24. Dezember 2013

Unfälle und andere Unfälle

 
A tear of petrol
Is in your eye
The hand brake
Penetrates your thigh
Quick - Let's make love
Before you die

- The Normal, Warm Leatherette


Ich sitze im Zug in Richtung Süden. Nicht weil mein Leben gerade so spannend und toll ist und ich von Land zu Land und Stadt zu Stadt hoppe, um die Schönheit meiner Existenz abzufeiern, sondern um mich eventuell von einem todkranken Menschen zu verabschieden. Angeblich soll einen so ein Scheiß ja zum Mann machen. Was natürlich Blödsinn ist. Wer schon einmal geliebte Menschen verloren hat, weiß, dass einen das weder zum Mann, noch zur Frau, noch zu sonst irgendwem macht. Es macht einen traurig und still; ernst und langsam manchmal. Sonst gar nichts.

Die letzten Wochen, eigentlich Monate, hatte ich wenig Lust zu schreiben. Das Thema fühlt sich irgendwie durchgekaut an. Es macht mich müde. Boy meets girl. Uralt und eigentlich tolles Thema, aber irgendwie auch weder Atomphysik noch eine Kulturrevolution. Die 'Szene' enttäuscht mich zunehmend und entzaubert sich mit der Zeit mehr und mehr selbst. Phlegmatisch und bemitleidenswert hilflos wartet ein großer Teil still und leise darauf, vom Internet und ein paar überteuerten DVDs zu einem neuen, besseren Menschen gemacht zu werden. Ein anderer Teil verkauft ihnen skrupellos dumpfes Allgemeinwissen als heilbringende Lösung, feiert sich selbst als Helden der Neuzeit, weil sie wissen, wie man das eine Ding in das andere steckt, und kassiert dafür auch noch Kohle, als hätten sie wirklich etwas geleistet. Der Rest begibt sich, auf Grund fehlender Lösungen, auf die Suche nach einem Schuldigen für ihr Elend und verteufelt dann abwechselnd die moderne Gesellschaft dafür, dass sie nicht 'Mann sein dürfen', anstatt zu begreifen, dass Freiheit wäre, nicht 'Mann' sein zu müssen, sondern man selbst sein zu dürfen, und natürlich die Frauen dafür, dass sie nicht so funktionieren wie man es sich in unreifen Jungen-Träumen, fragwürdigen Internet-Foren und konservativen Männerbünden vorstellt, sondern eben leider doch eigenständig denkende Individuen sind. Nicht zu vergessen die Handvoll emotionaler Krüppel, die ihre Angst vor Frauen, Gefühlen und Verletzlichkeit damit verstecken, dass sie zwischenmenschliche Kälte, pornografisch-mechanische, entmenschlichte Sexualität und Respektlosigkeit als erstrebenswertes Ziel, als 'befreite Sexualität' oder als 'unverschleierte, harte - aber eben ehrliche - Wahrheit' verkaufen und damit einer verzweifelten, leicht steuerbaren Gruppe junger Männer beibringen, ihre persönliche Sozialstörung sei die eigentliche Norm und der Rest der Welt sei krank, verlogen oder zumindest dumm. Am Ende feiern dann Männer, die eigentlich in die Community kamen, um eine Frau zu finden, die sie ehrlich liebt, jemanden, der in seinen Texten anderen Menschen zwar schon so ziemlich überall hin gespritzt hat, aber in dieser langen Zeit noch kein einziges Mal irgendein emotionales Interesse an anderen geäussert, sich vielleicht sogar mal verliebt, geschweige denn sich überhaupt mit Menschen jenseits ihrer Körperöffnungen beschäftigt hat. Und all das tickertackert Woche für Woche vor sich hin, ohne dass die 'Szene' es kritisiert oder wenigstens hinterfragt. Das traut sich anscheinend keiner. Kritik wird hier streng hierarchisch nur von oben nach unten verteilt. Aber 'Alpha' wollen sie dann schon alle werden. Schade eigentlich. So viel Potential. So viel Gequatsche von Mut und Aufstehen und 'für sich einstehen'... Aber die Herde schaut nur kurz auf, und lässt sich dann weiter füttern, mästen und schlachten. So, jetzt reicht's aber auch wieder... Schluss! ...Stopp!... Aus!...Willst du wohl.... Aus jetzt!! Ich wollte doch eigentlich nicht mehr so viel abkotzen... und es gibt ja auch einige echt tolle, bunte Schafe in dieser Herde, bei denen ich sehr dankbar bin, sie über diesen komischen Weg gefunden zu haben... Bin ja jetzt außerdem auch schon an Leipzig vorbei und die Landschaften werden blühender. Also zurück zum eigentlichen Thema: Die letzten Monate und vor allem ihre seltsamen Wochenenden.



Scheiße ohne Erdbeeren


Ich überholte die Straßenlaternen und mein Schatten überholte mich. Die Steinplatten bildeten unter mir seltsame Muster, während ich absurd schnell einen Fuß vor den anderen setzte. Es war einer dieser Heimwege, an die ich mich sicher morgen nicht mehr erinnern würde. Sturzbetrunken und wie auf Schienen oder Autopilot flog ich durch meinen Kiez; mein mp3-Player dröhnend laut und beide Hände in den Jackentaschen. Die Sonne war noch nicht aufgegangen, aber der Himmel hatte schon dieses neonblaue Leuchten. Ich genoss den Rausch, interpretierte in jede Textzeile ozeantiefe, persönliche Bedeutung und versank in meiner Alkohol-Romantik. Ich blickte nur auf den Boden, schloss gelegentlich die Augen, sang leise mit und ergab mich ganz der gerechten Willkür der Spätsommernacht, als ich überraschend und hart mit dem Gesicht gegen ein Metallschild schlug. Genau genommen stolperte ich erst über die knöchelhohe Umzäunung einer dieser kleinen Grünflächen, die hauptsächlich dazu dienen von Hunden vollgeschissen zu werden, und fing mich dann, da ja beide Hände in meinen Jackentaschen, elegant mit dem Gesicht an dem, gegen die Grünfläche geradezu riesig wirkenden, Hunde-Verboten-Schild ab. So richtig erinnern kann ich mich eigentlich nur an das metallische Krachen; wahrscheinlich hatte ich gerade die Augen geschlossen. Nach dem ersten Schreck sah ich mich kurz um und musste zum einen feststellen, dass ich in einem kleinen Gebüsch lag und zum anderen, dass ich sonst eigentlich fast nichts sah, was da herrührte, dass ich meine Brille leider nicht mehr aufhatte und dass es auch noch ziemlich dunkel war. Ich tastete einige Minuten halbblind den Boden in meiner Umgebung ab, fand aber nichts und stand erstmal auf, um mir den Dreck abzuklopfen und nochmal nach Blut oder anderen Anzeichen einer Verletzung zu suchen. Ich stellte fest, dass ich ausser meiner Brille und meiner Coolness erstmal nichts verloren hatte und fühlte den deutlichen Impuls die Szenerie dieser Erniedrigung möglichst schnell zu verlassen. Aber das ging leider nicht. Ich konnte unmöglich meine teure Brille in diesem wahrlich beschissenen Gebüsch zurücklassen. Es half alles nichts. Ich musste zurück auf den Boden. Und das in so vielen Bedeutungen gleichzeitig.

Ich versuchte es mit Hinknien, aber so erreichte ich nur den äußeren Rand dieser urbanen Installation aus Müll, Pflanzen und Kot. Nach 2 Minuten Wühlen begann ich damit, kleine Büschel Unkraut herauszureißen, sie nach Brillenspuren abzusuchen und wütend hinter mich zu werfen. Als auch das keinen Erfolg brachte, erkannte ich, dass kein Weg daran vorbeiführte, mich wieder auf alle Viere zu begeben und tiefer in das Gebüsch zu kriechen. Ich buddelte mit beiden Händen in dem, wovon ich mir wünschte, es wäre nur Erde. Ich fluchte innerlich und schwor, hier nicht ohne meine Brille wegzugehen. Als ich neben mir Schritte hörte, und beim Hochsehen, den fragenden und gleichzeitig verächtlichen Blick des Mitte-Hipsters sah, der gerade an mir vorbeiging, wurde mir bewusst, dass es in meinem Leben wohl bisher keinen Moment gab, an dem ich näher an einem Penner war als diesen hier. 34 Jahre alt, sturzbetrunken, auf allen Vieren in einer von mir selbst gut durchgerührten Mischung aus Scheiße, Dreck, noch mehr Scheiße und einer verbogenen Designer-Brille – so blickte ich also von unten auf das neue, coole Berlin. Und es ging ohne zu stoppen, oder sich noch einmal umzudrehen, an mir vorbei. Wäre ich besser drauf gewesen, hätte ich ihm sicher etwas Schlaues hinterhergerufen. Aber ich war ja damit beschäftigt, Unkraut, Erde und Hunde-AA blind nach der jeweiligen Konsistenz zu sortieren. Ich hatte also deutlich wichtigeres zu tun. Die guten ins Töpfchen, die schlechten hinter mich auf den Gehweg...

„Was ist ihnen denn passiert?“ fragte mich die Frau in dem kleinen Brillengeschäft am nächsten Nachmittag. „Sagen wir, ich hatte einen kleinen Unfall“ antwortete ich und versuchte sie, mit dem einen Auge unter- mit dem anderen über dem Brillenrand, zu fixieren. Erst als ich wieder in meiner Wohnung war und das Ergebnis ihres halbstündigen Biegens in meinem Spiegel prüfen wollte, entdeckte ich die riesige, rote Beule auf meiner Stirn. Ich legte meine Brille ab, und mich wieder ins Bett, zog mir die Decke über den Kopf und lies der Welt den ganzen restlichen Samstag Zeit, mich ausgiebig am Arsch zu lecken.



Last Minute Resistance
Oder: So sind wir Männer eben...


Es war eine der letzten Nächte, die noch sommerlich genug war, dass sich das schwarzgekleidete Grüppchen Menschen vor statt in meiner Stammbar aufhielt. Kaum bog ich um die Ecke, hörte ich schon das liebliche Klirren von Bierflaschen, die laute Musik und das angenehme Gegrummel von vielen betrunkenen Menschen, die sich dummes Zeug erzählten. Als ich mich den dunklen Gestalten auf 10 Meter genähert hatte, hörte ich meinen Namen. Wing3 kam mir, so freudig und so torkelnd wie ein Kleinkind, entgegen gestolpert, fiel mir um den Hals und drückte mir eines der zwei Biere in die Hand, aus denen er offensichtlich vorher abwechselnd getrunken hatte. Er lallte mir dazu irgendetwas völlig unverständliches und nasses ins Ohr, das ich als überschwänglich freundliche Aufforderung interpretierte, sein halbvolles Geschenk anzunehmen und mit ihm zu feiern. Ich lobte ihn, wie man eine Katze lobt, die einem einen toten Vogel vor die Füße legt und nahm glaubwürdig dankbar einen tiefen Schluck des warmen Speichel/Bier-Gemischs. Der Abend versprach jetzt schon spaßig zu werden.

Mein treuer Wochenend-Freund zog mich sofort die letzten Meter bis vor die Bar und stellte mir schwankend zwei Mädchen vor. Eine davon war die kleine, rothaarige V, die er mir schon bestimmt vier Mal im letzten Jahr vorgestellt hatte. V hatte, seit sie sich von ihrem DJ-Freund getrennt hatte, fürchterlich angefangen zu koksen und ihre offen zur Schau gestellte Supercoolness lies darauf schließen, dass sie auch heute Abend schon reichlich Näschen gepudert hatte. Ihre Freundin kannte ich nicht, aber sie wirkte nicht weniger abwesend. Wir wechselten trotzdem die üblichen Inhaltslosigkeiten, während ich mein halbes Bier vernichtete. Dann packte mich Wing3 auch schon wieder am Arm. „Los! Wir gehen rein!“ frohlockte er, zog mich bis zur Tür, stoppte dort, blickte nachdenklich auf sein Bier und an sich herunter und meinte dann, als sei ihm die Lösung eines schwerwiegenden Problems eingefallen: „Moment. Das geht so nicht...“. Daraufhin zog er sich vor mir, der versammelten Gemeinde vor der Bar und dem verdutzten Türsteher erst die Hose herunter, goss sich dann sein restliches Bier über den Kopf, kommentierte dies kurz und hochzufrieden mit „so. jetzt.“ und marschierte in kleinen Schritten mit seiner Hose an den Knöcheln an mir und dem Türsteher vorbei in den Laden und direkt an die Bar um sich ein neues Bier zu bestellen. Ich wartete gespannt auf die Reaktion des Türstehers. Als mich dieser nur vergnügt angrinste und meinte „na dit kann ja noch lustich werdn, wa?“ wusste ich mal wieder, warum dieser Laden meine Stammbar ist.

