24. Juli 2013

Träume sind Schweine

Was war das denn bitte? Da lag ich doch heute morgen um 8:30Uhr (absurd früh für mich) mit aufgerissenen Augen in meinem Bett. Ich wurde von meinem eigenen Traum geweckt. Oder hatte ich versucht mich in den Wachzustand zu retten? Ich war völlig verwirrt.

Eigentlich soll man Träume ja nicht aufschreiben, hatte mir meine Therapeutin mal erklärt, da der Körper versucht zu 'verarbeiten und abzusortieren', und man ihn dadurch hindert, zu vergessen. Aber was für ein ekliger Traum war das denn bitte? Ich hatte geträumt, ich sei zur HOCHZEIT meiner Ex-Freundin eingeladen. Allein das spricht ja schon Bände, zumal wir seit fünf Jahren praktisch keinen Kontakt haben. Aber jetzt kommt's richtig dicke: In meinem Traum wird meine Ex kurz vor ihrer Hochzeit ins Krankenhaus eingeliefert, da sie plötzlich ein Kind von ihrem Zukünftigen bekommt. Und so liege ich also, in meinem Traum, neben meiner Ex-Freundin in einem Krankenhausbett, sehe ihr tief in die Augen und fange an ihr zu erklären, dass ich ihr verziehen habe und ihr das Beste wünsche und ähnlich seltsam schnulzigen Schmonz. Ich meine, was ZUR HÖLLE soll das denn, bitte? Von der Ex-Freundin träumen, schön und gut, aber wie wäre es dann bitte mit einem ordentlichen Sex-Traum? Aber nein, meinereiner muss natürlich eine Rosamunde-Pilcher-Version von 'William&Kate&Kates Ex' zusammenträumen, dass es schon nicht mehr feierlich ist! Ich meine, machen sich jetzt schon meine Träume über mich lustig? Bin ich so eine Pussy geworden, dass jetzt endgültig meine 'biologische Uhr' tickt? Mit 34? Werd ich demnächst scheinschwanger? Und was macht überhaupt meine Ex-Freundin nach fünf Jahren immer noch in meinen Träumen? Hat die keine eigenen Träume?

Ich stand dann heute morgen wirklich erstmal eine halbe Stunde vor meinem Espresso-Kocher und habe überlegt, ob es nicht doch besser wäre, wieder das Kiffen anzufangen. Wenn das jetzt in Zukunft meine Träume sein sollen, dann Nein Danke! An ihrem Hochzeitstag neben einer gebärenden Ex-Freundin liegen und ihr alles Gute wünschen? Hallo! Geht's noch? Dann doch lieber gar nix träumen!

Aber ich weiß schon, wem ich das zu verdanken habe!
Die alte Zumpfel hat mich doch neulich angeskypt, um mich mal wieder zu fragen, was für Filme ich zu empfehlen hätte, und dann im Nebensatz ganz unverblümt fallen zu lassen, dass sie ja inzwischen doch gerne mal Nachwuchs hätte, aber ihr Boyfriend das mit der Kohle und dem Nestbau ja nicht so ernst nimmt... Eigentlich hatte ich richtig reagiert und ihr erklärt, dass wenn sie mir verspricht, dass ich es ihrer Mutter sagen darf, wir das mit dem Baby gerne machen können. Aber im Grunde bin ich ja selber schuld, wenn ich mir so einen Schwachsinn reinfahr! Ich hätte sie wohl schon lange auf Skype blockieren sollen. Filmtipps! Nicht zu fassen!

So, der Kaffee ist getrunken und ich hab mich ausgekotzt.

Meine Therapeutin hat versagt! Amateurin! Aber das hat sie jetzt davon, dafür schreib ich jetzt eben
doch meine Träume auf. Kann ja eigentlich nicht schlimmer werden. 'Verarbeiten und absortieren'!.... Pfff...My Ass!


23. Juli 2013

Schwule Mädchen

„Boaisdie-sssschön!“ lallt mir Wing3 ins Ohr, während das kleine Mädchen mit der Flechtfrisur an uns vorbei aus der Bar geht. Er ist extrem betrunken und in diesem Zustand ziemlich schwer. Zumindest wenn er sich, wie jetzt, förmlich an meiner Schulter hochziehen muss um mir etwas zu sagen. „Ja ist sie. Aber die steht nicht auf Männer“ antworte ich, ohne mich zu ihm umzudrehen. Ich genieße den Anblick trotz besserem Wissen. Erst als sie zur Tür raus ist, drehe ich mich zu Wing3 der jetzt immer noch auf den Ausgang starrt. Ich versuche mich direkt an sein Großhirn zu wenden, indem ich mich in sein Blickfeld stelle und seinen Kopf mit beiden Händen fixiere. „Hey, Alter! Die steht auf Mädels, glaub's mir. Ich hab sie vorhin mit der kleinen Schwarzhaarigen draußen so diskutieren sehen, wie nur Pärchen diskutieren. Sie ist lesbisch! Auch wenn sie Stress mit ihrem Girlfriend hat, wird sie wohl kaum heute Nacht ihre sexuelle Orientierung überdenken“. Ich sehe in seine glasigen Augen. Die Worte scheinen grundsätzlich angekommen zu sein. Sie müssen aber irgendwo zwischen seinem Innenohr und seinem Hirn Pause gemacht haben, denn es ist keinerlei Reaktion in seinem Gesicht zu erkennen. Er sieht auf diese komische Art verliebt durch mich hindurch, auf die nur Betrunkene verliebt sein können, und auch die nur für den kurzen Moment für den sie glauben zu wissen, dass dieses eine Mädchen, genau heute Nacht, genau jetzt, an ihnen vorbeigelaufen ist, weil sie es ist, die Eine.



Der Abend hatte sehr ruhig begonnen. Ich hatte mich mit Wing1 in der Stammbar verabredet und gelangweilt ein paar Bier getrunken, bis uns besagtes Mädchen auffiel. Sie entsprach äußerlich so exakt meinem Beuteschema, dass wir nichts sagen mussten und trotzdem sofort beide wussten, was Phase war. Sie stand draussen vor der Bar und gestikulierte wild. Aus der Bar heraus konnten wir weder hören, was sie sagte, noch sehen mit wem sie so aufgebracht diskutierte. Erst als die beiden Streithähne schweigend hintereinander in die Bar zurück trotteten, sahen wir das zweite Mädchen. Sie war im gleichen Alter und fast genauso hübsch, wie ihre Freundin. Ich kann nicht genau sagen, ob es nur die Art war, wie die beiden miteinander stritten, oder noch andere Indizien dazu kamen, jedenfalls schlug mein Lesben-Radar deutlich aus. Ich benötigte ein Frust-Bier, um wieder woandershin sehen zu können. Wir saßen noch eine ganze Weile an der Bar, bis Wing1 sich verabschiedete, um in den Absturzclub weiterzuziehen. Fast zeitgleich erschien Wing3, merklich vorbetankt wie immer. Ich machte mit ihm also direkt da weiter, wo ich mit Wing1 aufgehört hatte. Ich musste aber schon nach kurzer Zeit feststellen, dass er in einem noch verheerenderen Zustand war, als ich angenommen hatte. Er hatte sich offensichtlich bereits über den „Talky-Mode“, wie ich ihn nenne, hinübergetrunken und war in der Phase angekommen, in der die meisten eher still werden und auf ihr Bier starren. Dann kam Sie.
Sie lief an uns vorbei und Wing3 fuhr hoch, wie ein Junkie, dem der Notarzt die reanimierende Ladung Adrenalin gespritzt hat. Er war plötzlich wieder voll da.

