2. November 2012

Süsses oder Saures


Ich bin ja erklärter Feind von Massenveranstaltungen und Gruppen-Zwang-Ereignissen mit Alle-Jetzt-Spass-Vorschrift von Fussball-WM bis Love-Parade, aber vorgestern Nacht bin ich als uninformierter Nicht-BILD-Leser, Nie-Radio-Hörer und Keinen-Fernseher-Haber natürlich völlig unvorbereitet in eine Halloween-Party gestolpert, die zu meiner Überraschung dann doch recht amüsant wurde.

Ich hatte mich mit Wing2 zum traditionellen Feierabend-Pizza-Essen getroffen. Wir sprachen über dies und das und unter anderem über die Tücken von Eye-contact-halten und Lächeln ohne ersichtlichen Grund, beziehungsweise Lächeln während des Eye-contact. Wing2 erzählte mir von einem Gespräch mit einer Bekannten, die ihm den Tipp gab: „Keine Frau sieht einem Mann direkt in die Augen, wenn sie nicht von ihm angesprochen werden will“. Grundsätzlich interessant. Für EC-Muffel wie mich, die lieber Starren bis das Mädel ein Loch im Rücken hat, aber sofort auf die eigenen Schuhe schauen, als hätten sie gerade zum ersten Mal ihre Füße entdeckt, sobald das Mädchen einen anschaut, allerdings eine schwierig umzusetzende Information. Wings2, oder wie ich ihn nenne, der „König des Eye-contact“, strahlt Frauen ja meist derart an, dass man es nur noch mit Kleinkindern vor dem Weihnachtsbaum vergleichen kann. Und bekommt dabei meist eben auch ein Lächeln zurück, womit ja das erste Eis immer schon mal gebrochen ist. Wie ich bereits erwähnte, sehe ich wenn ich erzwungen lächle eher aus wie ein gesuchter Massenmörder auf Opfersuche oder ein Aphex-Twin-Cover. Ich kann Lachen, wenn es einen Grund dafür gibt, sobald ich es aber fake, wird es gruselig. Nun finde ich die meisten Frauen nur bedingt Lustig und so fällt die Option des natürlichen Lachens schon mal flach. Da aber gestern ja Halloween war konnte ich meine Lächel-Übungen im Notfall auch leicht als Grusel-Maske (wie hiess der Vater in Shining?) verkaufen und so grinste ich also ein wenig meinen Wahnsinn in die Welt hinaus. Der Erfolg war mässig.

Wir wechselten in die Bar nebenan und entdeckten den Fuß-Opener. Man sitzt an der Bar mit dem Rücken zur Bar, unterhält sich und legt die Beine entspannt übereinander. Läuft ein mögliches Target vorbei, streckt man den Fuß gerade soweit vor, dass das Target daran hängenbleibt und einen „anrempelt“. Die Mädels entschuldigen sich natürlich höflich und lächeln einen an. Grundsätzlich nicer Move, solange man noch in der Pubertät steckt (innerlich war meine Entwicklung mit 12 abgeschlossen). Ich muss aus eigener schmerzlicher Erfahrung allerdings dringend davon abraten sich, wenn sich das Mädel dann entschuldigt hat und einen anstrahlt, direkt zu seinem Wing zu drehen und gut hörbar zu verkünden „Yo, das mit dem Fuß klappt ja echt gut“. Mädchen-Lächeln OFF. Hm. Egal. War lustig, aber eben auch Schwachsinn.