Ich folgte also dem Beispiel des biergetränkten Freaks und bestellte mir neben ihm am Tresen ebenfalls ein neues Erfrischungsgetränk. Allerdings behielt ich meine Hose dazu an. Dafür fühlte sich der langhaarige Barkeeper anscheinend um so inspirierter von Wing3 und entledigte sich, bevor er mir ein Berliner über den Tresen schob, seines Hemdes. Ich befürchtete schon es würde mal wieder zu einer allgemeinen Entkleidungswelle in der Stammbar kommen, aber dafür war es wohl noch zu früh am Abend. Auch Wing3 erkannte die bewegungstechnischen Einschränkungen seiner Entscheidung, die Hose um die Schuhe zu tragen, und zog sich nach einigen Minuten des coolen am-Tresen-Lehnens, die Hose wieder hoch. Hatten ja jetzt auch alle mitbekommen. Wir tranken und spaßten uns im weiteren Verlauf des Abends immer wieder kreuz und quer durch die Bar, bis wir schließlich, wie zwei müde Krieger nach der Schlacht, auf einer Bank in einer Ecke strandeten. Wing3 zeigte deutliche Ausfallerscheinungen, während ich noch relativ aktiv war und in der Sorge, meinen tapferen Kameraden an den bösen Flaschengeist zu verlieren, nach einer kurzen Erholungspause versuchte am Tresen Leitungswasser zu bekommen, um ihn vor dem herannahenden K.O. zu bewahren. Als ich endlich mit dem großen Glas Wasser vor ihm stand, war er leider bereits dem Türsteher aufgefallen. In für ihn typischer Pose lag er, halb auf seinen Ellenbogen gestützt, mit offenem Mund und geschlossenen Augen, quer über der Bank und erinnerte wie immer an ein Kriegerdenkmal auf einem beliebigen Soldatenfriedhof. Ich hatte ihn so schon einige Mal, und auf den unterschiedlichsten Untergründen, liegen sehen. Es war immer wieder wahrlich ein Bild für Götter. Doch noch bevor ich etwas sagen konnte, nahm der sonst so friedliebende Türsteher Wing3s Nase zwischen seine Finger und zog ihn an dieser nach oben, bis Wing3 ihn mit aufgerissenen Augen anstarrte. „Weest ja was wa ausjemacht ham, oda? Wenn de penn' willst jeste Heim!“ erklärte der Türsteher dem verwundeten Kameraden kurz und zog sich dann an die Front zurück. Zumindest musste ich ihn jetzt nicht mehr wecken.

Ich legte sofort meine Schwesternuniform an, zog mir die kleine, weiße Haube auf und nahm die Erstversorgung des immer noch verwirrten Kollegen vor. Nach ein paar Schluck Wasser kam er halbwegs zu sich. Doch statt ihn nach Hause zu schicken, was ich wahrscheinlich hätten tun sollen, begann ich ihn zu überreden, mit mir weiter in Club1 zu ziehen. Zu meiner Überraschung war er zwar nur schwer in der Lage das Wasserglas ordentlich zu halten, zeigte sich aber von meinem Vorschlag in den Club zu gehen sofort absolut begeistert. Er ist eine wahrlich tapfere Seele. Gott segne ihn.

Ich half ihm auf und wir verabschiedeten uns von dem finstren Ort und machten uns gemeinsam auf den Weg in den Nächsten. Der Club war erstaunlich leer. Einige letzte versprengte Grüppchen fielen und tanzten quer durch den Laden, aber die Schlacht war wohl bereits geschlagen und die Massen schon auf dem Weg in die Betten, um ihren Rausch auszuschlafen oder diesen komischen 'Sex' zu haben von dem immer alle reden. Ein Blick auf die Uhr erklärte mir die Situation. Es war kurz vor 6, und Club1 nicht für die längsten Parties bekannt. Wing3 steuerte quer über die Tanzfläche ein altes, ekliges Sofa an als wäre es ein frisch gemachtes Bett. Ich beschloss erstmal die Bar zu besuchen, um mir ein feines, kleines Bierchen zu genehmigen. Als ich zurückkam und mich dem Rand der Tanzfläche näherte fielen mir zwei Mädels auf. Sie tanzten relativ nahm am DJ-Pult und passten beide nicht so ganz zu dem für Club1 üblichen Publikum. Die eine war groß und blond, die andere extrem klein und dunkelhaarig. Beide waren sehr schlank und für Club1 etwas zu prollig gestylt. Die Kleine fixierte mich schon von weitem und kam, als ich sie ansah, direkt auf mich zugesteuert. Sie packte mich am Arm und zog mich auf die Tanzfläche. Als jemand, dem so etwas vielleicht alle zehn Monate mal passiert, reagierte ich leicht überfordert. Ich tanzte zwar ein wenig mit, tat aber vor allem das, was ich immer tue, wenn ich nicht weiß wie ich reagieren soll: Ich fing an zu reden. Und in Ermangelung angemessener Reaktionszeit natürlich auch gleich noch ziemlich dummes Zeug.

Elia: „Na, ihr gehört doch eigentlich gar nicht hier her?“

Einmeterfünfzig: „Hä? Wie meinste denn das?“

Elia: „Na ihr zwei gehört doch eigentlich eher ins XXX(prolliger Teeny-Hardrockschuppen).“

Die Mädels flüsterten und kicherten.

Einmeterfünfzig: „Ja, stimmt. Da sind wir auch immer. Aber das is ja nur Donnerstags.“

Ich tanzte noch eine Weile mit ihr und redete ähnlich inhaltsfreien Dünnschiss. Die Kleine stand ganz eindeutig auf mich. Ich sah sie mir nochmal genauer an. Man will ja schließlich keine voreiligen Entscheidungen treffen. Sie war wirklich winzig, schien aber einen ziemlich guten Körper zu haben. Der Rest an ihr verhieß allerdings keinerlei Gemeinsamkeiten mit meiner Welt. So weit ich mich erinnere hatte sie ein Piercing im Gesicht, ihre seltsam unechte Bräune ließ auf den regelmäßigen Besuch im Sonnenstudio schließen, die hüftlangen, glatten, schwarzen Haare schrien förmlich 'Extensions' und auch der Stil ihrer Klamotten roch irgendwie nach Arschgeweih, Golf III und Böhse Onkelz. Mädels wie sie verirrten sich eigentlich selten in kleine Kellerclubs, sondern sammelten sich normalerweise in den Großraumdissen und Jugendzentren im Brandenburger Umland oder den Touristenfallen in Friedrichshain. In meinem Kopf begann eine wilde Diskussion. Die eine Hälfte meiner inneren Stimmen plärrte, ich solle gefälligst jetzt mal die Gelegenheit beim angeschweißten Zopf packen und hoffen dass dieser hält, die andere Hälfte schüttelte ungläubig und verächtlich den Kopf über den Gedanken, mit dieser Frau alleine zu sein, geschweige denn eine längere oder auch nur kurze Unterhaltung zu führen. Ich selbst war in erster Linie mal verwundert über ihre Reaktion auf mich, da nach meiner Erfahrung Mädels wie sie eher auf tätowierte Typen mit gestählten Brustkörben, viel zu kleinen Ed-Hardy-Shirts und peinlichen Alufelgen abfahren, statt auf blasse, kleine Glatzköpfe mit Brille. Sie begann mich ziemlich eindeutig (ich hasse schon das Wort) 'anzutanzen'. Es blieb nur noch Kampf oder Flucht. Ihr kennt mich. Ihr wisst, dass ihr euch auf mich verlassen könnt. Ich wählte die Flucht.

Obwohl ich aus dem Augenwinkel beobachtete, wie Wing3 sich zwar kaum noch auf den Beinen halten konnte, aber trotzdem von zwei Mädchen gerade vom Sofa und, durch eine sonst verschlossene Tür, in den Backstage gezerrt wurde, berief ich mich darauf, meinen sozialen und gesellschaftlichen Verpflichtungen nachkommen zu müssen:

Elia: „Ähm... ich muss mal nach meinem ...äää... Kumpel... schaun.“

Einmeterfünfzig: „Ok, ich komm mit!“

Ich war irritiert. Die Realität bewies mir mal wieder zwei Dinge: Zum einen, dass dieser ganze Pick-Up-Schmonz von wegen, der Mann muss immer diesunddas machen und die Frauen lassen sich 'gamen', genau so wahr ist wie der Weihnachtsmann und zum anderen, dass es dem Universum einen Heidenspaß macht, seinen dreckigen Finger in meine Pick-Up-Wunde zu legen und dann noch genüsslich drin rum zu popeln. Jetzt hatte ich also monatelang nach einer Gelegenheit geplärrt, engeren Körperkontakt unter Alkoholeinfluss mit einer mir völlig unbekannten Person zu praktizieren, und nun als sie, winzig klein, betrunken und bereit mir zu folgen, vor mir stand ging mir nichts anderes durch den Kopf als: „Oh. Scheiße.“

Mein Hinweis darauf, dass sie aber doch mit ihrer Freundin hier sei, wurde von der kleinen, aber extrem entschlossenen Frau schweigend in den Wind geschlagen und so blieb mir nichts anderes, als mich mit ihr auf die Suche nach meinem 'verlorenen Freund' zu machen. Ich fühlte mich stark an diesen blöden Dreiteiler mit dem Ring und den scheiß Zwergen erinnert. Speziell als wir im Gänsemarsch die endlos lange Treppe in den oberen Bereich des Clubs hinaufstiegen wie einen Bergpass, und ich das beklemmende Gefühl hatte, sie würde mir jetzt auch ohne zu zögern in einen dunklen Wald folgen. Oben angekommen suchten wir meinen Freund. Das hatte ich ja schließlich so gesagt. Die Suche endete, wie zu erwarten war, erfolglos. Und so standen wir schließlich ziemlich planlos und schweigend zwischen den leeren Sitzecken voreinander. Die Barleute räumten im Hintergrund bereits Stühle, Gläser und Müll zusammen und ich blickte hilflos in Richtung meines Bauchnabels, auf dessen Höhe mich diese fremde Frau anstarrte. Es vergingen einige Sekunden und nur ein sozial völlig behinderter Idiot hätte nicht gecheckt, worauf sie wartete. Der Druck stieg. Ich wusste, ich würde im Pick Up Forum erst geköpft, dann ausgelacht, dann im Gesicht angemalt und dann gebannt, wenn ich jetzt nicht tue, was man eben tut, wenn man morgens um 7 mit einem betrunkenen Mädchen im Club steht und sie einen so ansieht.

Mir kam es ewig vor. Es fühlte sich ein bisschen an wie Sterben, nur dass nicht mein Leben an meinem inneren Auge vorbeizog, sondern eine komische Liste an Plus- und Minus-Punkten. Beide Seiten der Liste waren nicht allzu lang. Auf der Plus-Seite erschien als erstes ihr offensichtlich guter Body, gefolgt von einigen ekligen Eimern voller Erwartungen, Rollenklischees und sozialem Druck a'la 'Mann sein müssen' (Hallo Philipp Czerny!), 'Eskalieren müssen', 'Comfort Zone sprengen' und dann natürlich dem Respekt anderer Kerle in Forum, facebook und natürlich auch, nicht zu vergessen, dem 'echten Leben'. Auf der Minus-Seite meldete sich vor allem der kleine, introvertierte Kontrollfreak in mir zu Wort. Ich fragte mich, worüber ich mit dieser Frau nur jemals reden sollte? Morgen früh? Im Taxi? Auf dem Weg aus dem Club? Jetzt?... Über Rammstein-Konzerte, 'Hang-Over-III' und was man alles mit Jägermeister mischen kann? Über Tribal-Tattoos, Pfefferminzlikör, Fitnessstudios und Pauschalurlaub auf Malle? Und wie das überhaupt jetzt laufen soll?...Mein Kopf malte sich diverse Szenarien aus. Ob sie dann überhaupt bei mir pennt? Oder ob ich sie danach nachhause schicke? Wie ich jetzt überhaupt auf solche Scheiß-Fragen komme, wo doch noch gar nichts passiert ist? Und dann war sie vor allem ja ein fremder Mensch! Oh my god! Und das auf so vielen Ebenen. Wir waren uns nicht nur fremd, sondern hatten tatsächlich noch keine zehn Sätze miteinander gewechselt. Wollte ich wirklich diesen fremden Menschen in meiner Wohnung, in meinem Bett, in meinem Mund? Alle anderen wollen das doch auch immer... Und sie starrte mich immer noch so erwartungsvoll an. Dabei war ich doch noch mitten in der Minus-Liste! Ich müsste mich sowieso setzen. Ja richtig, setzen. Sie war ja viel zu klein. VIEL zu klein! Ich müsste mich ja sonst bücken! „Wollen wir uns setzen?“ ging mir durch den Kopf. Vielleicht hatte ich es auch ausgesprochen, ich weiß es nicht mehr. Aber der Moment war bereits vorbei. Das konnte man spüren und vor allem sehen. Ihr Blick war ein anderer. Die Erwartung war weg. Da war nix zu holen. Es war so verzweifelt wie blödsinnig. Zwei betrunkene Menschen morgens um 7 in einem leeren Club. Es sprach einfach nichts dafür, mit dieser Frau Sex oder sonst irgendwas zu haben, ausser der wagen Möglichkeit dazu und der Aussicht auf Reibung und Wärme. Es verband uns nichts und ich konnte für mich zumindest sagen, dass mich nichts an ihr anzog, ausser der Tatsache, dass sie der Hälfte der Menschheit angehörte, die keinen Penis ihr Eigen nennen kann.

EJECT. So heißt das ja im Pick-Up. Oder vielleicht besser 'Last Minute Resistance'? Wobei es in meinem Fall wohl eher eine 'First Minute Resistance' war. Beides ist im Pick Up leider nur für Wesen ohne Penis vorgesehen. Männer haben eigentlich gefälligst immer zu wollen. Freiheit ist irgendwie was anderes. Wir gingen zusammen wieder nach unten. Glaube ich zumindest. Die Zeit und der Alkohol haben die Erinnerung an den Abend schon etwas ausbleichen lassen. Irgendwo um die Tanzfläche herum trennten sich unsere Wege und auch Wing3 tauchte nicht mehr auf.

