul aussieht. Ich setzte also alle meine Hoffnung in den roten Drink in seiner Hand. Als nach 10 Minuten immer noch keine Frauen neben uns standen, überlegte ich schon ein buntes Schirmchen und ein bisschen Obst zu besorgen, um sein Glas etwas schwuler zu dekorieren. Doch plötzlich tauchten zwei hübsche, junge Mädels auf, stellten sich neben mich an die Bar und begrüßten meine homosexuelle Venus-Fliegenfalle sofort sehr herzlich. Geht doch. Scheiß auf Day-Game, ich mach Gay-Game!.... Und wer hat's wieder erfunden?

Schüchtern und dumm wie Brot, wie ich manchmal bin, bot ich meinem Bekannten nach 2 Minuten Geplapper quer über mich hinweg an, die Plätze zu tauschen. „Danke“ kommentierte er kurz. Mir wurde zu spät klar, dass ich jetzt endgültig aus dem Gespräch raus war. Die Drei tratschen neben mir und ich konzentrierte mich voll auf mein Bier. Zum Glück schlug eines der beiden Mädchen schließlich vor, in einen anderen Bereich des Clubs zu wechseln. Dort angekommen konnte ich aber auch nur ein paar flüchtige Worte mit den Mädels wechseln, weil schon nach zwei Minuten meine Hose vibrierte. Es war Wing3. Ich verstand ihn sehr schlecht, was zum einen daran lag, dass er auf einer Party war, zum anderen daran, dass ich in einem Club war und zum dritten daran, dass er wie gewohnt grenzwertig betrunken war. „Eyischbin aufssoner Privatparty!“ plärrte er aus meinem Handy „Sinpaar ssssschööne Mädels hier! Kommher!“. Guter Mann! Wirklich Verlass ist eben immer nur auf die betrunkensten unter uns! „Alles klar! Ich bin in 10 Minuten da! Kommst du runter und lässt uns rein?“ schlug ich vor. „Machissch!“

Die zwei Mädels stellten sich als langweilig heraus und wollten nicht mitkommen, obwohl selbst ihr schwuler Freund sofort Feuer und Flamme für die Idee war, auf die Privatparty um die Ecke zu gehen. Eigentlich ein guter Test. Scheiß auf Mädels, die den Witz bei so was nicht verstehen! 10 Minuten später standen wir also wieder vor der gleichen Haustür. Nach kurzem Warten ging das Licht im Treppenhaus an und ein schwankender Schatten kam von innen auf das Milchglasfenster in der Tür zu. „Eeeeyy!“ begrüßte uns Wing3 und fiel direkt zurück in den Hausflur. Er war so euphorisch, wie man nur in diesem wundervollen Zustand kurz vor dem endgültigen Versagen der Motorik sein kann. Wir folgten ihm die Treppen hoch bis in den dritten Stock und klingelten an der Wohnungstür. Es öffnete ein Mädchen, die uns kurz sehr kritisch ansah, dann aber einfach ging und den Weg frei machte. Zu meiner Enttäuschung lag die Party wohl schon in den letzten Zügen, zumindest war der Flur der Wohnung menschenleer. Kein gutes Zeichen. Ich ging instinktiv bis ans Ende des Flures durch, wo ich Licht aus einer offenen Tür sah. Auf meinem Weg bogen Wing3 und mein Bekannter links in ein großes dunkleres Zimmer ab, welches anscheinend das Wohnzimmer war und wo noch einige Menschen am tanzen waren. Am Ende des Flures wartete die Küche auf mich. Bingo! Mein Bier-Radar hatte mich ein weiteres Mal nicht im Stich gelassen.

Um einen kleinen Küchentisch saßen 4 Jungs und blickten zu mir rüber. „Hey, is noch Bier da?“ fragte ich, als wäre ich den ganzen Abend schon hier gewesen. Natürlich eine blödsinnige Illusion auf einer Party auf der, nach meinem bisherigen Eindruck, vielleicht noch 20 Leute waren. „Äh, im Kühlschrank gibt’s noch welche. Sind aber die letzten“ antwortete einer. „Cool, warum sagt mir das denn keiner? Dachte es wäre schon alle“ hielt ich tapfer an meinem Drehbuch fest. „Ähm.. Wer bist du denn?“ fragte mich der Typ, der mir das Bier aus dem Kühlschrank herüberreichte. „Elia. Ich bin ein Kumpel von Philipp. Der hatte mir gesagt, ich soll noch vorbeikommen, aber jetzt ist er selbst schon weg“ warf ich den Köder und wartete, ob sie ihn fressen würden. Hm... Unangenehme Stille. „Na, dann prost!“ verkündete ich und trat den Rückzug an.

Im dunklen Wohnzimmer fand ich meine zwei Jungs. Der eine quatschte mit zwei Mädels in der Ecke, drei mal dürft ihr raten, welcher von beiden. Und der Heterosexuelle lehnte alleine in einem Fensterrahmen und grinste mich durch die tanzenden Mädchen hindurch an. Die Musik war angenehmer bis bedeutungsloser Hipster-Elektro und die tanzenden Mädchen – die Jungs saßen ja in der Küche – passten dazu. Man war wohl eine zugezogene Mädchen-WG und befolgte penibel alle Berliner Mitte-Regeln. Man trug also bunte, luftige Kleidchen und dazu einen total niedlich-unordentlichen Dutt. Ich beschloss eine Runde zu tanzen. Das Mädchen neben mir fing an einen bunten Hula Hoop Reifen um ihre Hüften kreisen zu lassen, der dabei bedenklich nah an den niedlichen, kleinen Flohmarkt-Gegenständen auf der niedlichen, kleinen Flohmarkt-Kommode hinter ihr vorbei rauschte. Wing3 und ich beobachteten sie dabei einige Sekunden, dann sprach ich sie an. „Hey, das machst du gut! Trittst du damit auch auf?“ fragte ich über ihren Reifen hinweg. Sie antwortete mit irgendeiner uninteressierten Belanglosigkeit. Ich brabbelte auf dem gleichen Niveau zurück, fragte mich aber zeitgleich ob denn heute die 'Internationale Nacht der langweiligen Spießer' sei. Die Mädchen im Club und die Jungs in der Küche fielen ja schon in den Bereich Narkosemittel, aber desto genauer ich mir die tanzenden Studentinnen um mich betrachtete, desto fahler schmeckte mein Bier. Es waren die Art von Mädchen, die in High Heels zumindest optisch in das Beuteschema von Wing2 fallen würden, bei denen ich mich aber immer fragte, ob sie nicht furchtbar nach Seife schmecken würden und ob ich jemals genug Kaffee besitzen würde, um in einem Gespräch mit ihnen wach zu bleiben.