Wäre ich mir nicht so verdammt sicher gewesen, hätte ich ihn natürlich niemals zurückgehalten. Der Mann war im perfekten Zustand um alles und jeden anzusprechen, solange er sich dabei nur irgendwo hätte festhalten können. Aber aus meinem Blickwinkel hatte ich die Schönheit auch schon eine ganze Weile dabei beobachtet, wie sie sich mit ihrer Begleitung wieder versöhnt hatte und war mir einfach zu sicher, dass er ohne Geschlechtsumwandlung bei ihr heute Abend keine Chance haben würde. Letztendlich war es aber auch ganz egal, denn seit er sie gesehen hatte, kam bei meinem lieben Bargenossen sowieso nichts von all dem mehr an, was ich zu sagen hatte. Ich redete also noch eine knappe viertel Stunde mit seinem Gesicht und trank mein Bier aus. Dann ging ich kurz zur Toilette. Ich hätte wissen müssen, was nun kam.

Als ich zurückkehrte, war der Barhocker, auf dem Wing3 gerade noch gesessen hatte verlassen. Ich ließ meinen Blick kurz durch den Raum wandern und entdeckte ihn schließlich. Er saß zwischen(!) den beiden Mädels und redete unter seinen halb geschlossenen Augenliedern hindurch mit der hübscheren von beiden. „Oh, well...“ dachte ich mir und gesellte mich kommentarlos zu dem seltsamen Trio. Als ich mich gerade setzte, blickte Wing3 kurz hilflos zu mir hoch und ich hörte, wie die hübsche Kleine ihm gerade, mit der sanften Betonung einer Kindergärtnerin, erklärte „Yes, but as i told you allready, we are lesbians“. Ich war zu gespannt auf den Fortgang dieser Unterhaltung, um irgendetwas sagen zu können. Ich nickte den beiden Mädels freundlich zu und wartete darauf, dass Wing3 etwas sagen würde, aber der starrte mich nur ausdruckslos und traurig an. Nach einer Pause, die mir endlos erschien, drehte er sich langsam wieder zu seiner Traumfrau um, und antwortete „Yea, ok.... Ok. But... Ähm... But, what about a threesome?“.

Ich konnte es selbst kaum glauben, und dem Ausdruck in ihrem Gesicht nach, musste auch das Mädel erst kurz überlegen, ob sie sich vielleicht verhört hatte. Ich war fast ein wenig stolz auf Wing3. Er hatte es in seinem Suff-Hirn doch tatsächlich geschafft, noch einen letzten Funken Hoffnung, einen letzten kleinen Weg zu finden, um vielleicht doch noch Sex mit einer Frau haben zu können, die ihm gerade erklärt hatte, dass er zwischen ihr und ihrer Lebensgefährtin saß. Fast mittleidig legte sie ihren Kopf etwas schräg, bevor sie ihm antwortete „No. No, i'm sorry. No threesomes“. Man konnte fast hören, wie ein Trinkerherz brach und ein weiterer großer Traum der Menschheit beerdigt wurde. Es folgte ein geradezu andächtiger Moment der Ruhe zwischen den Dreien. Wing3 brauchte ein paar Sekunden um zu trauern und die Mädels suchten den Raum wahrscheinlich insgeheim nach versteckten Kameras ab. Ich entschloss mich, diesem zwischenmenschlichen Drama einen Ausweg zu bieten. „Hi, i'm Elia“ stellte ich mich vor. So was wie Erleichterung machte sich bei den Mädels breit, während Wing3, immer noch in sich zusammengesunken da saß. Mit ihm war für heute wohl nicht mehr zu rechnen, und so begann ich ein wenig Smalltalk um von der menschlichen Tragödie unter uns abzulenken.

Es stellte sich schnell heraus, dass die hübschere von beiden zufällig den gleichen Job hatte wie ich, und so entstand blitzschnell eine sehr angeregte Unterhaltung, wenn auch über ihre Freundin und die Reste meines Freundes hinweg. Wing3 sagte nicht nur nichts mehr, er bewegte sich auch nicht mehr, seit er erfahren hatte, dass es heute keinen Sex mehr geben würde. Wozu auch?
Nachdem ich mich eine ganze Zeit sehr gut mit den Mädels unterhalten hatte, stand er dann aber urplötzlich doch ganz langsam auf. Wie ein Zombie oder ein Narkosepatient machte er vier Schritte von uns weg, und ließ sich zwei Meter weiter erschöpft auf eine Bank fallen. Er lehnte seinen Kopf gegen die Wand und schloss die Augen. Wir betrachteten das Schauspiel alle kurz und setzten dann unsere Unterhaltung fort. Ich setzte mich jetzt zwischen die Beiden, da keine von ihnen Anstalten machte, aufzurutschen. Nach einer halben Stunde fragten wir etwas besorgt bei Wing3 nach, ob er sich nicht doch wieder zu uns setzen wolle. Er öffnete kurz die Augen, aber verneinte. Stattdessen stand er zwei Minuten später auf, verabschiedete sich kurz (bei mir, nicht bei den Mädels) und ging nachhause. Er wirkte gebrochen. Also deutlich gebrochener als sonst. Er hatte mutig und hoch gepokert und war mit all der Euphorie, mit all dem Endorphin, und Adrenalin, und was sein kleiner Körper sonst noch so produziert hatte, und mit ganz viel Anlauf gegen eine regenbogenfarbene Wand gerannt. Ich blickte ihm noch kurz nach, dann setzte ich mein Gespräch fort. Die beiden waren tatsächlich ziemlich witzig, und ich konnte mit der Hübscheren endlos über unseren Job philosophieren.

Es war der Höhepunkt unseres Gespräches, ich war gerade richtig in Fahrt und gestikulierte wild, als mir auffiel, dass die zwei Mädels mich gar nicht mehr ansahen, während ich meinen Vortrag hielt. Stattdessen blickten sie beide auf meine Hand, oder besser gesagt, auf meinen Ärmel, oder noch besser gesagt, auf das Kabel, das aus meinem Jackenärmel hing und an dessen Ende dieses kleine Mikrofon baumelte und durch die Luft wirbelte, während ich sprach.
Hupsi!... Das Teil hatte ich ja völlig vergessen! Und jetzt starrten wir es alle drei an....
Ich überlegte kurz, nahm dann das Mikrofon und klemmte es einfach kommentarlos wieder an meinen Jackenärmel. Dann sprach ich weiter, als wäre nichts gewesen. Zu meiner Überraschung reagierten die Mädels kein bisschen und fragten auch nicht nach. „Eigentlich auch logisch“ dachte ich mir erleichtert „wer würde auch auf die Idee kommen, dass ein Typ nachts in einer Bar seine Gespräche mit einem Mikrofon im Ärmel mitschneidet. Welcher Vollpsycho würde denn so eine Scheiße machen?“

Es wurde noch ein sehr langes und lustiges Gespräch, an dessen Ende wir Nummern und Mailadressen tauschten, da die Kleine mir unbedingt Arbeiten von sich schicken wollte. Aus 'PUA-Sicht' hatte ich voll versagt und die halbe Nacht mit zwei Lesben verplempert. Als Nice-Guy verstehe mich aber logischerweise auch einfach zu gut mit schwulen Mädchen. Wir verabschiedeten uns und ich zog weiter in den Absturzclub.



Ich habe mir gerade nochmal schnell einige Stellen meiner Aufnahme aus dieser Nacht angehört. Inzwischen kann ich das sogar fast ohne aus dem Zimmer gehen zu wollen. Erstaunlicherweise war es gar nicht so spät, als ich in den Absturzclub ging und ich hatte dort noch einige Stunden reichlich Spaß (auch wenn ich mich nicht an jedes Gespräch erinnern konnte). Ich flirtete lange mit einem Mädel am Eingang, traf Wing1 wieder, flirtete mit einer großen Blonden, die ich eigentlich für ihn anquatschen sollte (ich Kameradenschwein) und betrank mich zu guter Letzt mit BALU an der Bar. Alles in allem ein sehr lustiger Abend. Trotzdem war das Gespräch mit der hübschen, lesbischen Kollegin für mich der beste Teil. Wir haben uns noch ein paar Mal geschrieben, und sie ist wirklich gut in ihren Job. Vielleicht sieht man sich ja auch demnächst mal wieder in der Stammbar und führt ein gutes Gespräch. Ganz ohne Reinstecken.