Ich verlies, halb frustriert, halb geschmeichelt, den Club. Zwei Häuser weiter stolperte ich in einen winzigen Gothic-Schuppen. Auf der Tanzfläche waren genau noch zwei Mädels. Beide nicht mein Fall. Ähnliche Klientel wie die beiden Tanzmäuse in Club1. Vielleicht hätte man die Vier miteinander bekannt machen sollen...Ich drehte nach 30 Sekunden um und ging wieder raus auf die Straße. Ich lief in Richtung des Absturzclubs und musste dabei über mich selbst schmunzeln. Wie unvermittelbar bin ich eigentlich wirklich? Sind meine Ansprüche tatsächlich so absurd hoch oder speziell? Hat das was mit dem Alter zu tun? Ist das die berühmte 'Verkorkstheit' der Ü-30er-Singles? Fragen über Fragen. Ich erkannte, dass nur Alkohol mir hier weiterhelfen konnte.

Im Absturzclub trank ich ein Bier und bekam Lust zu tanzen. Leider war die Musik so abgrundtief scheiße, dass ich auch diesen Laden wieder verlies und mich auf den Weg in die Hass-Bar machte. Die Hass-Bar ist ein verkokster, schmutziger, kleiner House-Schuppen in dem man aber bis in den Nachmittag hinein gut feiern kann, vorausgesetzt man schafft es die versnobten Schnösel und die dazugehörigen Blondinen zu ignorieren. Ich kaufte mir dort ein letztes Bier und stellte mich in die zuckende Menge, als ich plötzlich ein breites Grinsen auf der anderen Seite der winzigen Tanzfläche entdeckte. Es war Wing2. Ich hatte nicht mehr mit sozialem Kontakt gerechnet, und war eigentlich auch nicht mehr wirklich in der Lage dazu. Wir begrüßten uns also kurz und nickten dann nebeneinander zum monotonen Beat.

„Irgendwas scheine ich heute auszustrahlen“ dachte ich mir, als mir nach einigen Minuten auffiel, dass mich der DJ seltsam freundlich anlächelte. Als ich seinen Blick etwas fragend erwiderte, führte er mir kunstvoll pantomimisch den Konsum einer Line Koks vor. „Hervorragende Idee“ dachte ich mir „guter Mann“ und machte mich auf den langen Weg, die kurze Strecke durch die dichte Menge bis zum DJ-Pult. Dort angekommen stellte ich mich neben meinen neuen Freund. Der freute sich und begrüßte mich herzlich mit „und?“. „Ja. Los...“ gab ich ebenso ausführlich zurück und wartete auf meinen versprochenen Fitmacher. „Hast du Koks?“ plärrte der DJ mich jetzt etwas konkreter an. „Ne, ich dachte du“ gab ich zurück. Und da war er wieder. Dieser enttäuschte Blick. Ich schien in dieser Nacht einfach niemanden glücklich machen zu können. Auch aus dieser peinlichen Situation blieb mir nur die Flucht und schon wieder hinterließ ich einen Menschen, dem ich einfach nicht geben konnte, was er von mir wollte.

Ich zuckte noch eine Weile neben Wing2, dann zog es mich wieder hinaus. Ich war endlich richtig betrunken und der festen Überzeugung jetzt mein Glück im Absturzclub finden zu können. Dazu kam es allerdings nicht mehr. Ich scheiterte auf der Hälfte des Weges und winkte mir mechanisch eines dieser schönen, gelben Rettungsboote heran, das mich nachhause in mein geliebtes Bett brachte. Ob das Mädchen und der DJ in dieser Nacht noch bekamen, wonach sie sich sehnten, weiß ich nicht. Ich ging jedenfalls schlafen. Ohne Sex und ohne Koks.



Der Morgen an dem mein Gewissen begann mich zu siezen


Ich habe diesen Text auf dem Weg in die Heimat vor zwei Wochen begonnen. Jetzt sitze ich in Tegel vor dem Gate C48 und warte auf meinen Flug. Es geht wieder in die Heimat. Diesmal allerdings mit fröhlicheren Gedanken - diesmal warten Plätzchen und Whisky auf mich. Alle Kunden-Weihnachtsfeiern sind erfolgreich hinter mich gebracht und von den meisten fehlt mir das Ende und der Nachhauseweg. Mein Hang zu Blackouts hat sich in den letzten Monaten nochmal deutlich gesteigert. Inzwischen ist es für mich eigentlich fast normal, dass mir mein Gehirn, wenn ich Sonntags versuche mich an die letzten Stunden des gestrigen Abends zu erinnern, nur eine sich langsam vor sich hin drehende Sanduhr zeigt. Vor ihr schlafe ich dann meistens auch wieder ein.

Mit genau dieser schwammigen Leere im Kopf wachte ich vor ein paar Wochen mal wieder Sonntag Nachmittags auf und fragte mich kurz, wie ich gestern nur nachhause gekommen war. Was die Antwort war, hatte ich ja gerade schon beschrieben. Ich wälzte mich also die letzten Stunden des Tages zwischen Kopfschmerzen und Magengrummeln noch ein wenig im Bett hin und her und schlief dann bis Montag Mittag durch.

Ausgeschlafen und voller Energie und Tatendrang stand ich am Montag auf und machte mir einen kräftigen Kaffee. Ich schlenderte ein wenig durch meine Wohnung und entwarf einen enthusiastischen Plan für den heutigen Tag. Beim Spaziergang durch meine Wohnung schaute ich auch kurz in meinem Arbeitszimmer vorbei. Hier gibt es ein großes Fenster, an dem man prima stehen und bedeutungsvoll Kaffeetrinken kann, während man den gehetzten Lohnsklaven auf dem Weg zur Arbeit zusieht. Und genau so stand ich an besagtem Fenster und dachte mir „war das ein Fahrrad an dem ich da gerade vorbeigelaufen bin? Ein fremdes Fahrrad?“. Die Nespresso-Werbespot-Atmosphäre war schlagartig verflogen und ich drehte mich langsam um.

Tatsache. Da stand es. Ein mir vollkommen fremdes Damenrad - zwei Gepäckträger, 18Gang-Schaltung, gut in Schuss. „Holy... Mother.....fuck!“. Ich blieb zwei Minuten vor dem Eindringling stehen und versuchte mich krampfhaft an irgendwelche Bilderfetzen zu erinnern, die mir weiterhelfen könnten, diese Situation zu erklären. ...Sanduhr. Sonst nichts. Ich hatte keinen blassen Dunst, wie dieses Fahrrad in meine Wohnung kam. Aber ich hatte eine dunkle Ahnung. Meinen Hang zur Sachbeschädigung und Kleinstkriminalität dachte ich mit 15, 16 und 17 ausgiebig ausgelebt zu haben und seit dem hatte ich auch, wie es sich für einen richtigen Erwachsenen gehört, die Finger von Spraydosen, Mercedes-Sternen, und fremdem Eigentum gelassen. Aber Betrunkene sind bekanntlich manchmal wie Kinder. Und ich war immer eher ein seltsames Kind.

Ich versuchte mich so gut es ging als Sherlock Holmes und sammelte Hinweise. Die zwei auffallend großen Gepäckträger wiesen auf einen Zeitungsausträger als Opfer der Tat hin. Das würde auch das fehlende Schloss erklären. Denn so kriminell mich der Rausch der letzten Nacht auch anscheinend hatte werden lassen, Schlösser knacken gehört trotzdem nicht zu meinen Fähigkeiten. Im Laufe des Tages fand ich ein U-Bahn-Ticket in meiner Hose. Ich Arschnase hatte der armen Sau anscheinend nicht nur das Fahrrad vor der Tür weggeklaut, sondern das auch noch nur wegen dem Spaß, oder zumindest dem kurzen Weg von der U-Bahn bis zu meiner Haustür. Ich suchte weiter und fand zwei leergefressene Bäckertüten in meinem Bett. Mein Croissant-Junkietum ist grundsätzlich nichts Neues, aber es eröffnete in diesem Fall eine weitere Version des Tathergangs. Ich sah mich förmlich mit fliegenden Zeitungen und kichernd davon fahren, während hinter mir ein armes Menschlein fluchend aus einer Bäckerei rannte. Kein schönes Bild. Eine Mischung aus Scham und Ungläubigkeit bereitete mir Gänsehaut. Als ich Wing2 die Geschichte am Telefon erzählte erntete ich einen ordentlichen Anschiss. Hätte ich mir auch denken können. Der Mann ist Fahrrad-Fetischist und ich hatte praktisch ein Fahrrad entführt und aus seiner vertrauten Umgebung gerissen. Es dauerte einige Tage, bis ich ihn wieder versöhnlich stimmen konnte und er mir glaubte, dass ich das Ganze ohne böse Absichten und vor allem ohne Bewusstsein getan hatte.

Vor drei Wochen ist ein zweites Fahrrad dazugekommen. Auf die gleiche Weise. Es muss ein
Weibchen sein. Die zwei haben sich sofort verstanden. Inzwischen sind es Vier. Zu meiner Verteidigung muss ich anmerken, dass ich mich an den Einzug des vierten Fahrrads wenigstens erinnere. Wing2 hatte mich wegen der ersten drei dieses Wochenende noch einmal ordentlich zur Sau gemacht. Wir waren gerade auf dem Weg in eine neue Bar und er meinte es könne doch gar nicht sein, dass man so schnell mal einfach ein unangeschlossenes Fahrrad finde. Er sagte, er würde mir ein Bier zahlen, wenn ich bis zur Bar eins fände. Zwei Blocks weiter radelten wir schon nebeneinander her. Es war ein Jugendrad, mir etwas zu klein, und es war vorne und hinten platt, aber das war mir egal. Bis wir an der Bar waren, war selbst der Gummimantel durchgefahren. Ich bekam mein versprochenes Bier und wir tranken und amüsierten uns über das Fahrrad und sahen zu, wie vor uns eine dicke Frau auf den Tresen kletterte und völlig betrunken auf der Bar tanzte. Als wir die Bar verließen und Wing2 sein Fahrrad aufsperrte stand direkt daneben ein schönes, halbwegs neues Damenrad. – unangesperrt! Betrunkene scheinen auch das gleiche Glück wie kleine Kinder zu haben. Zumindest fällt es mir leichter, fremde Fahrräder mit in meine Wohnung zu nehmen, als fremde Frauen. Was ich allerdings mit den vielen Fahrrädern in meiner Wohnung jetzt mache, weiß ich noch nicht genau.



Join the car crash set


In den letzten Wochen dieses Jahres sind einige komische Sachen passiert. Aber vielleicht bin ich auch nur in dieser seltsamen, nachdenklichen Stimmung, in die man verfällt, wenn sich das Jahr dem Ende neigt. In meiner Post fand ich jedenfalls neulich noch ein liebes Schreiben mit herzlichen Weihnachtsgrüßen einer Anwaltskanzlei aus München, die mich wegen des Herunterladens eines Filmes mit Brad Pitt in der Hauptrolle, um 1000 Euro baten. Als würde ein normaler Mensch 1000 Euro für einen Brad-Pitt-Film zahlen! Diese Bayern...humorige Menschen. Man muss sie einfach mögen.

Es gibt manchmal so Phasen, da fühlt sich das Leben an, wie eine Aneinanderreihung von Unfällen. Man denkt ständig „Hoppla! War das jetzt meine Schuld?“ oder „Oh verdammt! Das hab ich nicht kommen sehen!“ aber nach dem dritten oder vierten Rumms gewöhnt man sich an das Quietschen der Reifen und das Geräusch von Blech auf Beton. Wie immer ist auch hier die große Kunst das Loslassen. Und nach einiger Zeit fängt man an sich zu entspannen. Unfall-Zen nenne ich das. Man wartet lächelnd auf den nächsten Aufprall und genießt den ganz besonderen Geruch von brennendem Kunstleder.

Worüber ich mir allerdings nicht mehr wirklich sicher bin ist, ob die Entdeckung von Pick Up für mich und mein Leben nun eigentlich das Eintreffen des Krankenwagens, oder nicht viel eher einen weiteren Unfall darstellt. Ohne Pick Up wäre mein Liebesleben dieses Jahr jedenfalls auch nicht viel anders verlaufen. Gevögelt habe ich nicht. Aber verliebt habe ich mich immerhin ein mal. Und das ist lustiger Weise schon ein Mal mehr, als einige bekannte Pick Up Blogger. Allerdings kann man das Verlieben natürlich auch nicht erzwingen, sondern nur zulassen.

So Kinderlein, nun werde ich mich mal zu Oma und Mutti an den Kaffeetisch begeben, bevor ich die zwei 'HBs' zur nächsten Location 'bounce', um dort die Sache mit dem Jesuskind abzufeiern. Mein Kater hat sich etwas gebessert und mein Magen könnte die Lebkuchen vielleicht behalten. Ich wünsche euch allen von Herzen ganz viel Liebe und noch andere tolle Sachen! Feiert schön, rutscht gut rein, und tut nichts, was ich nicht auch tun würde!