Meine böse innere Stimme sollte recht behalten. Nach 10 Minuten standen plötzlich drei von den gerade noch ausgelassen tanzenden Spießer-Mädchen vor Wing3, mit einer Körpersprache die eher an das Bayerische USK erinnerte und so gar nicht mehr zu ihren Kleidchen passte. Ich sah zu ihm rüber und musste mit Schrecken feststellen, dass sein rechter Arm gerade auf mich zeigte. Dann kam die ganze Truppe auch schon auf mich zu. Die Mädels bauten sich vor mir auf, wie Putins Schlägerbullen vor einem Schwulen mit Femen-T-Shirt. „Wir wollen, dass ihr jetzt geht“ verkündete die größte und stärkste von ihnen „euch kennt hier keiner“. Ich überlegte kurz nochmal meinen Kumpel Philipp ins Spiel zu bringen, war mir aber leider zu sicher, dass eine von ihnen die Gastgeberin war und sie mit den Jungs in der Küche sicher schon alle Philipps dieser Welt durchgegangen war. „Naja, ich würde eher sagen, wir kennen uns NOCH nicht! Ich heiße Elia, hallo“ versuchte ich es mit all meinem Charme und streckte der Anführerin der Amazonen freundlich meine Hand entgegen. „Nein, wir wollen wirklich, dass ihr jetzt geht. Ihr könnt das Bier mitnehmen“ erklärte sie mit ein wenig Pfefferspray in der Stimme. Es hörte sich eindeutig an, wie die letzte Aufforderung vor dem Wasserwerfer-Einsatz und so beschlossen Wing3 und ich – unseren schwulen Freund hatten sie anscheinend übersehen - uns langsam und unter freundlichsten Witzeleien in Richtung Tür zu bewegen.

Kurz vor der Wohnungstür stoppte uns ein kleiner, dicker BWL-Student mit dunkelblauem Pullunder über hellblauem Hemd und einer Art HJ-Frisur für Arme. „Ihr verschwindet jetzt mal besser“ kläffte uns die vom Alkohol wohl zu mutig gewordene Mozartkugel an und stemmte die kleinen, dicken CSU-Fäustchen an die Stelle wo normalerweise die Taille ist. „Ganz groß“ dachte ich mir „nachdem die Mädchen den Rauswurf gemanagt haben, muss Erling jetzt natürlich auf den letzten Metern noch den Alpha-Mann markieren“.
„Hör mal zu, Freund, wir waren gerade auf dem Weg nach draußen“ erklärte ich ihm ruhig „aber ich würde vorschlagen, du gehst jetzt mal wieder in die Küche, sonst wird das hier nix“. Wing3, der deutlich betrunkener war als ich, konnte sich nicht zurückhalten und musste noch nachtreten „Genau, verpiss dich jetzt mal!“. Mir wurde die Situation zu angespannt und ich beschloss, dass es das Beste sei, die Wohnung möglichst zügig und friedlich zu verlassen. Kaum waren wir draussen vor der Tür bellte unser Mini-Türsteher aber auch schon wieder durch den noch offenen Türspalt „Los jetzt raus hier!“. Wing3 war nicht mehr wirklich zu stoppen „Das geht auch freundlicher, Fetti! Komm mit raus, dann klären wir das!“. Zu meiner Überraschung kam unser Junge-Union-Wachhund tatsächlich aus seiner Hütte und begleitete Wing3 unter den, unter Männern in diesem Zustand üblichen, verbalen Muskelspielen die Treppen hinunter. Ich hatte keine große Lust, mich weiter an dem lyrischen Schwanzvergleich zu beteiligen und trottete hinterher. Allerdings nicht ohne in jedem Stockwerk auch wirklich jede Klingel auf ihre Funktion zu testen. Schließlich wollte ich nicht, dass sich unser Hobby-Bulle auf seinem Rückweg später einsam fühlt.

Im Flur vor der Haustür kam uns gerade eine Gruppe neuer Partygäste entgegen. Wing3 erklärte seinem neuen Lieblingsfeind lautstark, dass er ab jetzt keinen Schritt mehr weitergehen würde, worauf sich natürlich ein weiteres Wortgefecht entzündete. Ich unterhielt mich kurz mit den anderen Leuten, wünschte ihnen viel Spaß auf der Party und erklärte unserem Bodyguard, dass es jetzt wirklich reichte und er jetzt lieber zurück zu seinen Mädels gehen solle, was er dann auch zum Glück tat. Wing3 und ich tranken im Flur noch unser Bier und warteten, ob vielleicht unser dritter Genosse noch hinterher geschickt würde. Statt ihm kam aber die Gruppe neuer Gäste wieder herunter und erklärte uns, man hätte sich oben geweigert, ihnen die Tür zu öffnen. Wir konnten uns kaum halten vor Lachen. Offensichtlich war man, schockiert von der Begegnung mit fremden Menschen, im dritten Stock jetzt dazu übergegangen, alle Fenster und Türen zu vernageln. Willkommen in Berlin, Mädels!