Wie immer.



Elia


21. Juli 2013

Theorie-Update: Tucker Max

Immer wenn ich gestern die Augen aufmachte, sah ich den Wildwuchs auf meinem Balkon gegen den blauen Himmel und konnte feststellen, dass die Sonne wieder ein Stück weiter an mir hochgewandert war. So verbrachte ich den gesamten Tag. Der pulsierende Schmerz in meinem Kopf lies leider keine andere Aktivität zu. Schmerzfrei war ich erst gegen 21Uhr und da hatte ich dann aber auch keine Lust mehr noch etwas produktives aus den letzten Stunden des Samstags zu holen. Wie man jetzt recht leicht schlussfolgern kann, war ich Freitag seit langem mal wieder aus und musste nicht nur feststellen, wie schnell man, nach einer 4-Wöchigen Club- und Bar-Pause, aus seiner Ansprechroutine raus ist und wieder böse AA mit sich herumschleppt, sondern auch, wie schnell man aus dem Trinktraining ist und wie fies einem, wenn man um 18Uhr schon anfängt, gegen 3Uhr das 8te, 9te oder 10te Bier doch die Füße wegzieht. Auf dem Nachhauseweg machte ich dann auch noch jeden morgendlichen Passanten durch meinen berühmten, extrem lauten und nicht zu unterdrückenden, Bier-Schluckauf auf mich aufmerksam. Ich war Eindeutig nicht mehr im Training.

Was mir in meinem Bierkater gestern allerdings themenbedingt doch noch einfiel, war dass ich ja nicht nur mit meinen Field Reports fast einen Monat hinterher hinke, sondern dass ich auch schon einige Buchbesprechungen im Verzug bin und dass nun eigentlich Tucker Max dran wäre, besprochen zu werden. Thematisch passt das natürlich hervorragend zusammen, denn bei Tucker Max geht es prinzipiell eigentlich fast nur ums Saufen. Dass dabei im Verlauf immer mal wieder einige Mädchen abgeschleppt werden, kann genauso direkt auf den stets fast komatösen Alkoholpegel des Protagonisten zurückgeführt werden, wie seine regelmäßigen, unkontrollierten Kotz- und Scheiß-Attacken in fremden Betten oder an öffentlichen Orten. Für schwache Mägen ist das Buch 'I Hope They Serve Beer In Hell' von Tucker Max also mindestens so falsch wie der darin recht unverhohlen abgefeierte Konsum großer Mengen des genannten Erfrischungsgetränks.

Als ich anfing darin zu lesen hatte Tucker Max meine grundsätzliche Sympathie recht schnell alleine schon damit gewonnen, dass er zu Beginn jeder (angeblich wahren) Geschichte erstmal, durch eben völlig unverhältnismäßigen Alkoholkonsum, dafür sorgt, jede zivile Ordnung und deren Regeln in seiner Umgebung aufzuheben und einen extrem explosiven, anarchischen Ausnahmezustand herzustellen. Er schien mir ein vernünftiger, junger Mann zu sein. Was mich allerdings recht schnell nervte, war die Tatsache, dass er in seinen Erzählungen eben auch genau bei diesem Ablauf (Saufen-Kotzen-Ficken, oder Saufen-Ficken-Kotzen) bleibt und die Geschichten sich irgendwann endlos zu wiederholen scheinen. Ich fühlte mich an einige Field-Report-Sammlungen von bekannten, oder weniger bekannten, PickUp- und Forums-Helden erinnert und reagierte auch irgendwann ähnlich genervt auf die zwanzigste Wiederholung. Was Tucker Max, genauso wie viele PickUp-Autoren, vermissen lässt, sind Einblicke in seine Gefühls- und Gedanken-Welt. Vielleicht ist das aber auch gar nicht zu seinem Nachteil, denn wenn er den Leser, in einigen kurzen Passagen, mal einen Einblick in seine Gedanken gewährt, lassen die meist auf ein erschreckend flaches Gewässer schließen.

Als 'Hobby-Barfly' fühlte ich mich dann aber doch das eine oder andere Mal auch ein wenig ertappt. In einem der ersten Kapitel analysiert er den Zusammenhang zwischen Flirt- und Trink-Verhalten seines guten Freundes 'SlingBlade' recht kurz und treffend:
I think it was George Burns who said, „It takes only one drink to get me drunk. The trouble is, I can't remember if it's the thirteenth or the fourteenth.“ The same could be said for SlingBlade about hooking up. For him to hook-up he has to perfectly hit his drinking sweet-spot. It's got to be enough alcohol that he is truly fucked up, but not so much that he loses control. The problem with this is that his tolerance is terrible, which leaves him without much margin for error. If he doesn't drink enough he still thinks the woman is a slut and he won't touch her, but if he drinks too much he throws up and/or passes out. It's a delicate balance to get him into his Hook-up Zone.“
Natürlich halte ich Frauen im nüchternen Zustand nicht für Schlampen. Aber ich kennen die Herausforderung, den schmalen Grad, den magischen Pegel, den perfekten Zustand zu finden, in dem man Frauen anspricht als würde man nie etwas anderes tun, und der kleine, sozial untaugliche Arsch, den man sonst gerne im Kopf hat, geknebelt und gefesselt unter der Bar liegt.

Tucker Max hat ein Problem mit Frauen. Das hätte man sich denken können. Auch wenn er darüber nicht schreibt, lässt es sich ziemlich leicht herauslesen. Und in seinem Fall, wie in vielen ähnlichen Fällen, fehlt der Respekt für Frauen ganz einfach dadurch, dass er keinen Respekt vor sich selber hat. Würde man in solch dummen Kategorien denken, wäre Tucker Max eine klassische 'LSE-HD'. Er mag sich selber nicht und folglich kann er sich nicht erklären, warum irgendeine Frau ihn mögen könnte. Wenn also eine Frau mit ihm nachhause geht, kann sie nur eine dumme Schlampe sein. Wenn einem der natürliche Respekt vor der eigenen Person fehlt, kann man sich seinen Wert nur noch durch die zählbaren Reaktionen der Außenwelt beweisen, durch die berühmten 'Kerben in der Bettkante'. Wenn man andere Menschen aber auch kaum respektiert, benötigt man viele, und immer wieder neue, 'Kerben' um den eigenen Wert zu spüren:
I don't know exactly how many girls I've slept with, but it's well into the triple digits. You start to forget a few last names somewhere in the 30s, some first names around the 60s, and entire girls altogether somewhere around the 90s, but no matter how much or how many you fuck, some are just unforgettable.
This particular girl, 'Candy,' I met while working in Cancun. I was so busy fucking her sorority sister, I didn't hit on her until the day before she left, but she was having none for me. I figured that she just respect herself and didn't want to fuck someone like me...“

Der fehlende Respekt vor anderen Menschen, speziell Frauen, wird besonders deutlich an einer Stelle des Buches an der Tucker Max beschreibt, wie er einen Bekannten in seinem Schrank versteckt, um heimlich und ohne ihr Mitwissen ein Mädchen zu filmen, während er Sex mit ihr hat. Doch wie an allen anderen Punkten, an denen der moralische Abgrund in den er ja auch selber, spätestens beim Schreiben, blicken muss, so tief und schwarz wird, dass er sich doch genötigt fühlt etwas zu erklären, flüchtet er in eine seltsam stilisierte Position des 'schlechten', 'verdorbenen', 'unmoralischen' Antihelden, der sich aber eigentlich doch unübersehbar für seinen 'sicheren Platz in der Hölle' abfeiert und heimlich auf Applaus schielt:
I am a bad person. At 21, I was possibly the worst person in existence. I had no regard for the feelings of others, I was narcissistic and self-absorbed to the point of psychotic delusion, and I saw other people only as a means to my happiness and not as humans worthy of respect and consideration.“