Elia

21. September 2013

Männer mit Taschenrechnern

Über Stochastik, Training und die Irrwege der Quantität



Ich saß die letzten Tage jeden Mittag mit meinen französischen Freunden in deren Haus am Tisch und beobachtete eine glückliche Patchworkfamilie, als wäre ich in ein Wahlplakat der Grünen gefallen. Ich habe die beiden ziemlich genau zu dem Zeitpunkt kennengelernt, zu dem sie sich auch kennenlernten und so diese Beziehung praktisch vom ersten Tag an miterlebt. Inzwischen haben sie eine Familie gegründet und leben mit ihren vier Kindern, wovon zwei gemeinsame sind, in einem wunderschönen Haus ein Bilderbuch-Familienleben. Für mich sind die zwei ein großartiger und seltener Fall dessen, was wohl 'wahre Liebe' sein muss. Alle Logistik, Wahrscheinlichkeit und Logik des Datings und der Partnerpsychologie sprachen von Anfang an völlig gegen diese Beziehung. Er lebte in einer Ehe mit einer anderen Frau, sie in einer anderen Stadt. Die beiden trennten nicht nur über 20 Jahre Altersunterschied, sondern auch enorme soziale Unterschiede, Ländergrenzen und 1000km Luftlinie. Trotzdem verliebten sie sich auf den ersten Blick und er folgte ihr, ohne Rücksicht auf die Folgen für ihn, seinen Beruf und seine Ehe zu nehmen, blind in ein anderes Land und ein anderes Leben. Heute sind sie eines der glücklichsten Paare, das ich kenne. Ihre Geschichte war zum großen Teil alles andere als 'hollywoodesk', aber immer wenn ich die beiden zusammen sehe, denke ich, dass es genau das ist, was ich und viele andere doch eigentlich suchen; eine Art 'Seelenpartner'. Aber kann man das Finden, eines solchen Partners durch Techniken oder Verhalten beeinflussen? Kann man die Wahrscheinlichkeit so jemanden kennenzulernen wirklich erhöhen?

In den letzten zwanzig Jahren hatte ich einen relativ stabilen Rhythmus, wenn es um Beziehungen ging. Meine Beziehungen dauerten alle etwas länger als zwei Jahre und dazwischen war ich meist ungefähr zwei Jahre Single. Ins Straucheln kam dieser Rhythmus erst nach meiner letzten Beziehung, nach der meine Single-Phase sich nun bald fünf Jahre hinzieht. Ich lernte die Hälfte meiner Freundinnen über meinen Social Circle kennen, die andere Hälfte in Clubs, Bars oder auf Konzerten. Vor etwas mehr als einem Jahr begann ich zu überlegen, ob es nicht eine Möglichkeit gäbe, diesen Rhythmus zu beeinflussen und die Chancen zu erhöhen, wieder ein Mädchen mit 'Girlfriend-Potenzial' kennenzulernen. Ich entdeckte Pick Up. Und die Idee schien nicht nur für schnellen Sex, sondern auch für die Suche nach einer Beziehung, auf ihre männlich-logische Art so einfach, wie mathematisch richtig zu sein. Wenn man in ungefähr gleichen Abständen, in denen man bisher ja ungefähr die gleiche Anzahl an Frauen kennengelernt hatte, ein Mädchen findet, in das man sich verliebt und mit dem man eine Beziehung führt, dann müsste sich genau diese Zeitspanne, zwischen den Beziehungen, doch verkürzen lassen, indem man einfach die Anzahl der Mädchen, die man kennenlernt erhöht. Das hatte für mich Hand und Fuß. Es war Mathematik, simple Wahrscheinlichkeitsrechnung.

In den ersten Tagen meiner 'Pick-Up-Recherche', faszinierten mich vor allem all die verpassten Chancen, die mir durch den Kopf gingen, während ich mir Daygame-Videos auf Youtube reinzog. Jeder von uns kennt das tolle Mädchen, das heute Mittag auf der Straße an einem vorbeiging, oder in der U-Bahn gegenübersaß. Jeder kennt das grummelige Gefühl, während sie aufsteht und an der nächsten Station aussteigt, oder man sich noch einmal umdreht, und sie hinter der nächsten Häuserecke verschwinden sieht. Wenn man nun tatsächlich all diese Mädchen anspräche, dann müsste doch schon nach kurzer Zeit genau das passieren, was sonst eben erst nach zwei Jahren passiert, wenn man durch Zufall auf der Party die neue Mitbewohnerin der kleinen Schwester einer Bekannten vorgestellt bekommt. Ich war geflashed!

Ich begann zu rechnen. Wie viele Frauen, die ich interessant fand, hatte ich denn bisher über meinen Social Circle, meine Arbeit oder in Clubs ungefähr pro Jahr kennengelernt? Wie viele in zwei Jahren? Dies musste doch dann die magische Zahl sein! Ginge ich also davon aus, ich hätte durchschnittlich ungefähr 20 tolle Frauen pro Jahr kennengelernt, dann müsste ich also doch nur vor die Tür gehen und die nächsten 40 Frauen, die mir wirklich gefallen, ansprechen und schon hätte ich mit hoher Wahrscheinlichkeit die Telefonnummer meiner nächsten Freundin in der Tasche. Nach 80 Frauen wäre ich praktisch nahezu mit Sicherheit verliebt und bald in einer neuen Beziehung! Quod erat demonstrandum!

Ich habe nun ein Jahr Pick Up hinter mir. Ich habe in dieser Zeit sicherlich so viele fremde Frauen angesprochen, wie sonst in vier oder mehr Jahren. Trotzdem war eigentlich nur ein Mädchen dabei, das mich, zumindest eine Zeit lang, wirklich fesseln konnte. Woran liegt dieser Fehler in der Dating-Mathematik? Ich lesen in Foren von Männern, die täglich zehn oder mehr Frauen auf der Straße ansprechen, die fast jeden Tag ein Date 'absolvieren', die sich keine Chance mehr, ob in der U-Bahn oder der Metzgerei, entgehen lassen. Trotzdem liest man erstaunlich lange von diesen Jungs. Sie freuen sich über ihre ersten Telefonnummern und später ihren ersten 'Fuck-Close'. Doch sehr oft beginnen sie nach einiger Zeit zu jammern, oder zumindest klingt etwas seltsam melancholisches in ihren Tagebüchern und Reports durch, wenn sich die erste Euphorie gelegt hat. Denn nicht alles lässt sich so direkt und einfach erhöhen, wie die Zahl der Telefonnummern in ihren Handys. Und einige bemerken, dass sie eigentlich etwas anderes gesucht hatten. Es ging nie um 70 Telefonnummern. Es ging nie um die verwaschene Erinnerung an das Rumgemache im Club letzte Nacht. Es ging immer um das eine Mädchen. Warum lässt sie denn so lange auf sich warten? Warum lässt sich das anscheinend eben nicht so leicht erzwingen, oder beschleunigen wie die beiden anderen Resultate? Wo liegt der Denkfehler?



Sargen auf dem Alexanderplatz - Die Evolution frisst ihre Kinder und spuckt sie wieder aus


Lustigerweise wird gerade im Daygame, wo einige Jungs wirkliche Approach-Feldzüge über Stunden hinweg führen, diese Problematik besonders deutlich. Hier gibt es wesentlich seltener ein spielerisches Annähern und lange Gespräche, geschweige denn ein Kennenlernen über Freunde oder durch den vermeintlichen 'Zufall'; hier wird meist schnell, direkt und zahlreich genumberclosed. Trotzdem bleiben gerade hier die Ergebnisse recht überschaubar und selten geht jemand nach 80 Approaches mit einer neuen Freundin nachhause. Häufig liest man aber gerade im Daygame von Training, von Übung, davon 'gut darin' zu werden, Frauen anzusprechen. Steigert also die häufige Wiederholung dieses Vorgangs nicht nur einfach die Wahrscheinlichkeit jemand wirklich tollen kennenzulernen, in dem sie schlichtweg die Anzahl der Menschen erhöht die wir ansprechen, sondern bringt uns die häufige Wiederholung eine Art 'Trainingserfolg'? Werden wir sicherer, 'besser' im Kennenlernen und im Ansprechen? Und wenn ja, ist das ein Vorteil? Erhöht das wirklich die Erfolgschancen im Einzellfall, oder verringert es lediglich unser unangenehmes Gefühl dabei?

Ich war nie ein großer Freund der Evolutionspsychologie und den daraus hergeleiteten Flirtstrategien à la Mystery und Co. Aber wenn wir deren Logik betrachten, so suchen Frauen vor dem Sex vor allem die innere Sicherheit, dass der Mann wirklich an ihnen interessiert ist, bei ihnen bleibt und sie somit nicht Gefahr laufen, im bösen, dunklen Dschungel mit dem Kind ihres Traummannes alleine gelassen zu werden und tragisch zu Grunde zu gehen. Damit erklärt dieser streng darwinistische Teil des Aufreißer-Zirkus all die gemeinen Shittests, Spielchen und LMRs, die ihnen von Frauen auf ihrem Weg zur nächsten Bettkantenkerbe in die Speichen geworfen werden. Es geht der holden Weiblichkeit also darum, unterbewusst zu testen, wie ernst es den Jungen Werther wirklich erwischt hat; wie verwirrt er ist, wenn er vor ihr steht. „You`ve hijacked my brain“ nennt besagter Mystery die Botschaft, die der Angebeteten im Idealfall vermittelt werden soll.

Nun liest man bei Daygame-Coaches wie Sasha Daygame oder Tom Torero immer wieder vom, für diese These sehr interessanten Effekt, dass gerade völlige Neulinge, wenn sie ihre ersten zittrigen, unsicheren Approaches machen, meist erstmal eine überraschend hohe Trefferquote erzielen und fleissig Nummern kassieren. Woher kommt das? Widerspricht das nicht der ganzen Idee von 'Trainingssets um warm zu werden', vom regelmäßigen sargen gehen und vom gut und besser und noch besser werden? Müssten diese Noobs, diese 'AFCs' und 'rAFCs' nicht eigentlich durch ihre Unsicherheit erstmal total abkacken bei den Mädels?

Spannend wird dieser Effekt, wenn man sich noch einmal den vorherigen Gedanken aus der Evolutionspsychologie ansieht und dazu ein wenig in Pick-Up-Foren blättert. Ziemlich zahlreich finden sich hier allzu fleissige Daygame-Soldaten, die nach einer passenden Antwort suchen, auf die immer häufiger auftretende Frage ihrer Targets, ob sie so etwas denn häufiger machen würden. Denn wie einigen aufmerksamen, jungen Pick-Up-Helden bereits aufgefallen ist, sind Mädchen (entgegen dem, was manche wilden Manipulations-Strategien suggerieren) leider nicht dumm und merken durchaus, ob jemand seltsam sicher und entspannt auftritt, während er etwas so unangenehmes und 'unnormales' tut, wie eine fremde Frau auf offener Straße anzusprechen um ihr zu gestehen, dass er einfach nicht anders konnte und ihr sagen musste, wie wunderschön und interessant sie aussieht. Toll für ihn, dass er das jetzt so entspannt kann. Doch nach 150 Approaches, hat er leider etwas verloren, das blutige Anfänger seiner Sportart eben noch haben: Nervosität.

Genau diese Nervosität vermittelt dem jungen Mädchen, das gerade noch überlegt, ob der fremde Typ sie hier nur bumsen oder gar verarschen will, oder ob er das wirklich ernst meint und er sie wirklich so bezaubernd fand, dass er sie wie ferngesteuert ansprechen musste, eine Sicherheit. Die Sicherheit, dass er das offensichtlich wirklich zum ersten Mal tut und die Sicherheit, dass er anscheinend selbst ziemlich von der Situation überfordert ist. Die Sicherheit, dass er sie nicht nur verarschen oder bumsen will, dass es ihm ernst ist, und dass er das nicht schon den ganzen Nachmittag über macht und sein freakiger Coach in zehn Metern Entfernung an einer Hauswand lehnt und sich Notizen zu seiner Körpersprache macht. Die Sicherheit also, dass er keiner von diesen 'Pick-Up-Artists' aus dem Internet ist, von denen sie gelesen hat, sondern der nette, junge Kerl, auf den sie vielleicht wirklich schon lange gewartet hatte. Doch statt dessen wirkt er gar nicht nervös, sondern entspannt, locker und so ausgeprägt unneedy, als würde er fast schon nach der Nächsten Ausschau halten. Das ist es, was sie zurecht misstrauisch macht.
Die Evolutionspsychologie hat erfolgreich funktioniert, das Mädchen davor bewahrt, ein Field-Report zu werden, und genau an dieser Stelle hat sich der fleissige kleine Artist mit all seinen 'Übungssets' und Trainingsstunden schön selbst ins Knie geballert. Oder wie er wahrscheinlich inzwischen sagen würde 'gecockblockt'.



The Answer Is You


Ein anderes Wurmloch in meiner eisern logischen Datingmatrix war, dass sie natürlich einen uralten, staubigen Effekt der Psychologie ausblendet. Der Suchende kann nur finden, wenn er mit sich selbst im Reinen ist. Es gibt eine Million Gründe, warum wir single sind und die wenigsten sind extern. Die meisten Gründe liegen in uns selbst; dein größter Feind bist immer du.

Nach einer längeren Beziehung und einer wahrscheinlich schmerzhaften Trennung brauchen wir Zeit, um uns wieder zu regenerieren, Frieden mit uns und unserem Leben zu machen. Ein deutlicher Hinweis darauf, dass etwas wirklich im Argen liegt, ist wenn Menschen ständig von einer Beziehung in die nächste wechseln, oder manisch von einem Bett ins nächste springen. Diese Menschen sind offenbar nicht in der Lage mit sich selbst allein zu sein und benötigen aus irgendeinem Grund immer das Feedback und die Bestätigung durch einen anderen Menschen oder eine Beziehung. Es ist also richtig und wichtig, dass wir nach einer Beziehung meist nicht in der Lage sind, uns auf eine neue Beziehung einzulassen. Selbst wenn wir uns eine neue Partnerschaft wünschen, benötigen wir einige Zeit, um wieder dafür bereit zu sein. Dies strahlen wir, ob wir wollen oder nicht, natürlich aus. Häufig sind aber gerade diese Fälle auch diejenigen, die am verbissensten und verzweifeltsten suchen. Und auch diese Tatsache trägt natürlich nicht zum Erfolg der Suche, sondern nur zum Gegenteil bei.