Zur Verteidigung dieses Konzepts sollte man noch erwähnen, dass dies das erste Mal war, dass ich beim Besuch einer fremden Party überhaupt aufgefordert wurde zu gehen, geschweige denn, dass es derart unspaßig wurde. Die negativste Reaktion, die ich vorher bei solchen Aktionen erlebt hatte, war als letzten Sommer bei einer ähnlichen Geschichte nach 10 Minuten einer der Gastgeber uns aufforderte „also ihr könnt alle gerne hier feiern, aber könntet ihr bitte eure Schuhe ausziehen?“.

Bisher konnten wir nicht in Erfahrung bringen, was aus unserem fehlenden, dritten Mann geworden ist und ob er jemals aus dieser Wohnung wieder herauskam. Am einfachsten wäre das wohl gegangen, indem er sich als 'Philipp' vorgestellt hätte.

Und was lernen wir nun aus dieser Geschichte? Nichts natürlich. Und hatte wenigstens irgendjemand Sex in dieser Nacht? Sicherlich.

Nur eben keiner von uns. Aber lustig war's trotzdem.


Elia

5. Juli 2013

Männername mit vier Buchstaben

Zuallererst muss ich mich wohl entschuldigen. Ich hatte in den letzten Wochen extrem viel um die Ohren und bin daher einfach nicht mehr zum Schreiben gekommen. Es gab einige schwierige familiäre Probleme, die sehr viel meiner Zeit in Anspruch genommen hatten. Dazu kommen Jobs die, bedingt dadurch, liegen geblieben waren und die ich so die letzten Wochen mehr vor mir hergeschoben als abgearbeitet hatte. Natürlich haben sich trotzdem einige lustige Geschichten zugetragen und ich habe, um sie nicht zu vergessen, inzwischen diverse angefangene Texte auf meinem Desktop liegen, die ebenfalls darauf warten 'abgearbeitet' zu werden. Da Familie und Job aber natürlich vorgehen, wird das wohl auch in den nächsten Wochen nur tröpfchenweise möglich sein.

Nicht nur meine Familie hatte mich in den letzten Wochen in die alte Heimat beordert, dazu kam noch, dass ein guter Freund meinte in den Hafen der Ehe einlaufen zu müssen und ich, kaum vier Tage in Berlin, schon wieder mein geliebtes Bett gegen Mutters Couch eintauschen durfte. Was ich bei solchen Anlässen in den letzten Jahren besonders deutlich vor Augen geführt bekommen habe, ist meine, mit zunehmendem Alter und fortdauerndem Singledasein, sich immer deutlicher manifestierende soziale Unverträglichkeit bei längerem, erzwungenem Zusammensein mit anderen Menschen auf engem Raum. Ich bin es nunmal nach über zehn Jahren des Alleine-Wohnens und fünf Jahren Singledaseins einfach gewohnt, den extremen Luxus der Einsamkeit zu genießen, wann immer meiner buckligen, kleinen, misanthropischen Persönlichkeit danach ist. Und das spüre ich und mein Umfeld in solchen Situationen schon nach wenigen Tagen. Ich erwische mich dann regelmäßig dabei, wie ich Freunde und Familie grundlos anfauche, kurze gehässige Bemerkungen in völlig unangebrachten Momenten mache (und zwar deutlich mehr als wenn es mir gut geht) oder vor mich hin schweige, bis sich mein Gegenüber mindestens so unwohl fühlt wie ich. Kurz, ich werde zum Ekel. Und ich bemerke es auch noch selber, kann aber nichts daran ändern. Ich bin wohl einfach nicht, oder nicht mehr, in der Lage auf Dauer mit jemand anderem eine Wohnung zu teilen. Wahrscheinlich ist das auch der Grund, warum ich in meinem Leben noch nie in Betracht gezogen habe, mit einer Frau zusammen zu ziehen. Dies wiederum hat mit Sicherheit, wenn man bedenkt wie Frauen auf längere Zeiträume des 'Sich-nicht-Weiterentwickelns' ihrer Beziehung reagieren, auch schon zu mehreren Trennungen beigetragen. Ein weiterer hässlicher Nagel zum Sarg meiner Träume vom glücklichen, jungen Pärchen mit der Altbauwohnung und den IKEA-Kindern!

Der Grund warum ich gerade kurz Zeit habe überhaupt zu Schreiben ist, dass meine beste Freundin, die mich traditionell und berufsbedingt immer zur Fashion-Week besuchen kommt, heute nach Potsdam geflohen ist, um meinem Familien- Hochzeits- und Job-gestressten Ekel-Ego aus dem Weg zu gehen. Wer kann es ihr verdenken? Wäre es möglich, würde ich mich momentan auch meiden. Als sie mich Anfang der Woche vom Flughafen abholte ging es mir kurzzeitig ganz gut. Ich war froh, der provinzigen, scheubeklappten Heimat entkommen und wieder in Berlin zu sein. Wir spazierten in bester Laune zu meinem Lieblingsthailänder um zu Abend zu essen.