Und genau diese Art der Stilisierung wiederholt Tucker Max bis zum, von ihm so geliebten, Erbrechen. Nur dass in diesem Fall der Leser derjenige ist, der sich über die Kloschüssel retten muss. Und nachdem er sich irgendwann zum hundertsten Mal grinsend und unkreativ seine immer gleichen, verbalen Teufelshörner aufgesetzt hat und sich damit aber dann doch ziemlich cool fühlt, möchte man ihn eigentlich schon lange fragen, warum er das alles denn dann überhaupt tut? Genau diese Frage beantwortet Tucker Max aber, ohne es zu merken, eigentlich ständig selbst. Im Grunde ist sein 'Problem' ein hasserfülltes Selbstbild, was zu einem hasserfüllten Frauenbild führt. Und wie bei fast allen Männern, die mit einem derart miesen Frauenbild durch die Welt rennen, ist dieses nur die logische Folge eines genauso spießigen und negativen Männerbildes. Denn Tucker Max ist kein Freigeist, der freie Liebe und befreite Sexualität fordert. Für ihn sind Frauen, die sich mit Männern wie ihm vergnügen, weiterhin billige, unreine Schlampen und Männer, die sich wie er verhalten, eben einfach nur 'schlecht'.
Look, I know how bad some of these stories are. I know that in return for my youthful behaviour, fate will give me five daughters and make them all vicious sluts who sleep with guys like me an then throw it in my face. I know that in any cosmically just afterlife, I deserve to have all order of awful punishments waiting for me...“ und so weiter, und so weiter, und so weiter...

Im Grunde erklärt uns Tucker Max aber durch seine Gedanken zu Frauen, und warum diese mit 'Typen wie ihm' schlafen, unfreiwillig ganz von selbst, seine eigenen Ego-Probleme, und die von wahrscheinlich vielen Männern, die ihre Bestätigung darin suchen, dass möglichst viele Frauen bereit sind mit ihnen zu schlafen und darin, dies dann natürlich möglichst vielen Männern mitzuteilen. Auf beiden Seiten sind es eben oft sehr schwache Egos, die sich gegenseitig versuchen, am jeweils Anderen, und dessen Bereitschaft, doch tatsächlich mit diesem nackigen, kleinen Ego Sex zu haben, hochzuziehen. Und in dieser Tatsache gleicht Tucker Max, und alle seine Klone, eben der neunzehnjährigen Stephanie aus seinem Buch, sie nutzen sich eben nur gegenseitig als Trophäen:
Stephanie had that type of body you see on the cover of Maxim, except she was that hot in real life and not just airbrushed hot. Granted, she threw up a lot of dinner for that body, but considering that I wasn't paying for her food, I didn't care.
Like most super hot girls, she was incredibly insecure. She wore too much make up and not enough clothes, which is always a sign of despair in a woman. But she went beyond the normal female do-these-pants-make-me-look-fat insecurity, which is manageable, and graduated to full on, I-am-so-ugly-and-worthless, I-hate-myself, please-fuck-me-so-I-can-feel-close-to-somebody insecurity. As a result of her severe and unquenchable insecurity, she was quite promiscous, to the point where dating her was similar to the experience of sitting on a warm toilet seat: Even without seeing him walk out of the stall, you knew that someone else had been there only moments before you arrived.“

Genau diese spießige, amerikanische Doppelmoral ist es, die ab der Mitte des Buches immer häufiger und klarer hervorsticht. Ein ganzes Kapitel widmet Tucker Max dem Gespräch mit einem Homosexuellen in einem Gay-Club, der ihn darauf aufmerksam macht, dass bei den hunderten von Frauen, mit denen er inzwischen Sex hatte, ja mit fast absoluter Sicherheit auch schon eine dabei war, die vor ihrer Operation noch ein Mann gewesen ist. Als Tucker dann ins Grübeln kommt und ihm Frauen einfallen, die einfach nicht feucht werden wollten, die beim Analverkehr nicht so eng waren wie andere Frauen oder die so gut blasen konnten, als wüssten sie aus eigener Erfahrung, wie es sich anfühlt, flippt er über fast zwei Seiten hinweg völlig aus. Der Gedanke eventuell mit einem 'Mann' Sex gehabt zu haben, wird von ihm als das Abartigste und Ekligste Empfunden, was man sich nur vorstellen kann. Und das, nachdem er bereits seiten- und kapitelweise ohne Probleme von nicht mehr zu haltendem Bier-Schiss, dem Schlafen in Hundescheiße und dem Ficken im eigenen Erbrochenen berichtet hatte. Willkommen im Gehirn eines durchgeknallten, amerikanischen Konservativen.

Ähnlich schlimm, oder mit anderen Worten schwul, ist der Gedanke der Tucker kommt, nachdem eine Bekannte vor ihrem Date mit einem anderen Typen, bei Tucker vorbeischaut, um ihm einen zu blasen. Nach kurzem Grübeln stolpert er über die Idee, dass er im Umkehrschluss ja sicher auch schon Frauen geküsst hat, die vorher, wenn nicht sogar am selben Tag, den Penis eines anderen Mannes im Mund hatten. Eine Welt bricht zusammen. Die Flagge wird auf Halbmast gesetzt.
Granted, I've done horrible stuff also, but anyone in the world can read this book and know what I've done. It's the not knowing that really messes with me. What fucks me up is to think that girls I'm casually dating are fucking around on me, and not even just on other days, but right before they see me. I don't really go on dates anymore since I learned that you don't need to spend money to get pussy, but when i did, I wonder how many girls came out with sperm breath? And how many of those did I kiss? And even now I wonder how many women have I met out at a bar who fucked a guy before going out, and then went home with me?“
Es ist eine kleine, fast kindlich naive, aber staubig-urkonservative Welt, in der Tucker Max denkt. Zum Glück liegt zwischen mir und dieser Welt ein Ozean.

Und gerade wenn man, gegen Ende des Buches, versucht ein wenig Frieden zu schießen, mit diesem seltsamen College-Boy, und versucht zu verdrängen, dass es auch in unseren Gefilden genug Idioten mit der gleichen wackeligen Doppel- und Sexual-Moral und dem gleichen piefigen Frauen- und Männer-Bild gibt, haut einem Tucker Max seine letzten Zeilen um die Ohren. In diesen beschreibt er sein eigenes System um Frauen zu kategorisieren. Wozu auch immer man das tun sollte, lasse ich mal dahingestellt. Jedenfalls endet sein Buch mit diesen gar lieblichen Worten, in denen er die 'niedrigste' Stufe seiner 'Frauenkategorien' beschreibt:
Other category: 0-star (aka, Wildebeast): The lowest of the low. A 1-star (common-stock-pig) with a terrible personality qualifies as a Wildebeast. They should all be put to sleep. This is that loud, disgusting fat girl in the bar that smokes, orders complicated drinks and then spill them on everyone, and is generally just so annoying that you have to actively restain yourself from kicking her in the crotch and stomping on her throat until she drowns on her own blood. There is no insult too mean or crude for her, and basic human rights do not apply to her“

Prost Mahlzeit. Selbst abzüglich der verkaufszahlen-fördernden Provokation und pseudo-witzigen Anti-Political-Correctness, ist dieses Menschenbild, und sind diese Gewaltfantasien, dann eben doch, um es mit Tuckers Lieblingstätigkeit zu beschreiben, zum Kotzen.

Schade, Tucker. Kurz fand ich dich echt sympathisch, aber irgendwie hast du Sache dann doch ziemlich verkackt. Oder doch verkotzt?