Ein anderer Punkt, der uns aus uns selbst heraus ausbremsen kann und häufig durch schwierige Trennungen oder Beziehungen entsteht, sind Angst, Zorn oder Misstrauen gegenüber dem anderen Geschlecht. Niemand geht ohne Narben aus Beziehungen und über die Jahre werden diese natürlich mehr, aber wenn wir Gefühle wie diese aus alten Beziehungen mitnehmen und es nicht schaffen, sie abzuschütteln, dann sabotieren diese, ob wir wollen oder nicht, unsere nächsten Beziehungen oder machen es schlichtweg unmöglich, jemanden kennenzulernen oder eine Beziehung einzugehen. Andersherum strahlen wir diese auch aus und unser Gegenüber wird, bewusst oder unbewusst, ein Problem haben, sich auf uns oder eine Beziehung mit uns einzulassen. Es ist also immens wichtig, sich nach einer Trennung genug Zeit zu geben, um nicht mehr wütend zu sein, sich selbst und seinem Ex-Partner zu vergeben und die Angst vor Verletzungen abzulegen.

Noch schlimmere Sabotage an sich selbst betreiben Zeitgenossen, die durch ihre Partnerschaft, die Trennung, oder die Partnersuche danach, Frustration, Zorn oder gar Hass gegenüber dem anderen Geschlecht aufgebaut haben. In der Pick Up Community laufen sie uns praktisch täglich über den Weg und wir alle kennen den ekligen Unterton ihrer Kommentare, wenn es um Frauen geht. Dass eine Beziehung mit solch einem frustgeladenen Frauenhasser weder lange funktionieren kann, noch irgendeiner Frau zu wünschen ist, versteht sich von selbst. Was diese Art von Jungs aber schon lange nicht mehr bereit sind zu verstehen, ist dass sie nicht nur Frauen für ihr, mit einer völlig anderen Frau erlebtes, Leid und ihre Frustration büßen lassen, sondern vor allem sich selbst damit strafen. Früher oder später haben sie sich in ihrer Spirale aus Hass und daraus resultierendem Scheitern so weit nach unten gebombt, dass ihnen nichts weiter mehr bleibt, als sich mit anderen wütenden Kerlen, mit genauso roten Gesichtern, in eine Ecke, oder wahlweise eine Facebookgruppe zurückzuziehen und gemeinsam beleidigt und gekränkt vor sich hin zu hassen, oder sich ganz doll selbst leid zu tun, weil die Welt und die Frauen so ungerecht zu ihnen sind. Oft entwickeln sie ein wüstes, ritterliches Selbstbild einer rachesuchenden, maskulinen Speerspitze der letzten 'wahren Männer', in Wahrheit sind sie aber das Traurigste, was das männliche Geschlecht, in der Auseinandersetzung mit dem weiblichen, hervorgebracht hat.

Im Pick Up würde es wohl alles unter 'Inner Game' laufen: Selbstbewusstsein, Selbstliebe und die Einstellung, eine tolle Frau und eine Beziehung mit ihr nicht nur zu verdienen, sondern auch finden und ebenbürtig führen zu können. Diese Einstellung fehlt aber vielen von uns und es ist nicht leicht, sich das einzugestehen und noch schwieriger, es zu ändern. Solche Probleme lassen sich weder in einem netten Wochenend-Workshop noch in einem kurzen Coaching beseitigen. Um daran zu arbeiten brauchen wir oft Jahre, viel Energie und meist einen guten Therapeuten.

Viel wichtiger als alles Sargen, Training, die tollen Opener, Körpersprache, Zaubertricks und NLP-Fingerspielchen ist es offen, angstfrei und ohne Feindbild mit Frauen umgehen zu können. Wer vollgestopft mit der Angst vor Shittests, reichlich Erfolgsdruck und Gruppenzwang, billigen Routinen und frustgetränkten Psycho-Macht-Spielchen auf Frauen zugeht, wird über die Telefonnummer oder die erste betrunkene Nacht nie hinwegkommen. Nur wenn wir uns selbst lieben, kann sich jemand anderes in uns verlieben. Nur wenn wir uns selbst die Beziehung mit einer tollen Frau zugestehen, der ehrlichen Überzeugung sind, dass wir sie verdienen, werden wir in der Lage und wirklich bereit sein, diese auch zu finden.



Väterchen Zufall, Mütterchen Romantik und ihre drei schwulen Söhne


Pick Up hat viel mit vermeintlicher Kontrolle zu tun; Kontrolle über sich selbst, über seine Gefühle und vor allem Kontrolle über andere und deren Gefühle. Der sehr unreife Gedanke, mit der richtigen Technik alles im Leben kontrollieren zu können, die gottgleiche Machtphantasie mancher Pick-Up-Helden, ignoriert die alte Weisheit, dass das meiste im Universum durch Zufall geschieht. Für manche fühlt es sich freundlicher an, den guten Zufall Gott, Mohammed, Game oder Gerechtigkeit und den schlechten Zufall Satan, Pech oder Schicksal zu nennen; ich nenne den Zufall lieber Zufall.

Zufällig doch noch an diesem Abend weggegangen zu sein, und dann auch noch in diese Bar, die man eigentlich nicht mochte, um dort die Frau zu finden, mit der man dann sein halbes Leben verbringt und drei rotzfreche Versager in die Welt setzt, birgt zugegebenermaßen ein enormes Potenzial an Romantik. Da Romantik keine Pick-Up-Abkürzung hat, werden einige Profi-Casanovas bei dem Wort entweder Fragezeichen in den Augen haben, oder angeekelt zusammenzucken. Ich glaube Romantik spielt eine große Rolle und wird im Pick Up fast genauso konsequent ignoriert wie Humor und Charme. Statt sich über Romantik Gedanken zu machen, kümmern sich die meisten lieber weiter bei McFIT um ihre Oberschenkelmuskulatur. Das ist anscheinend, was Frauen angeht, zielführender und ausserdem weit weniger schwul. Das gemeine an Romantik in Verbindung mit Zufall ist nämlich, dass man es im Gegensatz zur Oberschenkelmuskulatur nicht trainieren kann, sondern erkennen muss. Man muss ein Gefühl dafür haben, ähnlich wie bei Humor und Charme. Daher sind diese Sachen beim Verführen von Frauen ja offensichtlich auch so total unwichtig.

Der Zufall ist bekanntlich eine dumme Sau und kommt daher meistens, wenn wir ihn nicht erwarten und auch gar nicht brauchen. Dass uns die Frau unseres Lebens gegenübersteht, während wir eigentlich schon mit einer anderen verheiratet sind und ausserdem auf dem Weg zur Arbeit, muss man erstmal erkennen können und wollen. Wer es dann auch noch schafft, völlig needy und ohne zu Zögern alles zu riskieren, um diese Frau zu erobern, der hat die Chance, die Art von Beziehung zu führen, die leider nur wenige in ihrem Leben ein Mal erleben dürfen.

Der Zufall lässt sich nicht beeinflussen. Aber er lässt sich erkennen oder nicht und nutzen oder nicht, und genau das ist die große Kunst. Das Mädchen deiner Träume lässt sich nicht erzwingen, indem du den kompletten scheiß Alexanderplatz mit deinem neuen Opener nervst. Aber wenn es neben dir in der U-Bahn sitzt, liegt es an dir, den Zufall zu erkennen und sie anzusprechen. Dann wirst du wahrscheinlich etwas zittern, total peinlich schwitzen und völlig uncool wirken. Du wirst dein Herz laut in deinem Kopf schlagen hören, bevor du einen Ton rausbekommst. Deine Stimme wird seltsam wackelig klingen und du wirst den größten Scheiß der Welt erzählen, weil du so aufgeregt bist. Und wenn sie wirklich cool ist, wird sie das erkennen und sie wird es romantisch finden. Weil es romantisch ist. Genau diese Romantik lässt sich übrigens ziemlich leicht töten. Und zwar genau dann, wenn dieses Mädchen die Nummer 32 ist. Wenn du vor ihr dem Mädchen Nummer 31, fünf Meter weiter, den gleichen Dreck erzählt hattest, und du direkt nach ihr die Nummer 33 ansprechen wirst, bevor du kurz bei McDonalds Sarging-Pause machst. Dann wird in eurem Gespräch genau das fehlen, was du leider nicht mit deinem Coach üben konntest. Und ausserdem wirst du irgendwann mal deinen Coach anrufen müssen, damit er euren Kindern erzählt, wie du an dem Tag Mutti als 'Nummer 32' angetextet hattest.

Der Zufall hat selten einen sicheren Rhythmus, und so wie du eben nicht jedes Jahr einen wirklichen Freund findest, so findest du auch nicht jedes Jahr eine Freundin. Das ist nicht schlimm, sondern normal. Wäre es wirklich so leicht, seine Traumfrau zu finden, würde nicht ein kleines Grüppchen von Freaks den Alexanderplatz leersargen, dann würde nicht eine kleine Internet-Community an neuen Openern basteln, sondern jeder Single-Mann der Welt würde im nächsten Kaufhaus nach einer weiblichen Meinung zur nahegelegensten Postfiliale fragen.



Quod est dubitandum!


Ich hatte also vor einem Jahr einiges vergessen bei meiner kleinen Rechenaufgabe zum Thema Dating und Pick Up. Ich hatte unter anderem vergessen, dass vielleicht gar nicht die Anzahl der Frauen entscheidend ist, die man kennenlernt, und auch nicht das dumme Gelaber, das man sich überlegt, vor oder während man mit ihnen spricht, sondern die Zeit, die man vorher mit sich selbst verbracht hat, oder die Einstellung, die man ihnen gegenüber hat, oder die Einstellung die man sich selbst gegenüber hat, oder das komische Grummeln, wenn sich das Mädchen in der U-Bahn plötzlich neben dich setzt, oder einfach, dass du den Zug davor ganz knapp verpasst hattest. Und wirklich wichtig ist am Ende eben nur, einzig und allein, dass du kurz allen Mut zusammen nimmst, und anfängst mit ihr zu reden.

Zumindest wenn es um die Zeit mit mir alleine geht, bin ich schon lange überfällig. Mein Gequatsche ist angeblich halbwegs zu ertragen, meine Einstellung gewöhnungsbedürftig, aber nicht boshaft, mein Magen grummelt ständig und ich bemühe mich so viele U-Bahnen wie möglich zu verpassen. Ich wäre dann soweit. Wenn also das nächste Mädchen in meinem Leben nicht der verdammte Oberhammer ist, bekommt der liebe Zufall von mir eventuell wirklich mal ein paar aufs Maul.



Elia


12. September 2013

Hinter mir das Meer

Das normale Leben und das leise Knirschen von Kies, wenn der Bentley vorfährt



Morgen früh um 6:00Uhr geht mein Flieger nach Paris. Ich werde für einige Tage Freunde in Frankreich besuchen. Das ist nicht wirklich ein besonders aufregender oder langer Urlaub, kein exotisches und weit entferntes Ziel, aber für mich schon selten. Es ist sicher schon zwei Jahre her, dass ich überhaupt Urlaub gemacht habe. Zum einen kommt das daher, dass eine längere Abwesenheit für mich als Selbständiger immer die Gefahr birgt, Jobs oder sogar Kunden zu verlieren, zum anderen aber auch einfach daher, dass ich nie wirklich ein großer Fan von weiten Reisen und abenteuerlichen Trips zu fremden Kulturen in fernen Ländern war. Meine Eltern konnten es sich nicht leisten mit mir und meinen Geschwistern weite Reisen zu machen und so habe ich in meiner Kindheit Urlaub jenseits von Österreich nie als normal erlebt. Nach dem Abi hatte ich kein Bedürfnis nach Weltreise und abgesehen davon, dass ich eine Zeit lang beruflich unterwegs war, habe ich so etwas wie Fernweh einfach nie entwickelt. Als zart neurotischer Perfektionist stressen mich ausserdem Reiseplanungen, Vorbereitung und Durchführung aufwändiger Trips eher und da ich mich weder für Sonne, Meer und Palmen, noch für untypisch große Insekten im Schlafzimmer oder aufregende, neue Bakterien im Trinkwasser begeistern kann, entspanne ich mich meist und gerne zuhause oder bei Freunden. Schon wieder etwas, das ich anscheinend grob falsch mache, wenn ich für Frauen als Sexual- und Lebenspartner interessant sein will. Denn wenn man sich die Profile einschlägiger Pick Up Artists ansieht, scheint es ein wichtiger Bestandteil des Lebens eines attraktiven Mannes zu sein, permanent mehr oder weniger sinn- und sorgenfrei um die Welt zu reisen und dies der Welt auch genauso permanent in Form von Fotos, von besonders ausgelassenen, jungen, hübschen, bevorzugt weiblichen Menschen vor aufregenden, exotischen Hintergründen, oder in überteuerten, pseudo-schicken VIP-Clubs, mitzuteilen.