Wie der ganze Bezirk, hat sich auch mein kleiner Lieblingsthai (liegt's an mir, oder klingt das strange?) in den letzen zwei Jahren extrem verändert und aus dem unscheinbaren Geheimtipp ist eine weitere Kantine für Berlins hippe Armee der Startup-Arschlöcher geworden. In Ermangelung einer Uzi müssen wir uns also damit arrangieren, dass kein Tisch mehr frei ist. Da wir ja aber in Berlin sind und das verdammt nochmal mein Thai ist, fragen wir einen, draussen allein an einer Bierbank vor sich hin schluffenden Studenten, ob wir uns dazusetzen können. „Klar“ sagt er freundlich, tolerant, weltoffen und vom Bildungsbürgertum in seiner schwäbischen Heimat dazu erzogen, als er die kleinen Maschinengewehre in unseren Augen sieht. Während wir noch über der DIN-A4-Faltkarte grübeln, setzt sich seine Freundin zu ihm. „Ey wie krass du hast jetzt echt die BZ mitgebracht, oder wie?“ sagt er grinsend. Ich hatte von den beiden auch eher eine taz erwartet, aber sie erklärt sofort, dass es in dem Kiosk gegenüber nix anderes gab. Puh. Das war knapp. Wie hätte er das nur ihren Lehrer-Schwiegereltern im Schwarzwald erklären sollen?

Während meine Freundin weiter die Karte studiert, kann ich es nicht lassen, unseren neuen Nachbarn beim Abendessen zuzusehen. Sie passt auf eine komische Art perfekt zu ihm. Er hat dunkle Haare und dunkle Augen, verzichtet aber auf eine Frisur und trägt stattdessen lieber alles eine Nummer zu groß. Sie ist blond, blass und auf eine komisch schlabbrige Art dünn. Sie sind beide nicht wirklich schlechtaussehend, weigern sich aber offensichtlich aus politischen Gründen etwas aus sich zu machen. Sie wirken beide gleich alt, gleich gestylt und gleich langweilig. Sie passen nicht wie ein Paar zusammen, das guten Sex hat, sondern eher wie Brüderchen und Schwesterchen. Warum verlaufen sich solche Leute nicht einfach mal im Wald? Warum haben solche Leute Beziehungen? Ganz einfach: Weil sie keine Ekel sind wie ich, sondern beim Essen nur lauter nette Gedanken haben, weil sie andere Leute nicht unangenehm lange beobachten und weil sie sicher schon lange zusammenwohnen. In einer schönen Altbauwohnung. Gleich auf der anderen Straßenseite. So jetzt aber erstmal was gegen den Hass machen. Der kommt vom Hunger. Ich gehe rein um zu bestellen.

Als ich wieder rauskomme sind die zwei schon am essen und haben die BZ neben sich aufgeschlagen. „Männername mit vier Buchstaben“ sagt sie. Zuerst denke ich es liegt daran, dass man ja unmöglich öffentlich eine BZ lesen kann, aber schon nach wenigen Minuten ist nicht mehr zu übersehen, dass die zwei wohl ziemlich regelmäßig Kreuzworträtsel zusammen machen. Und sie scheinen eine genau dosierte und angemessene Menge Spaß dabei zu haben. Ich frage mich, was das für Pärchen sind, die Abends Kreuzworträtsel zusammen machen. Ich hatte mal eine Freundin, die Abends immer Kniffel mit mir spielen wollte. Sie war Lehrerin, hatte einen Hund und wohnte in einer Art Reihenhaussiedlung in einem eher spießigen Stadtrandbezirk. Ich hatte zwei mal versucht mit ihr nach dem Gassigehen in der Küche Kniffel zu spielen, aber es machte mir keinen Spaß. Wir waren zwei Jahre zusammen und stritten uns in dieser Zeit kein einziges Mal. Dann machte ich mit ihr Schluss. Ich war ehrlich zu ihr. Ich sagte ihr, dass ich mich von ihr trennen müsse, weil wir uns nie streiten würden. Weil sie nie ausflippt, weil sie nie etwas kaputt macht, nie irrational wird oder Scheiße baut. Weil wir uns perfekt verstehen. Aber perfekt verstehen kann ich mich auch mit mir allein. Streiten kann ich mich nicht mit mir allein. Ich brauche Reibung. Ich bin selbst kontrolliert und, so weit ich das beurteilen kann, logisch. Was ich brauche ist jemand, der anders ist, oder sein kann. Irrational und chaotisch. Mich gelegentlich rausholt aus meiner Küche und nicht dort Kniffel mit mir spielen will. Oder wenigstens dort mit ein paar Tellern wirft, von mir aus auch nach mir. Ich stelle gerade mal wieder fest, dass meine Therapeutin eine Pfeife war.

Offensichtlich bin ich auch in dieser Hinsicht gestört, denn die zwei neben uns schienen ja ihr Glück gefunden zu haben. In sich und in Kreuzworträtseln. Es gibt diese Paare. Es gibt sie sogar zuhauf. Sie besiedeln in Berlin ganze Bezirke und bekommen dort, wenn sie nicht gerade Kreuzworträtsel lösen, ihre langweiligen Kinder. „Anderes Wort für Sprudelwasser mit vier Buchstaben“ sagt sie. Ich frage mich, wie solche Pärchen streiten? Oder streiten sie überhaupt? Wahrscheinlich nicht. Wahrscheinlich diskutieren sie es lieber in Ruhe aus, statt sich zu streiten. Das sind diese Art von Pärchen, die nach ihrer Trennung auch immer sofort beste Freunde sind. Total harmonisch und ohne Hassgefühle. Keiner bumst einen anderen und wenn dann ist es ganz offen und auch voll ok. Ich fand diese Trennungen und Menschen, die dazu in der Lage sind, schon immer pervers. Wie kann man sich denn bitte harmonisch trennen? Desto länger ich den beiden zusehen, desto unmöglicher erscheint es mir, dass sie sich überhaupt trennen. Ich versuche mir mit aller Kraft vorzustellen, wie so eine Trennung aussehen könnte. Aber alles was ich sehe sind die beiden, wie sie sich gegenübersitzen. Jetzt in einer noch größeren und noch schöneren Wohnung. Viele, viele ruhige, glückliche Jahre später und beide sind schon sehr alt. „Männername mit vier Buchstaben“ sagt sie in meiner Vorstellung.