Später werden wir in der Bar noch von einem vollkommen verstrahlten Mädel geöffnet. Wir sind ja nunmal auch nur ein 2er-Set, wie jedes andere. Sie ist mit ihrem, wie sie sagt, „Date for tonight“ da, freut sich aber total, dass wir deutsch sprechen und quatscht uns, selbst nachdem wir uns mehrmals deutlich desinteressiert zeigen, einfach immer noch mal an. Zum Abschluss wird sie dann auch noch recht touchy und besteht darauf mich dringend anfassen zu müssen (Ich zu meinem Wing: „Ich glaube ich kenn die ausm PickUpForum“). Ich frage mich, wie das wohl ausgesehen hätte, wenn man da jetzt mal die Geschlechter getauscht hätte. Ein Typ der so auf zwei Mädels zugesprungen wäre hätte im Extremfall wahrscheinlich schon den Polizeieinsatz angedroht bekommen. Des Rätsels Lösung folgt aber auch auf dem Fuße, denn nachdem ich mich zum dritten mal etwas verwirrt von ihr wegdrehe, verkündet sie, als würde sie den Auftritt der Grundschul-Theatergruppe ansagen: „Jaaaaa ich bin hetero! Aber ich hab sooo viele schwule Freunde, die sind aber alle anders als ihr.“

Memo an uns beide: Wieder einen Strich auf der Wir-wurden-für-schwul-gehalten-Liste machen. Der Abend fängt ja schon mal super an!

Nachdem wir uns von dem Schlag mit der Schwul-Klatsche erholt hatten verliessen wir die Bar. „Tüdelüü-hüüü“ dachte ich mir noch, als ich unsere Schwulen-Freundin mit ihrem Date am Ausgang sah. Was kann man tun? Wir sind zwei Typen, sitzen zusammen an der Bar und es ist Berlin, wer kann da schon ahnen, dass wir auf der Suche nach Frauen sind.

Mein neuer Boyfriend verabschiedet sich vor der Bar dann aber von mir, da er morgen früh raus muss. Armer Kerl. Geregeltes Arbeitsleben ist ein Konzept das mir immer wieder unmenschlich und brutal erscheint, speziell wenn man als Mitte-30-Jähriger ganz normal Mittwoch Nachts bis in die Puppen feiern, saufen und Frauen kennenlernen will.

Und so latsche ich alleine los, stelle auf dem Weg fest, dass der Bankautomat meines Vertrauens genauso wenig von geregelten Arbeitszeiten hält wie ich und ich somit noch genau 15 Euro in der Tasche habe. Das bedeutet entweder zwei Bier und mit dem Taxi nach hause oder 6 Bier und morgen eine Erkältung. Aber solche Entscheidungen soll man ja spontan treffen und so lasse ich mir beide Optionen mit all ihren tollen Vor- und Nachteilen noch offen.

Ich sehe im Vorbeilaufen, dass vor den Clubs schon beachtliche Schlangen stehen. Scheint wirklich was los zu sein heute, dafür dass morgen in Berlin nicht einmal Feiertag ist. An meiner Ziel-Bar angekommen bestelle ich mir erst mal ein Bier, suche mir ein lauschiges Plätzchen am Tresen und quatsche eine Runde mit der Barfrau. Nach einer halben Stunde stellt sich eine Ü-30erin, deren Haarschnitt wohl kurz vor ihrer Geburt mal angesagt war, neben mich und will angesprochen werden. Jeder der mal mit einer experimentierfreudigen Friseurin zusammen war weiß, dass es Dinge an einer Frau gibt, die auch ein schönes Gesicht entstellen können. Ein 80er-Jahre Locken-Undercut gehört zu dieser Kategorie (Gruß an meine Ex-Freundin!). Nach einem ¾ Becks gibt sie auf, sucht sich einen Sitzplatz und streichelt in einer dunklen Ecke ihr Telefon.