Elia


14. Juli 2013

There is allways a Philipp

So hässlich Berlin im Winter ist, so schön ist es im Sommer. „Ich bleib für immer einfach hier sitzen“ sagt Wing2 regelmäßig, wenn wir zusammen an der belebten Kreuzung vor dem kleinen Pizzaladen sitzen und versuchen uns auf's Essen zu konzentrieren während dicht neben uns ein Minirock nach dem anderen vorbei stöckelt. Besonders hart ist der Sommer aber natürlich für Daygame-Loser wie mich, deren AA auf der Straße so groß ist, dass sie zum Glück die ganzen hübschen Mädchen dahinter gar nicht sehen können. Und so konnte sich mein völlig überfordertes Hirn neulich auch der Situation, dass zeitgleich zwei wunderschöne Elfchen auf ihren Retro-Fahrrädern an der Ampel neben mir und meinem klappernden Schlachtross hielten – eine rechts, eine links - nur entziehen, indem ich mich geschlagene 90 Sekunden der philosophischen Frage widmete, ob nun eigentlich der Sommer immer nach Mädchen, oder die Mädchen immer nach Sommer riechen. Als die beiden losfuhren starrte ich ihren fliegenden Kleidern so lange regungslos nach, dass es fast schon wieder rot wurde, als ich in meinen Körper zurückgekehrt war.

Ein weiterer Pluspunkt des Sommers ist, dass ich mich wieder dem wunderbaren und fast arbeitsfreien Projekt des 'Anarcho-Gärtnerns' widmen kann, dessen stolzer Erfinder ich bin und das ich seit fast 10 Jahren auf meinem Balkon mit aller politischer Härte vorantreibe. Wer von euch den solidarischen Drang verspürt mitzumachen, hier eine kurze Anleitung und das Regelmanifest zu 'Elias Anarcho Garten':
  1. Fülle diverse Blumenkästen mit Mama Erde und stelle sie auf deinem Balkon zur freien Verfügung. Für die jetzt bereits wieder weinerlich gekränkten Maskulinisten stellst du noch einen kleinen Blumentopf mit Papa Erde daneben.
  2. Gieße sie regelmäßig und dünge sie von Zeit zu Zeit.
  3. Alles was angeflogen kommt und sich wohlfühlt hat Bleiberecht und darf wachsen.
  4. Einmal pro Woche ist Aktionstag. Ziehe hierfür dein T-Shirt aus, stelle dich breitbeinig mit erhobener Faust auf deinen Balkon und lasse dich von belustigten Passanten fotografieren. Sonntags darfst du das auch gerne noch mit einem 'Anarchie ist machbar, Herr Nachbar“-Transparent oder der gesungenen 'Internationale' ausschmücken.

Aber all der Spaß und die kurzen Röcke sind nichts gegen den wichtigsten Pluspunkt und das deutlichste Anzeichen, dass es Sommer ist in Berlin: Das ungefragte Feiern auf Privatpartys von Menschen, die man nicht kennt. Man läuft nachts durch die Straßen, man vernimmt gar lieblich laute Musik und Geräusche aus einer Wohnung und zack, schon hat man etwas viel besseres auf der Agenda als den blöden Club! Als ich vor über zehn Jahren nach Berlin zog, war diese sommerliche Sportart nicht nur weit verbreitet in der schönsten aller Städte, sie gehörte praktisch zum guten Ton. Wer wirklich etwas auf sich hielt kam nicht nur spät zu einer Party, sondern hatte auch keinen blassen Dunst, wer oder was hier eigentlich gefeiert wird und kannte natürlich auch keine alte Sau. Doch selbst in der guten, alten Zeit war ein solch 'besonderer' Partygast natürlich nie ganz vor den berühmten und gefährlichen vier Frage sicher, „wer bist du eigentlich?“, „wer hat dich eingeladen?“, „ist das unser Whisky in deiner Tasche?“ und „hat einer von euch ins Treppenhaus gekotzt?“.
Bei den letzten beiden Fragen hilft nach meiner Erfahrung wirklich nur ekelhaftes, dreistes Lügen, was man aber ja bekanntlich nach Alkoholkonsum und in Stresssituationen besonders gut kann. Für die ersten zwei hingegen empfehle ich schon seit Jahren immer auf unseren lieben Freund Philipp zu verweisen. Wir kennen ihn alle. Wir lieben ihn alle. Wir haben alle so viel mit ihm erlebt, dass man stundenlang über ihn reden könnte. Gerade war er ja auch noch hier, aber naja, wir wissen ja schließlich alle wie Philipp so ist. Gerade noch neben dir und schon wieder weg. So ist er eben. Unser Philipp!

Das schwierigste logistische Problem dabei endlich auf Sabines Geburtstagsfeier zu kommen, obwohl man Sabine gar nicht kennt (oder noch nicht), ist aber meist die richtige Klingel zu finden. Bei manchen Häusern helfen einem schon mal Beschriftungen auf dem Klingelkasten, wie 'Hinterhaus', 'Seitenflügel' und so weiter, oder ein betrunkener Partygast auf dem Balkon, der so aussieht, als würde er sich über neue Freunde freuen. Gelegentlich lässt sich auch von dem Stockwerk auf die Reihe der Klingeln schließen, oder man nimmt die Rambo-Methode und klingelt einfach mal einige Nachbarn aus den Betten – schlafen konnten die ja wahrscheinlich eh nicht. Aber mein persönlicher Tipp ist immer noch das gute, alte 'Tailgating'. Hierfür stellt man sich einfach an den Hauseingang seiner Wahl und wartet bis eine lustige Truppe neuer Partygäste ankommt, die natürlich wissen, wie Sabine mit vollem Namen heißt, um sich dann entweder direkt unter die Gruppe zu mischen, oder zumindest den Vorteil der nun offenen Haustür zu nutzen. Ein Bonus hierbei ist natürlich auch, dass man gleich mit einem ganzen Schwung neuer Gäste ankommt, automatisch zu der Gruppe gerechnet wird und sich damit eventuelle blöde Fragen an der Wohnungstür spart.



Es war eine der ersten richtig warmen Sommernächte und Wing2 hatte es sich mit mir in der Stammbar gemütlich gemacht. Viel mehr konnte man da an diesem Abend auch nicht machen, weil sich aus irgendeinem Grund alle paarungswilligen, attraktiven Weibchen der Stadt für eine andere Bar entschieden hatten um dort auf die Ankunft ihrer Traumprinzen zu warten und ihren Gurken-Gin zu schlürfen. Auch das Auftauchen von Wing3, besoffen und pleite wie es von ihm erwartet wird, hob die Stimmung in der Bar nicht wirklich und so beschlossen Wing2 und euer treuer Nichtheld einige Stufen zu überspringen, nicht über Los zu gehen und direkt in den Absturzclub einzufallen. Ein alleine schon deswegen ungewöhnlich bis denkwürdiger Move, weil Wing2 eigentlich den Absturzclub meidet und für die frühen Morgenstunden ein eigenes, kleines Clübchen vorzieht.

Angenehm laute Elektromusik gemischt mit Gläserklirren und Lachen drang von einem Balkon und diversen offenen Fenstern im dritten Stock eines Eckhauses auf die Straße. Wing2 schob gerade eines seiner fünf Fahrräder, die 'Handtaschen' der Berliner Single-Männer, neben mir her als wir beide instinktiv stehen blieben, nach oben blickten und nach der Quelle dieser lieblichen Symphonie Ausschau hielten. Wir orteten Zeitgleich den Balkon und sahen einige Schatten darauf herumstehen, rauchen und trinken. „Ey!.... Hey! Hallo!“ versuchten wir Kontakt zu Planet Party herzustellen. Vergebens. Entweder war die Musik zu laut oder man war zu cool um mit Menschen, die drei Altbaustockwerke unter einem in der Partyhierarchie standen zu kommunizieren. Also gut, dann anders. Wir versuchten am Klingelkasten unser Glück. Nix zu machen. Viele Klingeln und kein Hinweis darauf, welche die Party-Klingel war. Wir entschlossen uns zu warten, ob in absehbarer Zeit nicht vielleicht neue Gäste kommen würden. Während wir so warteten kam mein schwuler Club-Freund (der Mann mit dem kontraproduktiven Arschfick-Opener... siehe 'Ostern ohne Eier' 13. April 2013) an uns vorbei spaziert. Nachdem wir ihm unsere Mission erklärt hatten versuchte auch er sich an den Klingeln, versagte aber ebenso und erklärte uns dann er würde jetzt mal weiterziehen gen Absturzclub. Nach einer viertel Stunde brachen wir frustriert ab und gingen ebenfalls weiter.