„Hallo....?“

9. Juni 2013

Vom Schnaps und von der Liebe

Über die Angst vor dem Kontrollverlust und die Schönheit des Rückwärts-Fallenlassens



'Betrunken vor Liebe' sagt man manchmal und so kann es sich auch anfühlen. Die Liebe und der Alkohol haben einiges gemeinsam. Beide bringen uns in einen Rauschzustand. Einen Zustand in dem wir anders agieren als wir es sonst tun. Man verliert die Kontrolle über sich selbst und in beiden Fällen endet es oft mit Schmerzen. Der rationale Menschenverstand müsste einem eigentlich dringend von beidem abraten. Und trotzdem bringen wir uns immer wieder in diesen fast hilflosen Zustand des Kontrollverlusts. Warum tun wir das? Ist es Sadismus? Ist es eine Form der Todessehnsucht? Eros und Thanatos? Oder ist es einfach nur der schlummernde Wille zur Revolution gegen unseren grauen, strukturierten Alltag in dem wir alles fein unter Kontrolle haben?



Love hurts

Die meisten von uns haben schon einige Male in ihrem Leben wirklich lieben dürfen. Die Psychologie erklärt uns, dass wir wie der Drogensüchtige den ersten High auch in der Liebe unterbewusst immer wieder versuchen den Kick des ersten großen Rauschs wiederherzustellen. Doch genau wie uns das Hochgefühl der großen Liebe immer wieder auf die Suche nach ihr treibt, hinterlässt auch jede Trennung ihre emotionalen Narben, die uns erschrecken und daran erinnern, welches Risiko jede Liebe für uns birgt. Und je größer die Liebe, je weiter wir uns eingelassen und geöffnet hatten desto tiefer sind oft hinterher die Narben.

Doch was suchen wir eigentlich? Die einzig wahre, endlose Liebe? Die eine Liebe, die so perfekt ist, dass sie kein schlechtes, furchtbar trauriges Ende nimmt? Und wie sollte das dann aussehen? Nehmen wir an, wir fänden den einen Menschen mit dem wir ein Leben lang glücklich und zufrieden sein könnten. Wie würde das enden, wenn es nicht mit Trennung, Scheidung, Betrug oder Streit endet? Ganz einfach, es würde natürlich mit dem Tod enden. Bis dass der Tod euch scheidet. Eben. Und wie wäre das, wenn nach der perfekten Hollywood-Liebe einer von beiden dann alleine zurückbleibt und jeden Abend in dem Haus am Strand mit dem großen Wintergarten am offenen Kamin sitzt und sich vor den vielen Fotoalben mit einer Flasche Whisky in den Schlaf weint? Das wäre beschissen und traurig. Und es wäre wieder kein gutes Ende. Denn das gute Ende gibt es nicht. Unser Leben endet mit dem Tod und alles Schöne darin endet damit das es endet. Und so gesehen enden alle Beziehungen gleich. Sie enden traurig. Und je schöner sie waren desto trauriger enden sie. Aber hören wir deswegen auf Beziehungen zu führen und bleiben lieber allein? Natürlich nicht. Denn nach der gleichen Logik hätten wir nie geboren werden sollen. Das Leben existiert damit wir es genießen und nach Schönem streben und es endet mit dem Tod. So ist es auch mit der Liebe. Wir suchen sie immer wieder weil es das aufregendste ist, was wir emotional erfahren können und wir wissen trotzdem immer, dass es kein gutes Ende nehmen wird. Die große Kunst besteht darin, diese Tatsache, gegen jede Logik und Vernunft, zu ignorieren. Jedes Mal wieder so zu lieben als wäre es für die Ewigkeit und wenn es soweit ist, selbst das Ende mit all seinen emotionalen Eindrücken in sich aufzusaugen. Wenn wir uns streiten, schreien, weinen, schubsen, fauchen, kratzen, kämpfen und gar furchtbar trennen so ist das nicht mehr und nicht weniger als dass wir uns sagen wie sehr wir uns geliebt haben und wie wasserfest wir uns gegenseitig unsere Namen an die Wände unserer Leben geschrieben haben.

Viele haben aber genau damit ein Problem. Mit dem Annehmen des Verlusts als Teil des Ganzen. Mit der Hilflosigkeit die, meist beide, verspüren wenn wir merken, dass wir die Liebe nicht mehr retten können. Sie ziehen sich von Mal zu Mal weiter in sich zurück, werden ängstlicher, panischer und reagieren irgendwann schon auf das ersten Anzeichen einer sich anbahnenden Verliebtheit mit der Angst vor deren Ende. Sie wählen die Einsamkeit aus Angst vor Trennungen. Als würde man den Tod wählen aus der Angst am Ende des Lebens zu sterben.



Pick Up, Kontrollwahn und die 'Schlange Frau'

Bei vielen Menschen, und innerhalb der Pick Up Szene natürlich bei besonders vielen Männern, beginnt diese Angst aber auch schon viel früher. Sie bezieht sich nicht nur auf den vermeintlichen Kontrollverlust im Scheitern einer Liebe, sie bezieht sich schon auf die Abgabe von Kontrolle die jeder beginnenden Verliebtheit, jedem aufkeimenden emotionalen Interesse, innewohnt. Verliebt zu sein, einen Menschen zu begehren, oder auch nur Interesse an jemandem zu haben, bedeutet ganz automatisch einen Verlust an Macht. Macht über die eigenen Emotionen, Macht über das eigene Denken und Handeln. Man gibt Macht an diese Person ab und ist bis zu einem gewissen Grad dem ausgeliefert, wie diese Person mit der Verantwortung, die dieser Macht innewohnt, umgeht. Macht und Kontrolle spielen im Denken von allen Menschen, aber im Denken von Männern speziell, eine besondere Rolle. Sie sind, speziell bei jungen, unsicheren Männern, eng verknüpft mit deren Selbstwert und Selbstbewusstsein. Ihr Gewinn ist Bestätigung, ihr Verlust bedeutet mindestens Gefahr. Wird nun wiederholt ein solcher Mann in die Situation gebracht, dass seine Liebe nicht erwidert wird, so empfindet er das als Missbrauch dieser Macht und sich selbst irgendwann als Ohnmächtig gegenüber Frauen für die er Gefühle hat.