Es erscheinen die ersten schräg kostümierten Gäste. Ich bestelle mein zweites Bier und will den Typen, der sich gerade neben mich an die Bar gestellt hat und der mir zwar extrem bekannt vorkommt, an dessen Namen ich mich aber nicht mehr erinnere, schon übertrieben herzlich begrüßen um mein schlechtes Gedächtnis wieder wett zu machen, als ich bemerke, dass ich den Typen überhaupt nicht kenne, sondern nur sein Gesicht und das aus Filmen. Berliner Promi-Effekt. Herr Stadlober verzieht sich mit Bier und Kumpel in die hinterste Ecke der Bar und ich fange an mir vorzustellen, wie das mit dem PickUp wohl so wäre, wenn man mal für eine Nacht mit seinem Gesicht durch die Clubs ziehen dürfte. Ich glaube das war wohl der Moment an diesem Abend an dem ich ganz kurz das „Kleinkind-vor-dem-Weihnachtsbaum-Lächeln“ von Wing2 hinbekommen habe. Leider hatte ich damit auf eine leere Wand gezielt und nicht in die Richtung irgendeines Mädchen-Sets. Die Wand lächelte scheu zurück und wurde kurz Rot.

Auf der Hälfte meines Bieres fällt mir ein 2er-Set auf, das Wing2 und ich letztes Wochenende schon kurz über die Schulter geöffnet hatten, woraus sich aber nichts entwickelt hatte. Die beiden sehen zum einen aus wie Schwestern und zum anderen beide ein wenig wie Charlotte Gainsbourg. Die „ältere“ wird von einem Typen zugetextet und die „jüngere Schwester“ funkt gelegentlich vor Langeweile quer über die Bar hinweg. Ich fasse mir ein Herz, nehme meine Jacke gehe erst kurz vor die Bar zum Luftholen und Meditieren und setze mich dann, wieder in der Bar, auf den Platz neben der „kleinen Schwester“. Wir sitzen da so trinken und hören dem Kerl neben ihr dabei zu, wie er ihre Schwester belabert. Sie dreht sich zwei mal zu mir um und natürlich kann ich den EC keine Sekunde halten. Mann, Mann, das muss wirklich geübt werden. Aber das tue ich ein anderes Mal. Jetzt heisst es GAME-TIME, GAME-TIME!
Ich erinnere mich an eine Mystery-Geschichte, wo es um Trust-Tests ging. Nicht die Nummer mit dem Hände-Halten sondern ein Move bei dem er Mädchen etwas von ihm anvertraut um kurz darauf aufzupassen, während er z.B. auf Toilette ist und wenn er wiederkommt hat sich ganz automatisch eine Art Vertrauensbasis aufgebaut. Das ganze passt hervorragend zu der Meldung, die ich seit ca. 10 Minuten von meiner Blase erhalte und so denke ich mir „Was hast du schon zu verlieren?“

„Du hast deine Jacke, deinen MP3-Player, dein Handy und deinen Geldbeutel zu verlieren, du Idiot, du bist hier schließlich in Berlin!“ meldet sich meine linke Gehirnhälfte lautstark zu Wort. Und so verlagere ich unauffällig meinen Geldbeutel in meine Hosentasche, stehe auf und spreche die kleine Charlotte an:

I: Hey, kannst du mir einen Gefallen tun?

C: Klar.

I: Kannst du kurz auf meine Jacke aufpassen und mir den Barhocker frei halten. Ich bin gleich wieder da.

C: Na klar.

Als ich von der Toilette wiederkomme lächelt sie mich an. Ich gehe auf Nummer sicher und übe NICHT weiter an meinem Come-To-Daddy-Smile.

I: Danke.

C: Ich hatte kurz überlegt, deine Jacke zu verkaufen, hab mich dann aber dagegen entschieden

Aaaaaaaand i'm in the Set!

Die Unterhaltung startet praktisch sofort als ich mich setze. Wahnsinn, aber der gute alte Mystery hat da schon ein paar feine Sachen entdeckt, man kann es nicht anders sagen.
Wir unterhalten uns den gesamten restlichen Abend wirklich gut. Für meine übliche Zielgruppe ist sie mit 31 recht erwachsen und als Autorin auch intellektuell deutlich überqualifiziert aber man soll ja neue Wege beschreiten. Ich bemerke, dass bei Frauen ab einer gewissen geistigen Reife mein C&F kaum noch zum Einsatz kommt. Bin mir nicht sicher, warum ich das tue. Entweder traue ich mich nicht, oder vielleicht wäre es bei einem Gespräch über frühkindliche Prägung bei Scheidungskindern oder Nahtoderfahrungen und deren religiöse Interpretation auch irgendwie unangebracht ein Paar freche Negs einzustreuen.