Ich reise nicht wirklich gerne. Das wird sich wahrscheinlich auch nicht ändern, oder zumindest habe ich nicht vor es zwangsweise zu ändern, um einem Bild von Mann zu entsprechen, das jemand anderes für mich entworfen hat. Trotzdem hat mich der Gedanke heute beim Kofferpacken nicht losgelassen, wo eigentlich dieses seltsam anmutende Rollenbild vom kosmopolitischen Jet-Set-Casanova in der Pick Up Community herkommt und wie lebensfähig oder attraktiv der dort skizzierte Mann eigentlich wäre. Was macht diesen Supertypen eigentlich aus? Wie muss ich mir seinen Alltag vorstellen? Wer ist er eigentlich und wo kommt er her?

Gelegentlich habe ich das Gefühl, dass das Rollenbild dem hier oft nachgeeifert wird eine extrem pubertäre, männliche Hollywood-Idee eines 'tollen Mannes' ist. Er reist ständig durch die Welt, trägt schicke Klamotten, sitzt in coolen Hotels und Bars, scheint sich um Geld, Pflichten, den Biomüll und Darmkrebsvorsorge keine Gedanken zu machen und hat natürlich ununterbrochen unverbindlichen Sex mit jungen, hübschen Frauen. Eigentlich ist der gute Mann eine wilde Mischung aus James Bond auf Businessreise und dem unreifen Klischee eines PLAYBOY-Fotografen aus den 70ern. Was er nicht hat ist eine feste Freundin, einen Bausparvertrag, Alltagssorgen, Katzenallergie, Löcher im Socken und eine Bonuspunktekarte von REAL. Aber warum eigentlich nicht? Ist der Typ mit dem Sparbuch für eine Frau tatsächlich so absolut unattraktiv, und der mit den 10 anderen Bums-Freundinnen, der morgen nach Hong Kong weiter muss, wirklich das Ziel ihrer Träume? Oder ist das nur die Phantasiewelt von kleinen Jungen und unreifen Mädchen? Entstand dieses Rollenbild vielleicht einfach nur im Kopf eines jungen Zauberers, der versucht hat, oberflächliche, blondierte Jungschauspielerinnen in den Edel-Clubs von Los Angeles aufzureißen?

Muss ich so leben? Oder muss ich wenigstens so leben wollen? Müssen wir jetzt wirklich alle unsere Jobs kündigen, und unser „own business“ starten? Und wer würde dann eigentlich die ganzen Bürojobs machen und unsere Busse fahren? Sind die Typen, mit den festen Angestelltenverhältnissen wirklich automatisch unattraktiver für Frauen? Und warum wollen uns das immer ausgerechnet die Typen erzählen, die als selbsterklärte Lebenshelfer ruhelos durch die Weltgeschichte tingeln? Müssen wir also alle den gleichen Body, den gleichen Bauch, das coole Tattoo, das gleiche Leben und das gleiche Designerhemd haben, um eine Freundin zu finden, die wirklich zu uns passt? Und warum zur Hölle stehen diese Schlauberger in den Self-help-, Lifestyle- und InnerGame-Videos immer auf irgendwelchen agavenbewachsenen Hügeln in der Abendsonne rum? Warum sieht man immer das Meer im Hintergrund? Was soll uns hier vor unseren Laptops eigentlich vermittelt werden? Doch nicht etwa, dass unser Leben langweilig ist, oder?

Könnte es etwa sein, dass eine ganze Industrie von Self-help-Autoren und -'Gurus' davon lebt, uns einzureden, dass wir unglücklich sind und anders leben müssten, um wirklich glücklich zu sein? Dass es hierfür wichtig ist, uns regelmäßig zu fragen, was wir jetzt eigentlich zuhause in der Kleinstadt, vor dem Feierabendbier treiben und warum wir nicht auch auf diesem tollen Hügel, mit dem Meer, den Palmen und dem ganzen Zeug, rumturnen? Ob wir nicht ein anderes Leben leben möchten?
Aber was genau wären wir dann eigentlich alle? Geheimagenten? Diplomaten? Surflehrer? Noch mehr Self-help-Buchautoren? Wahrscheinlich am besten Rockstars oder Supermodels! Aber sind das nicht genau die Leute, die so gerne depressiv werden, Drogen nehmen und aus Hotelzimmerfenstern springen?
Sind das nicht die Leute, die ständig in jede Kamera heulen, sie würden gerne ein ganz normales, durchschnittliches Leben führen?

Ist das Gras nicht IMMER grüner auf der anderen Seite?



Lifestyle zu verkaufen!


Wer oder was soll das also bitte sein, dieser seltsam-traurige Abklatsch eines Millionärssohnes auf Geheimagentenmission im All-inclusive-Urlaub, den uns diverse Lifestyle- und Pick-Up-Spezialisten tagtäglich via Facebook vor die Nase halten? Ist es wirklich das was alle Frauen sich wünschen? Drei Sterne Doppelzimmer in Budapest mit Kabelfernsehen, Telefon und Gemeinschaftsterrasse? Muss ich jetzt wirklich jedes Hotelklo auf Facebook posten, um zu beweisen, dass ich gerade nicht in Wuppertal bin? Macht es tatsächlich attraktiv, ständig überteuerten Whisky-Blend an Plastik-Tischen in Plastik-Clubs zu trinken, nur um den Tisch danach fotografieren zu können?

Muss man als echter „Bro“ wirklich auf jedem seiner retrogefilterten Facebook-Fotos verträumt am Hotelzimmerfenster im zweihundertdreiundsechzigsten Stock über Shanghai, New-York, Rio, Tokio stehen und hochgradig nachdenklich auf den verkackten Morgendunst über der Stadt starren? Und wie soll ich mir eigentlich vorstellen, dass solche Fotos entstehen? Wer ist denn der Fotograf bei solchen privaten, ultra-deepen, echten, total spontanen Momenten im Leben eines jungen International-Business-Gigolos?

Und ist es wirklich ein Beweis für coolen Lifestyle, wenn Richard La Ruina mir jeden Morgen via Facebook den Popo eines anderen Models vor seinem Billy-Regal präsentieren muss? Warum tut er das? Warum kauft er sich nicht endlich ein schönes Regal? Und war bei den zweihundert Laufstegmodels, mit denen er die letzten Monate suggerierte Sex gehabt zu haben, wirklich keine dabei, mit der er mal eine Beziehung in Betracht gezogen hat? Was für ein Leben wird mir hier eigentlich verkauft?

Hat den cooleren Lifestyle und das derbere InnerGame nicht eigentlich der übergewichtige Junge, der auf Youtube ehrlich über seinen Schmerz reden kann, versucht sein Leben zu ordnen und Abends davon träumt, Trucks zu fahren und am Feierabend seine Frau in den Arm zu nehmen? Oder muss man dem erst beibringen, welchen Lifestyle er eigentlich haben will? Hat der nur einfach keine Ahnung von dem tollen Gefühl einer kühlen Hotelzimmerfensterscheibe an der Stirn und den vielen Mädchen, die Morgens wieder weg sind weil man eben doch nur ein Arschloch ist? Sind doch die Typen cooler, die uns das sorgfältig zusammengeschnipselte Infield-Video präsentieren in dem sie 5 Minuten lang alles reißen und in noch blöderen Kostümen noch kältere Telefonnummern von noch tolleren Mädchen kassieren als im letzten Video?

Well... All das Fragen wird wohl nicht viel ändern; die Karawane zieht weiter; the show must go on! Und dass PickUp als Teil des großen Motivations- und Self-Help-Zirkus eben auch oft nur Showbusiness ist, sollte wohl kaum jemandem entgangen sein. Und so fliegen sie also auch nächstes Jahr wieder alle nach Budapest, Prag und Rio, und dann stehen sie wieder alle zum hundertsten mal auf dem hundertsten Hügel und drehen das hundertste InnerGame-Video mit Meer und Sonnenuntergang, mit ausgebreiteten Armen und mit ganz viel Spirit und Erkenntnis, um der ganze Welt zu beweisen, dass sie sich einen AirBerlin-Flug leisten konnten. Nicht zu vergessen das tolle Hotelzimmer! Und die Jungs, die zuhause geblieben und zur Arbeit gegangen sind, gehen dann eben auf eine Konferenz und wollen Lifestyle lernen. Blöd nur, dass man Lifestyle eben leben muss und nicht einfach lernen oder kaufen kann.



Du bist langweilig! Wir haben die Lösung!


Natürlich gibt es Menschen, die von Natur aus schüchtern und introvertiert sind. Natürlich gibt es Menschen, die lieber vor dem Fernseher sitzen, als durch Clubs zu ziehen. Natürlich gibt es Menschen, die lieber eine durchschnittliche Beziehung führen, als jeden Monat mit fünf betrunkenen Frauen zu schlafen. Und natürlich gibt es Menschen, die sich weder fürs Fitnessstudio, noch für Mode oder Reisen begeistern können. Und das ist auch nicht das Problem. Das Problem ist, wenn dir die Gesellschaft, die Werbung oder sonst jemand einredet, du müsstest jeden Abend lässig mit Fremden an einer Bar in Stockholm quatschen, regelmäßig heiße Girls flachlegen und den Namen von jedem einzelnen Muskel deines Sixpacks kennen und du dadurch anfängst, dich 'falsch' und unwohl mit dem zu fühlen, wer und wie du bist.
Profitieren können davon, dass du dich schlecht fühlst, aber viele. Nur eben nicht du. Die Firmen, die dir Produkte verkaufen können, mit denen du angeblich sicherer und cooler durch die Welt läufst, von Klamotten, Autos, Düften, Fitnessstudio-Mitgliedschaften bis zu Self-Help-Büchern und Coachings verdienen ein Heidengeld damit, dass du dich unwohl fühlst und denkst, mit dir würde etwas nicht stimmen.
Niemand kann mit Menschen wirklich gut Geld verdienen, die glücklich mit sich sind und nichts mehr brauchen oder verändern wollen. Ein zufriedener, selbstbewusster Mensch gibt nur Geld für Dinge aus, die er wirklich benötigt. Für alle anderen Produkte braucht man Werbung, um eine Unzufriedenheit, einen Wunsch und damit ein Bedürfnis herzustellen. Daher sollte man generell sehr genau hinterfragen, was man da eigentlich will, wer man da eigentlich unbedingt sein will und vor allem WARUM man das will.
Du solltest dir sehr bewusst machen, dass niemand ein Interesse daran hat, dass du Frieden mit dem machst, der du bist. Denn nur, wenn du ein anderer sein willst, du dich unwohl und unfertig fühlst, oder das Gefühl hast, dich verbessern, verschönern oder verändern zu wollen, lässt sich wirklich Geld mit dir verdienen.

Das bedeutet natürlich nicht, dass dieses Gefühl oder dieser Wunsch generell falsch sind und auch nicht, dass es falsch ist, Menschen dabei zu helfen, sich zu verändern. Das bedeutet nur, dass man den Ursprung des Wunsches und den Anbieter der Lösung manchmal in der selben Person als den einzigen Profiteur enttarnen kann.

Viel zu wenige sind sich dessen bewusst, dass wir es manchmal nicht nur mit einem Forum voller Kumpels zu tun haben, die uns helfen wollen, sondern eben oft auch mit einer Industrie, für die wir Kunden sind, Kaufkraft und Geldbeutel. Am wenigsten Interesse hat diese Industrie daran, dass wir, ohne ihre Produkte zu kaufen, anfangen uns zu akzeptieren wie wir sind. Am meisten Interesse haben sie, nach unserem Geld, daran, uns vorzumachen, wie toll andere im Vergleich zu uns leben und wie langweilig, fad und unbefriedigend doch unser Leben im Vergleich dazu ist; wie dringend wir Veränderung brauchen und wie dringend wir dazu ihr neues DVD-Set benötigen. Kein Unternehmen der Welt hat Interesse daran, dir zu vermitteln, dass du schon in Ordnung bist so wie du bist.

Natürlich sind wir erstmal glücklicher, wenn wir uns die neuen Sneakers, das neue Handy und die neue Spielkonsole gekauft haben. Aber auch das sollten wir lieber nicht allzu lange sein. Primär geht es immer darum, dass Leute uns zeigen, wie glücklich und cool wir sein könnten, würden wir ihre coolen neuen Klamotten kaufen, beziehungsweise wie viele Frauen diese tollen Jungs auf dem Werbeplakat und in dem Infield-Video überall auf der Welt täglich knallen; nur der arme Klaus eben nicht. Und komischerweise posten das Video und das Bild auf Facebook eben besonders gerne genau die Jungs, die nicht nur in einem Arm das heiße, magersüchtige Model halten, sondern in der anderen Hand, hinter dem Rücken, auch das passende DVD-Set.... Was für ein glücklicher Zufall für Klaus!

Das ganze folgt einer sehr simplen Logik und jeder, der sich mit Werbung beschäftigt, kann verstehen, dass Richard La Ruina nicht einfach ein Angeber ist, sondern uns eben aus ganz anderen, sehr persönlichen Gründen täglich mit einem neuen Modelfoto impfen muss.



Excuse me - Weil nicht sein kann, was nicht sein darf


Die wenigsten von uns hatten wirklich vor, zum Super-Casanova, zur Sexmaschine oder zum Sportbumser zu werden. Die meisten von uns haben auch noch ein Leben ausserhalb ihres Intimbereichs und viele suchen einfach nur ein paar Antworten, Bestätigung oder eine Freundin. Doch es existiert ein relativ starkes Rollenmodel in der Szene. Ein Männerbild, ein Lifestyle und ein Wertesystem, dem man sich gerade zu Beginn schwer entziehen kann und das die eigenen Ziele leicht verdrängt.