Pick Up ist, wenn man es reduziert betrachtet, eine Erfindung von und für unsichere Männer. Das 'klassische' Pick Up á la Mystery versucht ständig das Selbstbewusstsein des Mannes vor solchen Rückschlägen zu schützen. Kontrolle soll scheinbar zurückgewonnen, oder zumindest nicht mehr abgegeben werden. Die Frau darf alles, aber bloß erstmal nicht wissen, dass man sie interessant findet. Das gäbe ihr Macht. Der offene Korb, die Zurückweisung, muss mit allen Mitteln umgangen werden, denn er würde für beide Seiten endgültig offenlegen, wer die Macht der Entscheidung hatte. So klingt Mysterys magischer 'Kiss Gambit' schon von vorneherein nach einem, in seinem Ego getroffenen, beleidigten, kleinen Jungen: „Do you want to kiss me? - No! - That doesn't mean i would let you. It is just, you looked like you had something in mind.

Schon der grundsätzliche Ansatz des 'Verführens' einer Frau gaukelt eine Kontrolle über ein angeblich wehrloses, passives Weibchen vor und ignoriert komplett, dass Menschen sich immer gegenseitig verführen und dass, im Normalfall ,nur 'verführt' werden kann, wer bewusst oder unbewusst sowieso schon Interesse hatte. Im Extremfall geht das dann sogar soweit, dass die Frau als 'Gegner' der Verführung wahrgenommen wird, der versucht mit Spielchen und Tests den Verführer als uninteressant zu entlarven, um ihm endlich einen Korb geben zu können. Als hätten Frauen dadurch irgendwas gewonnen und als wäre ihr Ziel immer der Korb und nicht der Typ. Das Bild der ständig shit-testenden, manipulativen und kontrollsüchtigen Gegnerin lässt weder einen entspannten Flirt noch eine gesunde Beziehung zu. Wir können nur mit einer Frau flirten, niemals gegen sie. Und wir können eine glückliche Beziehung auch nur mit einer Frau führen und nicht gegen sie. Dennoch ist die Angst vor dem Kontrollverlust bei Männern so alt wie das verzerrte, frauenfeindliche Bild der 'Schlange Frau', die uns in die falsche Richtung führen will um uns zu manipulieren, zu kontrollieren und zu schaden. Die Entstehung dieses Bildes ist so logisch wie es selbst falsch ist, denn gerade in der Liebe und der Verführung, also gerade gegenüber Frauen, spürt das auf Kontrolle bedachte männliche Ego besonders stark und unausweichlich den eigenen Kontrollverlust und damit die eigene Schwäche. Dies auszuhalten erfordert Stärke. Dies zu genießen erfordert einen Hang zum Rausch und Liebe zum Chaos.



Helme, Rüstungen und Sicherheitsgurte – Vom Fuck Buddy zur NLP-Beziehung

Dennoch lässt sich mit einem derartig angstbesetzten, paranoiden, feindseligen Frauenbild etwas anfangen. Nur nicht für den armen Kerl, der damit herumläuft. Aber wenn ein Mann erst einmal das Gefühl hat, Frauen würden ihm ständig Tests und Fallen stellen und jede Verführung wäre eher ein hochstrategisches Gefecht, als ein rauschhafter Tanz, dann benötigt er natürlich vor allem eines: Ein riesiges Arsenal an Waffen. Denn offensichtlich muss die Frau ja erst einmal besiegt, kontrolliert, willenlos gemacht und manipuliert werden, damit man Sex mit ihr haben kann. Vorher scheint so etwas ja gänzlich unmöglich, der Gedanke geradezu verrückt. Also muss er komplizierte und aufwändige Techniken erlernen um schließlich, am Schluss seiner langjährigen Ausbildung, ein Meister zu werden und das zu bekommen, was jeder picklige, grobe Dorfbursche mit 15 im Heuschober täglich geschenkt bekommt. Sex.

Die armen Opfer solcher Feldzüge gegen die Schlange Frau findet man dann irgendwann in allseits bekannten Pick Up Foren, vollgestopft mit Wissen über NLP, Körpersprache, Manipulation, Anker und Hypnose und mit dem festen Glauben, dass niemand auf der Welt jemals ohne NLP-Studium einen wegstecken durfte. Und wenn dann war er ein Arschloch (was man ja aber auch werden soll) oder die Frau eben dumm (eine Frau eben) und unwissend, dass sie nur mit NLP-Lehrlingen und frisch gewordenen Alphas zu schlafen hat, aber auch schlau (eine Schlange eben) da sie es wahrscheinlich nur getan hat um all die fleißigen, zukünftigen Hypnotiseure zu ärgern und zu demotivieren. Aber zum Glück kommt jetzt ja die große Rache und endlich kann die Frau durch Hypnose, versteckte Botschaften und komplizierte Fingertechniken beim Auf-sich-selber-Zeigen soweit unter Kontrolle gebracht werden bis sie, ohne es zu merken, in einem Bett und später in einer Beziehung sitzt. Dass die Angebetete in einer solchen Beziehung natürlich konstant weitermanipuliert werden muss, ist ja klar. Denn bei klarem Verstand würde sie ja sofort bemerken, dass sie mit einem vollkommen nerdigen, ängstlichen aber extrem manipulativen Internet-Troll zusammen ist. Was für ein liebliches Selbstbild. Aber soweit wird es wohl in den allerwenigsten Fällen jemals gekommen sein.