„Puh, ey das sind irgendwie nicht so meine Frauen“ monierte Wing2 vor sich hin, als wir vor dem Absturzclub standen und ich mein halbvolles Wegbier in mich hinein stürzte. „Ne, Mann. Sind sie nicht. Waren sie auch noch nie. Das wussten wir doch vorher. Das ist der ABSTURZCLUB. Hier wird gefressen, was auf den Tisch kommt“ antwortete ich. Mit schlechter Laune entschied Wing2 dann aber doch kurz mit reinzuschauen. Es wurde drinnen nicht besser. Nach dem ersten Bier verkündete er seinen Rückzug. Wir verabschiedeten uns und ich gesellte mich zu meinem Gay-Freund und seinem neonroten Drink an die Bar. Grundsätzlich sind Schwule ja Frauenmagneten. Das Problem bei ihm, abgesehen von seinen deplatzierten Aufforderungen zum Analverkehr, ist eher, dass er, solange er nicht tanzt, überhaupt nicht schwul aussieht. Ich setzte also alle meine Hoffnung in den roten Drink in seiner Hand. Als nach 10 Minuten immer noch keine Frauen neben uns standen, überlegte ich schon ein buntes Schirmchen und ein bisschen Obst zu besorgen, um sein Glas etwas schwuler zu dekorieren. Doch plötzlich tauchten zwei hübsche, junge Mädels auf, stellten sich neben mich an die Bar und begrüßten meine homosexuelle Venus-Fliegenfalle sofort sehr herzlich. Geht doch. Scheiß auf Day-Game, ich mach Gay-Game!.... Und wer hat's wieder erfunden?

Schüchtern und dumm wie Brot, wie ich manchmal bin, bot ich meinem Bekannten nach 2 Minuten Geplapper quer über mich hinweg an, die Plätze zu tauschen. „Danke“ kommentierte er kurz. Mir wurde zu spät klar, dass ich jetzt endgültig aus dem Gespräch raus war. Die Drei tratschen neben mir und ich konzentrierte mich voll auf mein Bier. Zum Glück schlug eines der beiden Mädchen schließlich vor, in einen anderen Bereich des Clubs zu wechseln. Dort angekommen konnte ich aber auch nur ein paar flüchtige Worte mit den Mädels wechseln, weil schon nach zwei Minuten meine Hose vibrierte. Es war Wing3. Ich verstand ihn sehr schlecht, was zum einen daran lag, dass er auf einer Party war, zum anderen daran, dass ich in einem Club war und zum dritten daran, dass er wie gewohnt grenzwertig betrunken war. „Eyischbin aufssoner Privatparty!“ plärrte er aus meinem Handy „Sinpaar ssssschööne Mädels hier! Kommher!“. Guter Mann! Wirklich Verlass ist eben immer nur auf die betrunkensten unter uns! „Alles klar! Ich bin in 10 Minuten da! Kommst du runter und lässt uns rein?“ schlug ich vor. „Machissch!“

Die zwei Mädels stellten sich als langweilig heraus und wollten nicht mitkommen, obwohl selbst ihr schwuler Freund sofort Feuer und Flamme für die Idee war, auf die Privatparty um die Ecke zu gehen. Eigentlich ein guter Test. Scheiß auf Mädels, die den Witz bei so was nicht verstehen! 10 Minuten später standen wir also wieder vor der gleichen Haustür. Nach kurzem Warten ging das Licht im Treppenhaus an und ein schwankender Schatten kam von innen auf das Milchglasfenster in der Tür zu. „Eeeeyy!“ begrüßte uns Wing3 und fiel direkt zurück in den Hausflur. Er war so euphorisch, wie man nur in diesem wundervollen Zustand kurz vor dem endgültigen Versagen der Motorik sein kann. Wir folgten ihm die Treppen hoch bis in den dritten Stock und klingelten an der Wohnungstür. Es öffnete ein Mädchen, die uns kurz sehr kritisch ansah, dann aber einfach ging und den Weg frei machte. Zu meiner Enttäuschung lag die Party wohl schon in den letzten Zügen, zumindest war der Flur der Wohnung menschenleer. Kein gutes Zeichen. Ich ging instinktiv bis ans Ende des Flures durch, wo ich Licht aus einer offenen Tür sah. Auf meinem Weg bogen Wing3 und mein Bekannter links in ein großes dunkleres Zimmer ab, welches anscheinend das Wohnzimmer war und wo noch einige Menschen am tanzen waren. Am Ende des Flures wartete die Küche auf mich. Bingo! Mein Bier-Radar hatte mich ein weiteres Mal nicht im Stich gelassen.

Um einen kleinen Küchentisch saßen 4 Jungs und blickten zu mir rüber. „Hey, is noch Bier da?“ fragte ich, als wäre ich den ganzen Abend schon hier gewesen. Natürlich eine blödsinnige Illusion auf einer Party auf der, nach meinem bisherigen Eindruck, vielleicht noch 20 Leute waren. „Äh, im Kühlschrank gibt’s noch welche. Sind aber die letzten“ antwortete einer. „Cool, warum sagt mir das denn keiner? Dachte es wäre schon alle“ hielt ich tapfer an meinem Drehbuch fest. „Ähm.. Wer bist du denn?“ fragte mich der Typ, der mir das Bier aus dem Kühlschrank herüberreichte. „Elia. Ich bin ein Kumpel von Philipp. Der hatte mir gesagt, ich soll noch vorbeikommen, aber jetzt ist er selbst schon weg“ warf ich den Köder und wartete, ob sie ihn fressen würden. Hm... Unangenehme Stille. „Na, dann prost!“ verkündete ich und trat den Rückzug an.

Im dunklen Wohnzimmer fand ich meine zwei Jungs. Der eine quatschte mit zwei Mädels in der Ecke, drei mal dürft ihr raten, welcher von beiden. Und der Heterosexuelle lehnte alleine in einem Fensterrahmen und grinste mich durch die tanzenden Mädchen hindurch an. Die Musik war angenehmer bis bedeutungsloser Hipster-Elektro und die tanzenden Mädchen – die Jungs saßen ja in der Küche – passten dazu. Man war wohl eine zugezogene Mädchen-WG und befolgte penibel alle Berliner Mitte-Regeln. Man trug also bunte, luftige Kleidchen und dazu einen total niedlich-unordentlichen Dutt. Ich beschloss eine Runde zu tanzen. Das Mädchen neben mir fing an einen bunten Hula Hoop Reifen um ihre Hüften kreisen zu lassen, der dabei bedenklich nah an den niedlichen, kleinen Flohmarkt-Gegenständen auf der niedlichen, kleinen Flohmarkt-Kommode hinter ihr vorbei rauschte. Wing3 und ich beobachteten sie dabei einige Sekunden, dann sprach ich sie an. „Hey, das machst du gut! Trittst du damit auch auf?“ fragte ich über ihren Reifen hinweg. Sie antwortete mit irgendeiner uninteressierten Belanglosigkeit. Ich brabbelte auf dem gleichen Niveau zurück, fragte mich aber zeitgleich ob denn heute die 'Internationale Nacht der langweiligen Spießer' sei. Die Mädchen im Club und die Jungs in der Küche fielen ja schon in den Bereich Narkosemittel, aber desto genauer ich mir die tanzenden Studentinnen um mich betrachtete, desto fahler schmeckte mein Bier. Es waren die Art von Mädchen, die in High Heels zumindest optisch in das Beuteschema von Wing2 fallen würden, bei denen ich mich aber immer fragte, ob sie nicht furchtbar nach Seife schmecken würden und ob ich jemals genug Kaffee besitzen würde, um in einem Gespräch mit ihnen wach zu bleiben.