Der Begriff 'Excuse' wurde im Pick Up eingeführt, um einen Gedanken zu beschreiben, den man selber entwickelt, um sich in unangenehmen Situationen, um den Weg zum Erreichen des selbstgewählten Ziels zu drücken. Gelegentlich begegnet er uns aber auch als Vorwurf, wenn Menschen nicht den vorgegeben Weg mit den vorgegebenen Methoden zum vorgegeben Ziel wählen, oder einfach nicht dem allgemeinen Rollenbild nacheifern; kurz, wenn jemand aus der Reihe tanzt. So wird der Begriff auch schnell zum Schlagstock, zum Durchsetzen von Denkverboten, gegen das Hinterfragen des Community-Mainstreams, und zur Sicherung einer Meinungs- und Moral-Vorherrschaft.

Jeder Mann fängt aus dem gleichen Grund an: Er will geliebt werden und sich weniger einsam fühlen. Dieses Bedürfnis wird allerdings unterschiedlich interpretiert. (…) Es gibt eine wortgewaltige Minderheit, die 'PUA-Grundsätze' verkauft und vermarktet. Doch die schweigende Mehrheit der Kerle will einfach nur persönlichen Erfolg. Für jeden Typen, der im Forum mit seiner Horde an Fickfreundinnen angibt, gibt es zehn Typen, die einfach nur ein nettes Mädchen kennenlernen wollen, aber gar nichts davon schreiben.“
- Mark Manson -

Dass derartige Scheuklappen und Denkverbote natürlich dem Vorankommen und der Entwicklung der Community und jedes Einzelnen schaden, wird anscheinend oft in Kauf genommen, wenn es darum geht, nicht in die Verlegenheit zu geraten vielleicht auch die eigenen Ziele und Ansichten sowie deren Ursprung zu hinterfragen.

Natürlich fühlt sich der Bodybuilder verunsichert, wenn er hört, wie glücklich und zufrieden der dürre Kerl oder der dicke Junge sind; zumindest wenn sein eigenes Interesse am Bodybuilding auf ein gestörtes Verhältnis zu seinem Körper und ein schwaches Selbstbewusstsein zurückgeführt werden können.

Es kann auf einen olympischen Hundertmeterläufer durchaus verwirrend wirken, wenn der Läufer neben ihm, nach 30 Metern beginnt zu spazieren und erklärt, dass ihm Geschwindigkeit im Leben gar nicht so wichtig ist; zumindest wäre es für ihn ein Anlass, um sich selbst zu fragen, warum Geschwindigkeit für ihn denn so wichtig wurde.

Und natürlich kann es geradezu gefährlich für jemanden sein, der sich selbst nicht sicher ist, warum er eigentlich jedes Wochenende mit zwei namenlosen, betrunkenen Mädchen schlafen will, wenn er jemanden trifft, der nicht nur entspannt damit ist, es nicht oder nicht mehr zu tun, sondern auch noch bewusst etwas ganz anderes sucht.

Grundsätzlich sollte in keinem der Fälle einer von beiden ein Problem mit der Haltung des anderen haben. Das Problem entsteht erst dann, wenn entweder einer der beiden sich seiner eigenen Beweggründe nicht sicher ist und Angst davor hat, sich diesen stellen zu müssen, oder wenn es ihm selbst eigentlich nie um das Ziel, sondern um die Competition, um das Gewinnen und Bessersein ging. Im letzteren Fall macht man ihm natürlich die Competition kaputt. Aber kann die Suche nach der richtigen Frau überhaupt eine Competition sein? Kann man darin überhaupt besser oder schlechter sein? Und wenn ja, warum sind dann die meisten Flirt-Coaches Langzeitsingles oder stolze Besitzer einer ganzen Sammlung von unglücklichen Beziehungen, wie wir sie auch alle zuhause in der Vitrine stehen haben?

Wenn du also das nächste mal das Wort 'Excuse' an den Kopf bekommst, solltest du gründlich hinterfragen, um wessen Ausrede es sich handelt und ob es auch wirklich DEIN Ziel ist, vor dem du dich drückst.

Und ja, das ist natürlich gerade der perfekte Excuse für meine Excuses....



Free your mind and the rest will follow


Um das zum Ende noch einmal ausdrücklich zu betonen: Dies ist weder ein Text gegen Pick Up, noch ein Text gegen Coaching. Es ist höchstens ein Aufruf, Augen, Herz, Geist und die Community offen zu halten, ständig zu hinterfragen, kritisch zu sein und Entwicklungen, Wege und Ziele anderer zu respektieren. Wer auf Pick Up gestossen ist, um sich von eigenen Ängsten und Zwängen der Gesellschaft zu befreien, sollte nie vergessen, dass es ihm um Befreiung ging und er sich tunlichst keine neuen Fesseln und neue Zwänge auferlegen lassen sollte oder versuchen sollte, diese anderen aufzuerlegen. Das erzwungene Rollenbild des weltenbummelnden Alpha-Casanovas ist das Barbie-Dreamhouse der Pick-Up-Artists. Brennen wir es also nieder! Niemand hat das Recht uns zu sagen, wie wir als Männer auszusehen, zu sein, zu fühlen, zu denken, zu lieben und zu leben haben! Weder zu folgen noch zu führen, sondern hierüber völlig alleine zu entscheiden und gegen jede Vorgabe, Norm oder Gruppe daran festzuhalten entspricht einzig und allein dem Bild des selbstbestimmten 'Alpha'-Mannes.

Und dabei geht es nicht darum, irgendjemandem seine Männlichkeit und sein Männerbild wegzunehmen oder abzusprechen, es geht darum, jedem die Freiheit zurückzugeben, sein eigenes Männerbild und seine eigene Männlichkeit leben zu dürfen, ohne ihm eine Rolle aufzuzwingen.



Voyage, Voyage


Hoppla, das war weder so pathetisch, noch so ausführlich geplant und plötzlich ist auch der Tag schon fast vorbei und mein Koffer immer noch nicht fertig gepackt... Naja, anscheinend musste da was raus und ich hoffe, ihr verzeiht mir meine kleine Wahlkampfrede zum Wochenende. In Frankreich werde ich mir nach diesem Text morgen jedenfalls erstmal ein Pferd besorgen, um dann nackt zu den Barrikaden reiten zu können.

Nachdem diesmal doch auch einige etwas Fett abbekommen haben und Sophia meine Adresse wahrscheinlich an den Meistbietenden verkaufen wird, ist es wohl ganz ratsam, das Land erstmal zu verlassen. Ich werde euch natürlich via Facebook informieren, in welch abenteuerlichen Ländern ich mich gerade herumtreibe, ob mein Hotelzimmer eine Terrasse hat und welch tolle Frauen sich von mir von hinten fotografieren lassen. Jetzt wird es aber Zeit, meinen Maßanzug anzuziehen und mich zu Mateo in die Lufthansa-Lounge zu schmuggeln.



Vive la révolution!


Elia

3. September 2013

Like A Virgin

Ist Berlin nicht toll und verrückt und hübsch und niedlich und abgefahren und auch wenn es regnet trotzdem so viel zu sehen und ach Gott wie niedlich dieses Café mit den kleinen Sesseln.... Ich hatte mal wieder einen Tag als Touristenführer hinter mich gebracht. Als Hauptstadtbewohner kennt man das Problem. Man liebt seine Stadt und man liebt die Menschen, die einen besuchen kommen. Nur die Kombination kann anstrengend sein. Diese Woche sind meine Mutter und ihr Langzeit-Lebensabschnittsgefährte zu besuch. Ich wohne seit deutlich mehr als zehn Jahren in Berlin, die zwei sind regelmäßig hier und langsam wird es schwierig ihnen noch Neues zu präsentieren. Da muss man sich schon echt überlegen, wo man hingeht. Man glaubt gar nicht, wie viele Kindersärge in der Gruft unter dem Dom stehen. Und um die Kindersärge herum tummeln sich lauter quirlige Senioren. So klitzeklitzekleine Särge.... Auch niedlich. Fast wie diese niedlichen kleinen Cafés.... Ach ja, Berlin...schon toll...

Nachdem ich meine Mutter am Samstag dann noch mit einem herztriefigen Till Schweiger Film über eine Irre ohne Schuhe ins Bett gebracht hatte und sie sich mehrfach und herzlichst für diesen schönen Film bedankt hatte, war ich wirklich reif für Alkohol. Ich machte mich also mit einem Magen voller Till-Schweiger-Romantik, Muttis Essen, Whisky und Bier auf den Fußmarsch in die Stammbar. Ich hatte dafür trotz des Films Schuhe angezogen und ein Wegbier gekauft. Mein MP3-Player entfernte die letzten Erinnerungen an Till Schweigers markantes Grinsen und die lustigen, kleinen Kindersärge aus meinem Kopf. Dafür benötigte ich allerdings den ganz harten Stuff und so hämmerten den ganzen Weg über die stumpfen Dancefloor-Beats des neuen Pet Shop Boys Albums gegen mein Hirn...
Talking tough and feeling bitter
We're better now, it's clear to me
That love is a bourgeois construct
So I've given up the bourgeoisie


Ich kam in der Bar an und es war rappelvoll. Alle waren da. Wing3 war pleite und betrunken wie immer und lehnte in einer Ecke. K stand mit knallroten Lippen und einem knallroten Minikleid an der Bar und hatte sich offensichtlich endgültig von ihrer Trennung erholt. Sie gab mir ständig Tequila aus und Wing3 schnorrte mich dafür ständig um Bier an. „Ach was soll's, Simba“ dachte ich mir „das nennt man im Pick Up 'Circle Of Life' oder COF“. Ich trank mit beiden abwechselnd und plötzlich stand eine zuckersüsse Blondine vor mir, von der ich mir sicher war, sie schon mal gesehen zu haben. Ich quatschte sie an und es stellte sich heraus, dass ich ich sie aus der neoParadise-Folge mit Olli Schulz und DEVIL kannte, in der sie Olli ihre Handynummer im Tausch gegen diesen phantastischen Zwergen-Witz gegeben hatte. Ich war Feuer und Flamme! Leider ihr Boyfriend, den ich völlig übersehen hatte, nicht. „Oh Shit, sorry! Ich glaube mein Freund ist hier gerade etwas dramatisch rausgestürmt“ meinte sie irgendwann und verabschiedete sich hastig. Schade eigentlich. Wenn Du das hier liest: Rechts steht meine E-Mail-Adresse! Ich erzähl dir auch nen Witz!

Ich hatte diese Nacht viel Spaß und gegen Morgen saß ich mit einer kleinen Blonden mit vielen Sommersprossen und einem etwas spießigen Dutt in der hintersten Ecke der Bar. Sie erklärte mir, sie sei Anfang 20, gerade zum Studieren nach Berlin gezogen, und habe sich erst vor kurzem von ihrem allerersten Freund getrennt. Auf mich wirken solche Aussagen immer seltsam entspannend, obwohl man sich ja eigentlich dafür schämen müsste, sein männliches Ego im einundzwanzigsten Jahrhundert noch durch den 'Jungfrauenbonus' beruhigen zu können. Ich spürte trotzdem, wie ich mich instinktiv etwas zurücklehnte, meinen Fuß lässig auf eine Stuhlkante stellte, meine Stimme senkte, meinen Whisky schwenkte und mich innerlich darauf einstellte, dem kleinen Hasi jetzt mal schön die große Welt zu erklären, als Wing3 plötzlich vor uns auftauchte. Lallend versuchte er uns beide davon zu überzeugen, jetzt sofort mit zu ihm zu fahren. Sein riesiger Kumpel, den er dabei hatte, wolle auch mitkommen erklärte er uns, und wir würden bei ihm dann 'Afterhour' machen. Da ich mit chemischen Drogen nur selten experimentiere, muss ich bei dem Begriff 'Afterhour' immer noch grinsen und ich verstand auch nicht ganz, was unsere seltsame, kleine Runde dann bei ihm zuhause genau tun sollte, was wir hier in der Bar nicht auch tun könnten. „Er scheint wohl einfach mal wieder völlig betrunken zu sein“ dachte ich mir und wollte eigentlich nicht weiter darauf eingehen, als er abermals das Quengeln anfing und, genauso wie sein großer Freund, seltsam meine kleine, blonde Unschuld fixierte.

Ich sah Cinderella an und sie blickte leicht genervt zu Wing3 hoch und meinte nur völlig ruhig: „Oh Mann! Nö! Ich hatte so viele Dreier und Vierer in letzter Zeit und mit euch zwei vor allem; ich hab da eigentlich nicht schon wieder Bock drauf“. Dann lehnte sie sich wieder zurück und nahm genervt einen Schluck Bier. Ich hörte seltsamerweise das sägen-ähnliche, lauter werdende Kreischen eines Junkers Ju 87 Sturzkampfbombers, aber vielleicht war es auch nur meine Attraction, die aus 5000 Metern Flughöhe auf das Dach der Stammbar zuraste. Bis zum Einschlag vergingen noch einige Sekunden, dann krachte die komplette Sexyness, die Lolita in der letzten halben Stunde aufgebaut hatte, bestückt mit zwei 500kg-Attraction-Bomben durch die Decke der Bar, riss ein Loch in den Boden vor dem Tresen und explodierte im Keller. Ich wurde von zwei leeren Berliner-Pilsener-Kästen am Kopf und an der Schulter getroffen, blieb aber sonst unverletzt. Überall war Rauch, Dreck und Staub und als sich der erste Schock legte, starrte die gesamte Bar wütend und vorwurfsvoll zu unserem Tisch herüber. Alles was man hörte, war das leise Rieseln durch das große Loch in der Decke.