Hat der brave Pick Up Artist dann aber endlich die Hälfte seiner Ersparnisse in NLP-Seminare gesteckt und ist immer noch ungebumst, muss natürlich noch alles andere in und um ihn herum unter Kontrolle gebracht werden. Bei manchen Jungs ist irgendwann ein regelrechter Zwang zum Zwang zu beobachten. Ist schließlich auch noch der Body Fat Index, die Kalorienaufnahme, die Wadenmuskulatur, der Zigaretten- , Drogen- und Porno-Konsum und der Krawattenknoten unter Kontrolle, wird zu guter Letzt noch erfolgreich die Masturbation eingestellt um sich anschließend einzureden man hätte damit ein besseres Erinnerungs-, Konzentrations-, Seh- oder sonst ein Vermögen. Dass für den guten, alten Schnaps in solch einer Weltsicht kein Platz ist, versteht sich von selbst. Und so wird natürlich auch der Alkohol und seine Wirkung abgelehnt, da man ja abends im Club sich nicht gehen lassen, sondern voll da sein will um erfolgreich und konzentriert zu arbeiten und seine 'Lernerfolge' besser analysieren zu können, während 200 Leute um einen herum abdrehen, ausflippen und ihr Leben genießen. Und wenn es dann immer noch nicht klappt mit dem Ficken, dann erklärt auf RTL2 und vor jeder beschissenen anderen Kamera ja zum Glück ein selbsternannter Dating-Gott seiner frustgeladenen männlichen Fangemeinde wer sie in diese missliche Lage gebracht hat und damit an allem Schuld ist. Richtig! Der Feminismus natürlich. An einem selber kann's ja nicht liegen, man hat ja schließlich alles nach Gebrauchsanweisung aufgebaut.

Die Frage drängt sich einem aber trotzdem irgendwann auf, wo man eigentlich falsch abgebogen ist, wenn man loszog um Sex und Spaß zu haben und am Ende entweder alle Voraussetzungen für eine Wahl zum Papst erfüllt, oder einen heiligen Krieg gegen alle Frauen der Welt führt.

Noch schlimmer, als der Kontrollverlust beim Kennenlernen oder Verlieben, kann der emotionale Kontrollverlust sein, wenn man sich tatsächlich auf eine Beziehung einlassen würde. Wenn man nicht nur seine Persönlichkeit sondern seine Zeit, sein Vertrauen und seine geheimsten Ängste und Wünsche mit jemandem teilen würde. Hier gibt es für einen emotional gesunden Menschen nun wirklich gar keine Illusion mehr, dies irgendwie 'durchzustehen', ohne extrem verwundbar zu werden und Kontrolle abzugeben. Neben den 'frustrierten Jungfrauen' findet sich in der Pick Up Szene eine ganze Armee von Menschen, die in ihrer Vergangenheit zu oft oder zu tief verletzt wurden. Die Angst, sich diesem Risiko noch einmal auszusetzen, hat etwas in ihnen verschlossen und es ist ein logischer Reflex zurückzuschrecken, wenn man diese Gefahr in Form einer Beziehung wieder auf sich zukommen sieht. So bleibt einem natürlich nur jedes mal panisch 'NEXT' zu plärren, wenn man das Gefühl bekommt, man wäre zu weit emotional an dem Gegenüber interessiert, oder sich gleich von vorneherein einzureden, dass es einem ja nur um Sex geht, und beide Seiten völlig entspannt, frei und ohne jedes emotionale Interesse am anderen, nur Spaß haben wollen. Besonders gut funktioniert das natürlich in Kombination. Man lässt sich also am Ende sowieso nur auf Menschen ein, die einen eigentlich überhaupt nicht tiefer interessieren, oder besser gesagt, emotional berühren und alle anderen werden lieber ausgelassen.

Um das klarzustellen: Dies ist kein Statement gegen offene Fickbeziehungen, oder wie auch immer Mann oder Frau das für sich benennt, aber die Häufigkeit mit der in diversen Foren solche Arrangement als Nonplusultra gepredigt und gleichzeitig zur Flucht geraten wird, sobald jemand beginnt auch nur ansatzweise die Kontrolle über sein Handeln und Fühlen, aufgrund von Schmetterlingen im Magen-Darm-Trakt, Seifenblasen im Hirn und einem der schönsten Hormoncocktails der Welt zu verlieren, ist durchaus auffällig.



Vom Loslassen, Fallenlassen und den schönen Sekunden vor dem Aufprall

Wenn ich bisher überhaupt etwas durch Pick Up gelernt habe, dann dass es kein Rezept gibt, um die Frau deiner Träume zu finden. Aber es gibt hunderte um dies zu verhindern. Das erste, einfachste und gefährlichste ist die Angst. Wer Angst hat eine Frau anzusprechen, wird sie niemals kennenlernen. Wer Angst hat sich mit ihr zu unterhalten, weil er denkt er könnte dabei etwas falsch machen, oder gegen sie und ihre gemeinen Tests verlieren, wird niemals ein gutes Gespräch mit einer Frau führen. Wer Angst hat, der Frau offen und ehrlich zu zeigen, wer er wirklich ist und was er wirklich will, wird niemals das bekommen, was er sucht, und wenn, dann nicht dafür wer er ist, sondern nur dafür, wer er vorgibt zu sein. Wer Angst hat die Kontrolle über sich oder seine Gefühle zu verlieren oder Angst hat sein Gesicht nicht zu wahren, weil er mehr Interesse, mehr 'Invest' zeigt als das Gegenüber, wird niemals eine wirkliche Liebesbeziehung erleben.