Meine böse innere Stimme sollte recht behalten. Nach 10 Minuten standen plötzlich drei von den gerade noch ausgelassen tanzenden Spießer-Mädchen vor Wing3, mit einer Körpersprache die eher an das Bayerische USK erinnerte und so gar nicht mehr zu ihren Kleidchen passte. Ich sah zu ihm rüber und musste mit Schrecken feststellen, dass sein rechter Arm gerade auf mich zeigte. Dann kam die ganze Truppe auch schon auf mich zu. Die Mädels bauten sich vor mir auf, wie Putins Schlägerbullen vor einem Schwulen mit Femen-T-Shirt. „Wir wollen, dass ihr jetzt geht“ verkündete die größte und stärkste von ihnen „euch kennt hier keiner“. Ich überlegte kurz nochmal meinen Kumpel Philipp ins Spiel zu bringen, war mir aber leider zu sicher, dass eine von ihnen die Gastgeberin war und sie mit den Jungs in der Küche sicher schon alle Philipps dieser Welt durchgegangen war. „Naja, ich würde eher sagen, wir kennen uns NOCH nicht! Ich heiße Elia, hallo“ versuchte ich es mit all meinem Charme und streckte der Anführerin der Amazonen freundlich meine Hand entgegen. „Nein, wir wollen wirklich, dass ihr jetzt geht. Ihr könnt das Bier mitnehmen“ erklärte sie mit ein wenig Pfefferspray in der Stimme. Es hörte sich eindeutig an, wie die letzte Aufforderung vor dem Wasserwerfer-Einsatz und so beschlossen Wing3 und ich – unseren schwulen Freund hatten sie anscheinend übersehen - uns langsam und unter freundlichsten Witzeleien in Richtung Tür zu bewegen.

Kurz vor der Wohnungstür stoppte uns ein kleiner, dicker BWL-Student mit dunkelblauem Pullunder über hellblauem Hemd und einer Art HJ-Frisur für Arme. „Ihr verschwindet jetzt mal besser“ kläffte uns die vom Alkohol wohl zu mutig gewordene Mozartkugel an und stemmte die kleinen, dicken CSU-Fäustchen an die Stelle wo normalerweise die Taille ist. „Ganz groß“ dachte ich mir „nachdem die Mädchen den Rauswurf gemanagt haben, muss Erling jetzt natürlich auf den letzten Metern noch den Alpha-Mann markieren“.
„Hör mal zu, Freund, wir waren gerade auf dem Weg nach draußen“ erklärte ich ihm ruhig „aber ich würde vorschlagen, du gehst jetzt mal wieder in die Küche, sonst wird das hier nix“. Wing3, der deutlich betrunkener war als ich, konnte sich nicht zurückhalten und musste noch nachtreten „Genau, verpiss dich jetzt mal!“. Mir wurde die Situation zu angespannt und ich beschloss, dass es das Beste sei, die Wohnung möglichst zügig und friedlich zu verlassen. Kaum waren wir draussen vor der Tür bellte unser Mini-Türsteher aber auch schon wieder durch den noch offenen Türspalt „Los jetzt raus hier!“. Wing3 war nicht mehr wirklich zu stoppen „Das geht auch freundlicher, Fetti! Komm mit raus, dann klären wir das!“. Zu meiner Überraschung kam unser Junge-Union-Wachhund tatsächlich aus seiner Hütte und begleitete Wing3 unter den, unter Männern in diesem Zustand üblichen, verbalen Muskelspielen die Treppen hinunter. Ich hatte keine große Lust, mich weiter an dem lyrischen Schwanzvergleich zu beteiligen und trottete hinterher. Allerdings nicht ohne in jedem Stockwerk auch wirklich jede Klingel auf ihre Funktion zu testen. Schließlich wollte ich nicht, dass sich unser Hobby-Bulle auf seinem Rückweg später einsam fühlt.

Im Flur vor der Haustür kam uns gerade eine Gruppe neuer Partygäste entgegen. Wing3 erklärte seinem neuen Lieblingsfeind lautstark, dass er ab jetzt keinen Schritt mehr weitergehen würde, worauf sich natürlich ein weiteres Wortgefecht entzündete. Ich unterhielt mich kurz mit den anderen Leuten, wünschte ihnen viel Spaß auf der Party und erklärte unserem Bodyguard, dass es jetzt wirklich reichte und er jetzt lieber zurück zu seinen Mädels gehen solle, was er dann auch zum Glück tat. Wing3 und ich tranken im Flur noch unser Bier und warteten, ob vielleicht unser dritter Genosse noch hinterher geschickt würde. Statt ihm kam aber die Gruppe neuer Gäste wieder herunter und erklärte uns, man hätte sich oben geweigert, ihnen die Tür zu öffnen. Wir konnten uns kaum halten vor Lachen. Offensichtlich war man, schockiert von der Begegnung mit fremden Menschen, im dritten Stock jetzt dazu übergegangen, alle Fenster und Türen zu vernageln. Willkommen in Berlin, Mädels!

Zur Verteidigung dieses Konzepts sollte man noch erwähnen, dass dies das erste Mal war, dass ich beim Besuch einer fremden Party überhaupt aufgefordert wurde zu gehen, geschweige denn, dass es derart unspaßig wurde. Die negativste Reaktion, die ich vorher bei solchen Aktionen erlebt hatte, war als letzten Sommer bei einer ähnlichen Geschichte nach 10 Minuten einer der Gastgeber uns aufforderte „also ihr könnt alle gerne hier feiern, aber könntet ihr bitte eure Schuhe ausziehen?“.

Bisher konnten wir nicht in Erfahrung bringen, was aus unserem fehlenden, dritten Mann geworden ist und ob er jemals aus dieser Wohnung wieder herauskam. Am einfachsten wäre das wohl gegangen, indem er sich als 'Philipp' vorgestellt hätte.

Und was lernen wir nun aus dieser Geschichte? Nichts natürlich. Und hatte wenigstens irgendjemand Sex in dieser Nacht? Sicherlich.

Nur eben keiner von uns. Aber lustig war's trotzdem.


Elia

5. Juli 2013

Männername mit vier Buchstaben

Zuallererst muss ich mich wohl entschuldigen. Ich hatte in den letzten Wochen extrem viel um die Ohren und bin daher einfach nicht mehr zum Schreiben gekommen. Es gab einige schwierige familiäre Probleme, die sehr viel meiner Zeit in Anspruch genommen hatten. Dazu kommen Jobs die, bedingt dadurch, liegen geblieben waren und die ich so die letzten Wochen mehr vor mir hergeschoben als abgearbeitet hatte. Natürlich haben sich trotzdem einige lustige Geschichten zugetragen und ich habe, um sie nicht zu vergessen, inzwischen diverse angefangene Texte auf meinem Desktop liegen, die ebenfalls darauf warten 'abgearbeitet' zu werden. Da Familie und Job aber natürlich vorgehen, wird das wohl auch in den nächsten Wochen nur tröpfchenweise möglich sein.

Nicht nur meine Familie hatte mich in den letzten Wochen in die alte Heimat beordert, dazu kam noch, dass ein guter Freund meinte in den Hafen der Ehe einlaufen zu müssen und ich, kaum vier Tage in Berlin, schon wieder mein geliebtes Bett gegen Mutters Couch eintauschen durfte. Was ich bei solchen Anlässen in den letzten Jahren besonders deutlich vor Augen geführt bekommen habe, ist meine, mit zunehmendem Alter und fortdauerndem Singledasein, sich immer deutlicher manifestierende soziale Unverträglichkeit bei längerem, erzwungenem Zusammensein mit anderen Menschen auf engem Raum. Ich bin es nunmal nach über zehn Jahren des Alleine-Wohnens und fünf Jahren Singledaseins einfach gewohnt, den extremen Luxus der Einsamkeit zu genießen, wann immer meiner buckligen, kleinen, misanthropischen Persönlichkeit danach ist. Und das spüre ich und mein Umfeld in solchen Situationen schon nach wenigen Tagen. Ich erwische mich dann regelmäßig dabei, wie ich Freunde und Familie grundlos anfauche, kurze gehässige Bemerkungen in völlig unangebrachten Momenten mache (und zwar deutlich mehr als wenn es mir gut geht) oder vor mich hin schweige, bis sich mein Gegenüber mindestens so unwohl fühlt wie ich. Kurz, ich werde zum Ekel. Und ich bemerke es auch noch selber, kann aber nichts daran ändern. Ich bin wohl einfach nicht, oder nicht mehr, in der Lage auf Dauer mit jemand anderem eine Wohnung zu teilen. Wahrscheinlich ist das auch der Grund, warum ich in meinem Leben noch nie in Betracht gezogen habe, mit einer Frau zusammen zu ziehen. Dies wiederum hat mit Sicherheit, wenn man bedenkt wie Frauen auf längere Zeiträume des 'Sich-nicht-Weiterentwickelns' ihrer Beziehung reagieren, auch schon zu mehreren Trennungen beigetragen. Ein weiterer hässlicher Nagel zum Sarg meiner Träume vom glücklichen, jungen Pärchen mit der Altbauwohnung und den IKEA-Kindern!