Ihre Schwester will mehrfach gehen, verabschiedet sich dann auch irgendwann mit einem anderen Typen an ihrer Seite, kommt aber nach ca. 15 Minuten dann doch wieder alleine zurück in die Bar. Was auch immer.
Nachdem ihre Schwester lange genug den Girl-Code-Quengel-Modus gefahren hat teilt mir C mit, dass sie morgen viel zu tun hat und sich jetzt auch verabschieden wird. Sie bleibt danach aber noch komische 30 Sekunden aktionslos sitzen und ich habe das Gefühl, sie wartet auf einen Number-Close.... Ich hadere mit mir selbst, da die Mädels eigentlich sowieso öfter in der Bar zu sein scheinen und ich irgendwie das Gefühl habe noch nicht genug Rapport für einen Number-Close bzw. keine Time Bridge aufgebaut zu haben, plappere aber dann doch einfach los.

I: Äääähm.... äää.. Hast du ne E-Mail Adresse?

Was?? E-Mail-Adresse?? Wieso hab ich das denn jetzt gesagt? Was soll das denn bitte sein? Der Facebook-Close für Ü-30er oder was? Frag sie doch gleich nach ihrer Fax-Nummer du Depp!

C: Ja, klar. Warte mal ich schreib sie dir auf.

Sie sucht in ihrer Handtasche nach einem Zettel.

Puh! Grade nochmal halbwegs gut gegangen. Keine Ahnung wo der Gedanke in meinem Kopf plötzlich herkam... War wohl so ein Time-Bridging-Ding von wegen „ich schick dir mal den Link zu dem Film von dem ich gesprochen hatte“ allerdings ohne eben vorher die Time Bridge Geschichte ausgesprochen zu haben...
Ich drücke ihr mein Handy in die Hand, weil sie immer noch am Suchen ist und sie tippt mir ihre E-Mail-Adresse rein und erklärt mir noch kompliziert, dass der erste Buchstabe aber klein geschrieben gehört und dass der Punkt ein @ sein soll undsoweiter.... Ich verabschiede sie und sie verschwindet mit ihrer Schwester.

Hm... Komischer Close.

Ich trinke noch ein Bier, genieße die immer absurder werdenden Kostüme und gehe dann nach hause.

Am nächsten Tag beschliesse ich beim Arbeiten, dass so eine halbkalte E-Mail-Adresse auch nicht besser wird indem man nix schreibt und schicke eine kurze Mail a´la „Habt-gestern-noch-was-verpasst“(total gelogen...) und den nicht versprochenen Link zu dem Film von dem ich ihr erzählt hatte.

Bis jetzt kam keine Antwort. Egal. Mittlerweile nehme ich sowas ja recht sportlich.

Beim Thema Mail fällt mir aber noch ein, zu erwähnen, dass meine Argentinierin noch eine Mail geschickt hatte, ob ich denn Lust hätte sie für ne Woche oder so in Budapest zu besuchen. Kurz überlegt. Aber ne, das war mir in Berlin schon zu kompliziert ohne dass überhaupt etwas passiert wäre oder eben gerade deswegen. Und bei so einem Besuch ist man dann ja irgendwie auch wirklich ne Woche gezwungen miteinander abzuhängen. Ich sage also höflich ab. That's it.

So, was gibt es also zu lernen? Es hängt irgendwie immer noch am Close. Der Rest ist ausbaufähig aber geht zumindest meistens.

Mal sehen, was das Wochenende bringt!

Elia


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