Angst lässt sich nicht für immer besiegen, Angst muss jedes Mal aufs neue überwunden werden. Und das erfordert Mut. Jedes Mal wieder. Es ist eine grausame Konfrontation mit uns selbst, wenn wir Interesse an anderen Menschen zeigen und riskieren, von ihnen zurückgewiesen zu werden. Es ist verständlich, wenn Menschen Wege suchen, um dies zu umgehen, um sich dieser Gefahr, diesem Konflikt nicht auszusetzen. Aber es gibt keine Waffen und es gibt keine Helme. Wenn du einen Menschen suchst, der mit dir zusammen sein will, und zwar weil er dich will und nicht weil du ihn belügst oder manipulierst, führt kein Weg daran vorbei zu zeigen wer du bist und dich verletzlich zu machen.

Mark Manson sagt, der Korb ist dein Freund. Er zeigt dir woran du bist. Er zeigt deinem verliebten oder verblendeten Hirn, dass es wahrscheinlich nicht geklappt hätte, weil irgendetwas offensichtlich nicht stimmt zwischen euch. Also hol ihn dir. Lieber früher als später und verschwende nicht deine Zeit. Das hört sich für ein ängstliches, männliches Ego an, wie der Sprung vom Hochhausdach, und das ist es im Endeffekt auch. Aber Liebe ist nicht Physik und Gefühle, ein weiteres großes Missverständnis im Pick Up, halten sich nicht an Regeln und lassen sich auch nicht steuern. Nur wer diesen Sprung wagt, wird irgendwann fliegen. Wir müssen uns von der Illusion befreien, dass es einen 'sicheren' Weg in und durch eine Beziehung gibt. Wir müssen uns von der Illusion befreien, dass es überhaupt einen 'sicheren' Weg durch unser Leben gibt. Wer Sicherheit sucht, bleibt stehen. Er springt nicht. Er riskiert nicht. Es geht nicht darum, mehr Kontrolle zu erlangen, sondern zu Lernen, sie aufzugeben. Bewusst und ohne Angst. Nur so passieren die großen Geschichten. Ich bin von Natur aus kein Freund der Ekstase, sondern eher ein sehr kontrollierter Mensch und ich bin mir sicher, dass ich damit in der Pick Up Szene nicht alleine bin. Doch genau dieses krampfhafte Festhalten an der eigenen Kontrolle gilt es, was Flirten, Sex, Liebe und aufregende Beziehungen angeht, zu bekämpfen, statt es noch weiter auszubauen. Es geht darum zu lernen, sich mit geschlossenen Augen rückwärts fallen zu lassen. Kontrollverlust ist das Ziel. Alles andere ist Establishment.

Es geht nicht darum, meine Persönlichkeit hinter dem Typen zu verstecken, von dem ich denke, dass Frauen ihn haben wollen. Es geht nicht darum mich hinter Reiseberichten, Sixpack und facebook-Fotos von einem ach so spannenden Leben zu verschanzen weil ich mich selbst eigentlich nicht leiden kann, sondern zu mir, meinen Unsicherheiten und Schwächen zu stehen und mir klar zu machen, dass jede Frau an der Bar die gleichen Schwächen und Problemzonen mit sich rumschleppt und genau wie ich nur auf der Suche nach jemandem ist, der sie trotz oder für diese liebt.

Es geht nicht darum ein 'Arschloch' zu werden, das cool und skrupellos genug ist, um Frauen und sich selbst gleich wenig zu mögen, sondern darum stark genug zu sein, es auszuhalten Frauen spannend, toll und wunderschön zu finden und sich Hals über Kopf in sie zu verlieben so dass man stottert, Unsinn redet und sich zum Affen macht bis man mit wehenden Fahnen gewinnt oder untergeht.

Es geht nicht darum besser zu manipulieren, sondern darum die Manipulation aufgeben. Die Angst vor dem 'Verlieren' aufzugeben, denn es gibt nichts zu 'gewinnen'. Wer einer Frau immer als Gegner gegenübertritt, darf sich nicht wundern, wenn er auch so behandelt wird.

Und vor allem geht es nicht darum einen vermeintlich Schuldigen für unsere Angst oder Einsamkeit zu suchen um so, wenn man schon niemanden lieben darf, wenigstens jemanden hassen zu können.

Es geht darum loszulassen. Aufzuhören, dich zu schützen. Dich fallen zu lassen. Verlieren zu können. 'Beta' sein zu dürfen. Sich die Freiheit zurückzuerobern. Aufzuhören, dich und andere durch ein Raster zu betrachten, dass Menschen als unfertig ansieht und dir das Gefühl gibt in irgendeinem System nicht zu genügen.

Geh raus. Oder bleib zuhause, wenn du keinen Bock darauf hast.

Hör auf, sein zu wollen, wie andere. Und hör auf, dir sagen zu lassen, wie man sein muss. Von keinem Film, von keinem Buch und von keinem Forum. Sei du selbst und dabei ehrlich. Hab Spaß und tu was willst. Iss Schokolade und trink Schnaps. Und von beidem viel zu viel, wenn es dir danach ist. Betrink dich und benimm dich daneben oder geh allein im Wald spazieren, aber sprich sie an.

Sprich sie an, wenn du sie siehst und unterhalte dich nicht erst ne Stunde mit ihrer dicken Freundin. Verguck dich und sei needy bis zum umfallen! Du bist nicht 'hard-to-get', das glaubt dir keine Sau!

Rauch mal wieder eine. Und wehe du gehst dazu auf den Balkon!

Und, um Gottes Willen, hol dir bitte einen runter wenn dir danach ist!

Aber geh dafür vorher nachhause.



Auf die Liebe und die Anarchie! Prost!


Elia