Der Grund warum ich gerade kurz Zeit habe überhaupt zu Schreiben ist, dass meine beste Freundin, die mich traditionell und berufsbedingt immer zur Fashion-Week besuchen kommt, heute nach Potsdam geflohen ist, um meinem Familien- Hochzeits- und Job-gestressten Ekel-Ego aus dem Weg zu gehen. Wer kann es ihr verdenken? Wäre es möglich, würde ich mich momentan auch meiden. Als sie mich Anfang der Woche vom Flughafen abholte ging es mir kurzzeitig ganz gut. Ich war froh, der provinzigen, scheubeklappten Heimat entkommen und wieder in Berlin zu sein. Wir spazierten in bester Laune zu meinem Lieblingsthailänder um zu Abend zu essen.

Wie der ganze Bezirk, hat sich auch mein kleiner Lieblingsthai (liegt's an mir, oder klingt das strange?) in den letzen zwei Jahren extrem verändert und aus dem unscheinbaren Geheimtipp ist eine weitere Kantine für Berlins hippe Armee der Startup-Arschlöcher geworden. In Ermangelung einer Uzi müssen wir uns also damit arrangieren, dass kein Tisch mehr frei ist. Da wir ja aber in Berlin sind und das verdammt nochmal mein Thai ist, fragen wir einen, draussen allein an einer Bierbank vor sich hin schluffenden Studenten, ob wir uns dazusetzen können. „Klar“ sagt er freundlich, tolerant, weltoffen und vom Bildungsbürgertum in seiner schwäbischen Heimat dazu erzogen, als er die kleinen Maschinengewehre in unseren Augen sieht. Während wir noch über der DIN-A4-Faltkarte grübeln, setzt sich seine Freundin zu ihm. „Ey wie krass du hast jetzt echt die BZ mitgebracht, oder wie?“ sagt er grinsend. Ich hatte von den beiden auch eher eine taz erwartet, aber sie erklärt sofort, dass es in dem Kiosk gegenüber nix anderes gab. Puh. Das war knapp. Wie hätte er das nur ihren Lehrer-Schwiegereltern im Schwarzwald erklären sollen?

Während meine Freundin weiter die Karte studiert, kann ich es nicht lassen, unseren neuen Nachbarn beim Abendessen zuzusehen. Sie passt auf eine komische Art perfekt zu ihm. Er hat dunkle Haare und dunkle Augen, verzichtet aber auf eine Frisur und trägt stattdessen lieber alles eine Nummer zu groß. Sie ist blond, blass und auf eine komisch schlabbrige Art dünn. Sie sind beide nicht wirklich schlechtaussehend, weigern sich aber offensichtlich aus politischen Gründen etwas aus sich zu machen. Sie wirken beide gleich alt, gleich gestylt und gleich langweilig. Sie passen nicht wie ein Paar zusammen, das guten Sex hat, sondern eher wie Brüderchen und Schwesterchen. Warum verlaufen sich solche Leute nicht einfach mal im Wald? Warum haben solche Leute Beziehungen? Ganz einfach: Weil sie keine Ekel sind wie ich, sondern beim Essen nur lauter nette Gedanken haben, weil sie andere Leute nicht unangenehm lange beobachten und weil sie sicher schon lange zusammenwohnen. In einer schönen Altbauwohnung. Gleich auf der anderen Straßenseite. So jetzt aber erstmal was gegen den Hass machen. Der kommt vom Hunger. Ich gehe rein um zu bestellen.

Als ich wieder rauskomme sind die zwei schon am essen und haben die BZ neben sich aufgeschlagen. „Männername mit vier Buchstaben“ sagt sie. Zuerst denke ich es liegt daran, dass man ja unmöglich öffentlich eine BZ lesen kann, aber schon nach wenigen Minuten ist nicht mehr zu übersehen, dass die zwei wohl ziemlich regelmäßig Kreuzworträtsel zusammen machen. Und sie scheinen eine genau dosierte und angemessene Menge Spaß dabei zu haben. Ich frage mich, was das für Pärchen sind, die Abends Kreuzworträtsel zusammen machen. Ich hatte mal eine Freundin, die Abends immer Kniffel mit mir spielen wollte. Sie war Lehrerin, hatte einen Hund und wohnte in einer Art Reihenhaussiedlung in einem eher spießigen Stadtrandbezirk. Ich hatte zwei mal versucht mit ihr nach dem Gassigehen in der Küche Kniffel zu spielen, aber es machte mir keinen Spaß. Wir waren zwei Jahre zusammen und stritten uns in dieser Zeit kein einziges Mal. Dann machte ich mit ihr Schluss. Ich war ehrlich zu ihr. Ich sagte ihr, dass ich mich von ihr trennen müsse, weil wir uns nie streiten würden. Weil sie nie ausflippt, weil sie nie etwas kaputt macht, nie irrational wird oder Scheiße baut. Weil wir uns perfekt verstehen. Aber perfekt verstehen kann ich mich auch mit mir allein. Streiten kann ich mich nicht mit mir allein. Ich brauche Reibung. Ich bin selbst kontrolliert und, so weit ich das beurteilen kann, logisch. Was ich brauche ist jemand, der anders ist, oder sein kann. Irrational und chaotisch. Mich gelegentlich rausholt aus meiner Küche und nicht dort Kniffel mit mir spielen will. Oder wenigstens dort mit ein paar Tellern wirft, von mir aus auch nach mir. Ich stelle gerade mal wieder fest, dass meine Therapeutin eine Pfeife war.

Offensichtlich bin ich auch in dieser Hinsicht gestört, denn die zwei neben uns schienen ja ihr Glück gefunden zu haben. In sich und in Kreuzworträtseln. Es gibt diese Paare. Es gibt sie sogar zuhauf. Sie besiedeln in Berlin ganze Bezirke und bekommen dort, wenn sie nicht gerade Kreuzworträtsel lösen, ihre langweiligen Kinder. „Anderes Wort für Sprudelwasser mit vier Buchstaben“ sagt sie. Ich frage mich, wie solche Pärchen streiten? Oder streiten sie überhaupt? Wahrscheinlich nicht. Wahrscheinlich diskutieren sie es lieber in Ruhe aus, statt sich zu streiten. Das sind diese Art von Pärchen, die nach ihrer Trennung auch immer sofort beste Freunde sind. Total harmonisch und ohne Hassgefühle. Keiner bumst einen anderen und wenn dann ist es ganz offen und auch voll ok. Ich fand diese Trennungen und Menschen, die dazu in der Lage sind, schon immer pervers. Wie kann man sich denn bitte harmonisch trennen? Desto länger ich den beiden zusehen, desto unmöglicher erscheint es mir, dass sie sich überhaupt trennen. Ich versuche mir mit aller Kraft vorzustellen, wie so eine Trennung aussehen könnte. Aber alles was ich sehe sind die beiden, wie sie sich gegenübersitzen. Jetzt in einer noch größeren und noch schöneren Wohnung. Viele, viele ruhige, glückliche Jahre später und beide sind schon sehr alt. „Männername mit vier Buchstaben“ sagt sie in meiner Vorstellung.

„Hallo....?“