Attraction-Absturz in der Stammbar
Der erste der sich wieder bewegte war Wing3. Er setzte sich ohne ein Wort neben mein Blondi und begann sie heftig zu küssen. Ich stand auf, klopfte mir den Putz von Jacke und Hose, und ging kommentarlos weg. Ich entschuldigte mich bei einigen Gästen, deren Drinks vor dem Einschlag noch relativ voll waren, und jetzt mehr Bauschutt als Flüssigkeit enthielten, wischte selbst den Staub vom Hals meines Bieres und ging nach draussen. Es ist schon seltsam, wie schnell und heftig eine Frau an Attraktivität verlieren kann, wenn man feststellt, dass ihr sexueller Horizont leider nicht von dem Planeten aus, auf dem sich der eigene befindet, zu sehen ist. Sollte man da nicht eigentlich drüber stehen als moderner Mann? Vielleicht. Vielleicht auch nicht. Mir war es an diesem Abend jedenfalls egal, da ich nicht vor hatte, der Blubb im Spinat dieser spezielle Ménage à trois zu werden. Zum einen, weil ich bekanntlich ein Spießer bin, und zum anderen weil ich es vorziehe keinen Sex vor, neben oder mit Männern zu haben, mit denen ich in Zukunft noch häufiger an einem Tresen stehen werde. Man fragt sich nur, ob dieser Effekt diesen possierlichen, aufgeschlossenen Jungfrauen von heute eigentlich überhaupt bewusst ist, oder ob ihnen das eben auch einfach egal ist...?

Einige Stunden später stand ich alleine in einem kleinen, ziemlich verdrogten Techno-Club, als eine Braut im langen weißen Kleid, das Gesicht hinter einem Schleier, an mir vorbeirannte, auf die Tanzfläche stürmte, kurz aber derb wie Zäpfchen abging, und dann genauso schnell und mit wehenden Gewändern wieder an mir vorbei aus dem Laden stürmte. Zeitgleich hatte irgendwo in Berlin eine kleine Zwanzigjährige einen weiteren, für sie stinklangweiligen, Dreier mit zwei betrunkenen Freaks aus einer eingestürzten Bar. Moral kommt und Moral geht. Manchmal bleibt sie nur kurz; und manchmal rennt sie Morgens auf MDMA und mit einem Bier in der Hand an einem vorbei, und alles was bleibt sind Trümmer. Aber der Dom war toll.


Elia

31. August 2013

Feedback – fünf Wochen und ein Jahr

A night with Esperame
Auf meinen letzten Post zu dem Abend mit meiner Ex-Freundin habe ich einiges Feedback bekommen und will daher nochmal kurz etwas dazu schreiben. Ausserdem ist mein Blog und meine Beschäftigung mit PickUp inzwischen ein Jahr alt und das ist ja vielleicht auch ein guter Anlass um mal ein wenig darüber zu grübeln, wie oder ob mich das ganze weiter, und wenn ja wohin, gebracht hat.

Auf einige scheint mein letzter Post den Eindruck gemacht zu haben, ich würde jammern, mich bemitleiden, wäre depressiv oder es würde mir nicht gut gehen. Dazu ganz kurz und einfach: Es geht mir gut, Jungs! Es geht mir sehr gut! Um genau zu sein, geht es mir wesentlich besser als zum Beispiel in den ersten Monaten meines 'Pick-Up-Weges'. Wahrscheinlich, weil ich inzwischen einiges an Druck auf mich selbst weggenommen habe. Ich vermute, dass manche das als Resignation, Excuse oder Abfinden mit der Situation bezeichnen werden, aber ich empfinde es nicht so. Im übrigen würde ich es nicht einmal als ein 'Plateau' sehen, da ich mich selbst nicht als ein ständig zu optimierendes Projekt betrachte. Ich habe eher das Gefühl, ein entspannteres Verhältnis zum Thema entwickelt zu haben und mich nicht mehr unter den extremen, krampfhaften Erfolgsdruck zu setzen, wie ich es vor einem halben Jahr getan habe. Das fühlt sich gut an. Nennt es 'Komfort-Zone' wenn ihr wollt, ich sage: Es geht mir gut.

Ich habe die letzten fünf Wochen nichts geschrieben außer diesem Text und daher ist auch der eine Abend, den ich mit meiner Ex verbracht habe, nichts was sich auf meinen Gesamtzustand oder meine letzten Wochen übertragen lassen würde. Der Fehler liegt hier natürlich bei mir. Ich hatte eben nunmal nur über diesen einen Abend geschrieben. Meine letzten fünf Wochen waren aber sehr lustig und ich hatte reichlich Spaß! Ich hätte genauso gut davon schreiben können, wie ich mit der großartigen Blogger-Kollegin Esperame Robinson bis in den Nachmittag des nächsten Tages hinein gefeiert, getrunken und philosophiert habe, wie ich mit der phantastischen Sophia Marlen durch die Bars gezogen bin und sich in den frühen Morgenstunden plötzlich die Besucher der Stammbar spontan ihrer Kleider entledigt haben, oder dass ich wieder angefangen habe mich gelegentlich mit einer 'Ex-Affäre' zu treffen. Am meisten hätte euch wahrscheinlich 'beruhigt', hätte ich vom betrunkenen Rumknutschen mit einer Kollegin auf einer Feier auf einem Hochhausdach geschrieben (was mich übrigens genauso viel weiter gebracht hat wie ein Ricola-Kräuterbonbon: es hat nicht mehr gekratzt, solange ich gelutscht habe). Aber ich fand die Geschichte von dem Treffen mit meiner Ex eben am spannendsten und für mich am wichtigsten. Und da ich ja nicht der Märchenonkel bin, bei dem die Geschichten immer gut ausgehen und der Held der Prinzessin am Ende immer ins Gesicht ejakuliert, hatte eben auch die Geschichte mit meiner Ex ein Ende, wie es die meisten Geschichten im Leben nunmal haben. Für mich übrigens nach wie vor kein zwingend schlechtes Ende, da ich mir mittlerweile sehr sicher bin, dass es meiner Seele viel weniger gut bekommen wäre, hätte ich meine Ex flachgelegt.

S.O.S. aus der Stammbar
Daher gibt es also wirklich keinen Grund, sich Sorgen um meinen Gemütszustand zu machen, so sehr ich das natürlich zu schätzen weiß! Ich bin weit, weit entfernt von jeder Depression oder Resignation. Ich hoffe einfach mal, meine Texte klingen nicht wirklich depressiv und es handelt sich hier vielmehr um einen pick-up-typischen Trugschluss, dass ein Typ, der nach zwölf Monaten noch nicht über einen einzigen 'Fuck-Close' geschrieben hat, ja eigentlich nur schlecht drauf sein kann. Fakt ist: Ich kam schon immer gut alleine klar (ob das ein Vorteil ist, bin ich mir nicht sicher), ich habe sehr gute und enge Freunde, feiere viel und ausgiebig, und mache einen Job, für den die meisten 'Forums-Alphas' wahrscheinlich in Elfen-Kostümen Schwänze lutschen würden um ihn machen zu dürfen. Es geht mir also auch ohne Sex sehr gut (auch hier bin ich mir nicht sicher, ob das ein Vorteil ist) und da ich ja durchaus auch gelegentlich die Möglichkeit hätte, und mein 'Problem', was reinen Sex betrifft, eher darin liegt, nicht zu wollen als nicht zu können, kann ich also trotzdem entspannt und humorvoll über meine Situation und meine reichlich absurde Suche nach der 'einzig wahren und total-voll-echt Richtigen' schreiben, ohne dabei in tiefe Abgründe zu stürzen.

Was alles nicht heißen soll, dass ich erreicht habe, was ich erreichen wollte, ganz im Gegenteil! Ich bin im Grunde in meinem Verhalten und meinen Ängsten kaum ein Stück weitergekommen. Im Club habe ich oft genug immer noch mit AA zu kämpfen und von Daygame bin ich so weit entfernt, dass ich schon nervös bis panisch werde, wenn ich das Wort nur ausspreche. Eigentlich habe ich für ein Jahr intensive Beschäftigung mit PickUp wohl das traurigste und erbärmlichste Zwischenergebnis aller Zeiten vorzuweisen, nur dass ich daran eben nicht mehr meinen Selbstwert und meine Stimmung knüpfe. Es gibt weit wichtigeres im Leben als im Club mit einer Fremden rumzumachen, und zumindest dass ich das nicht will und es mir wahrscheinlich auch nichts bringt, habe ich in den zwölf Monaten in jedem Fall für mich erkannt. Ich suche trotzdem weiter nach 'ihr' und sehe immer noch reihenweise tolle Mädchen an mir vorbeigehen, ohne dass ich es schaffe einen Ton zu sagen. Aber das ist eben nur eines von vielen Themen in meinem Leben und es würde über meine Stimmung und meine Zufriedenheit mit meinem Leben ebenso wenig aussagen, wenn ich jede Geschichte mit einem Facial abschließen würde, als wenn ich nach einer weiteren Nacht im Club alleine nachhause gehe und darüber lachen kann.

Drinking with Sophia
Letztendlich haben sich meine Ziele im letzten Jahr ein gutes Stück (zurück)verschoben. Warum die meisten Männer, die sich mit PickUp beschäftigen das Gefühl haben, oder falls nicht, das Gefühl vermittelt bekommen, sie müssten dringend jedes Wochenende einen ONS haben und daraus diverse unverbindliche Sex-Beziehungen generieren ist ein anderes spannendes Thema. Fakt ist, dass für Männer, die auf der Suche nach einer Frau für eine feste Beziehung sind, weder Massenapproaches noch Kampf-Eskalation eine zielführende Antwort sind. Ich kann nach einem Jahr PickUp, nach vielen lustigen und weniger lustigen Nächten, nach einem großen Stapel Bücher, vielen spannenden Unterhaltungen mit Coaches, Bloggern, PickUp Artists und sogenannten Gurus, nach einigen Dramen und Besäufnissen und nach vielen, vielen Stunden vor Foren, Blogs und Video-Workshops für mich selbst eigentlich bisher nur eine recht simple Erkenntnis gewinnen: Die Pick Up Community bietet reichlich sinnvolle Tipps um Frauen kennenzulernen. Die Mehrheit ist leider primär auf das Ziel ausgelegt, seine Schleimhäute an denen einer relativ beliebigen, fremden Frau zu reiben und nicht darauf eine langfristige Partnerin für eine Beziehung zu finden. Wenn das Ziel also ist, möglichst viel oder überhaupt mal Sex zu haben, gibt es hier mehr als genug Material. Für mich persönlich konnte ich bisher eigentlich fast nur die Idee der 3-Sekunden-Regel als wirklich sinnvoll mitnehmen, die lustigerweise das erste war, was ich gelesen hatte und die ja auch nur die einfache Weisheit beinhaltet, dass man im Leben keine Chance verpassen sollte. Mark Manson 'Models' hatte für mich noch einige sehr hilfreiche Gedanken und Ansätze, wenn es um das finden eines Partners für eine Beziehung geht. Der Rest der Videos, Bücher, Tipps und Texte verpuffte irgendwie zwischen Wiederholungen des Immergleichen, sinnfreier Masturbation darüber, wie geil der Autor sich selber und die Tatsache dass er Geschlechtsverkehr hat, findet, und unangenehm plumper Werbung für kostenpflichtige weitere Videos, Bücher, Tipps, Texte oder Coachings. Aber das hier ist sicherlich nicht die einhundertste 'Abrechnung mit der Pick Up Community'. Jeder ist dafür zuständig sich die Informationen und Antworten zu suchen, die er braucht und die Community kann nur diverse Ansätze anbieten. Wenn etwas einem nicht weiterhilft, kann man es weglegen und vergessen. Die Community ist nicht schuld, wenn du nicht weiterkommst! Jeder befindet sich in anderen, und durchlebt verschiedene, Phasen. Jeder hat andere Ziele und Werte. Wichtig ist, das bei sich und bei anderen zu akzeptieren und aufzuhören, sich nach fremden Maßstäben zu messen oder mit anderen und deren Lebensentwürfen zu vergleichen.

Ich habe vor, meinen Weg weiter zu gehen und mir die Antworten und Lösungen zu suchen, die ich brauche. Pick Up ist und bleibt für mich eine spannende Quelle, auch wenn vieles einem nicht weiterhilft und einiges absoluter Mist ist, finden sich immer wieder auch echte Perlen unter all den Gedanken und Ansätzen. Ich hoffe ich schaffe es im zweiten Jahr mein Vampir-Pick-Up-Dasein ein Stück weit aufzugeben und auch mal bei Tageslicht meinen Mund aufzumachen. Ich hoffe ich schaffe es im zweiten Jahr, noch mehr von den Chancen zu nutzen, die das Leben neben mich an die Bar oder in die U-Bahn setzt. Dass ich kann, wenn ich will, habe ich ja gesehen; dass die Welt nicht untergeht und mir die Eier nicht abfallen, wenn ich mal nicht kann, auch. Mit beidem werde ich leben müssen. Und ihr wahrscheinlich auch. Ätsch.


Vielen Dank für's Mitlesen und Mitdenken!


Elia