28. Januar 2014

How to fuck up a booty call in 10 easy steps

Berlin, Sonntag Abend halb elf. Leichter Schneefall bei minus 13 Grad Celsius. Die Frisur hält. Aber vor die Tür will trotzdem keiner...



Ich saß im Bett vor meinem neu erworbenen Fernseher und lies mich mit Schwachsinn berieseln. Ja, ich hatte mir letzte Woche so einen Zeitfresser zugelegt, ich geb's zu! Was will man machen, der Winter ist für Singles nunmal NICHT die kuschligste Zeit des Jahres, sondern eher die langweiligste. Und als stolzer Bewohner einer Kohleofen-Wohnung, kann ich euch verraten, dass man froh ist, wenn die Bude und das Bett halbwegs warm sind, und man sich nicht mehr in die Kälte und auf den Weg zur Videothek begeben muss. Während also vor mir ein verzweifelter D-Promi mit Schlamm und Insekten traktiert wurde, machte auf dem IKEA-Tisch neben mir mein Handy durch rhythmisches Vibrieren auf sich aufmerksam. Eine SMS. Es war J, die einzige Affäre, die ich in der Zeit seit meiner letzten Beziehung gehabt hatte, und damit auch die einzige Frau mit der ich in den letzten Jahren Sex hatte. Meine letzte Information zu ihr war, dass sie sich in einer On-Off-Trennung von und mit ihrem lebensunfähigen Boyfriend befand.

22:44
J: Was treibste?

Ich begutachtete kurz meine aktuelle Situation. Ich saß unrasiert, ungewaschen und stark verkatert in meinem ältesten Pyjama im Bett. Vor mir eine Bande RTL-Clowns mit Tieren im Gesicht und neben mir die sterblichen Überreste eines gequälten Industriehuhns in einer Styropor-Box. Ich überlegte, ob sich mein Zustand und meine Tätigkeit vielleicht wenigstens lyrisch ein wenig aufpimpen ließen. Da ich mich aber zu ehrlich und viel zu wenig kreativ fühlte, beschloss ich, die Informationen einfach auf ein Minimum zu beschränken, um einen halbwegs zivilisierten Eindruck zu erwecken.

22:45
Elia: Vor der Glotze hängen... Sonntags-Mood. Du so?

Einen Eimer Mehlwürmer und zwei Eimer Kakerlaken später, vibrierte mein Handy erneut.

22:47
J: Weinchen aufgemacht. Ebenfalls Sonntags-Stimmung, da ich die letzten Tage nur arbeiten war. Viel gelesen. Nun Lust auf nen Film mit Gesellschaft :)

Die Verwendung von Smileys in Textnachrichten, irritiert mich bei Frauen, mit denen ich bereits Sex hatte, immer ein wenig. Diese Doppelpunkte, Strichpunkte und geschlossenen Klammern erhalten in meinem Kopf dann häufig einen komisch sexuellen Unterton, bei dem ich mir meist nicht sicher bin, ob ich ihn mir nur einbilde, oder ob er gewollt ist. Ich war noch am Überlegen, wie ich darauf antworten solle, als schon die nächste Nachricht von ihr kam.

22:48
J: Warum wohnen wir so weit voneinander entfernt? :( Berlin mein Kind du bist zu groß

Da ich noch an der geschlossenen Klammer tüftelte, brachte mich ihre offene Klammer auch nicht viel weiter. Es klang zumindest so, als wäre ich nicht das einzige Lonely Heart an diesem arktischen Sonntag Abend. Ich berechnete kurz, wie lange die U-Bahn-Fahrt von ihr zu mir dauern würde, und ob ich in der Lage wäre, mein Schlafzimmer und meinen Köper in dieser Zeit in einen anregenderen Aggregatzustand zu versetzen.

22:50
Elia: Hm... Magste rumkommen, DVD schauen? :)

Bäm! So. Da gab's jetzt mal ne offene Klammer zurück. Von wegen der sexuellen Spannung und so... Beim nächsten mal würde mein Smiley dann sicher auch noch schelmisch zwinkern. Ja, ja... Was sie kann, kann ich schon lange... Inzwischen stand ich in meinem Zimmer. Es könnte also sein, dass es an diesem Wochenende unerwartet doch noch Sex gibt! Und zwar als Nachtisch, nach diesem seifigen halben Hähnchen. „Zähneputzen“ setzte ich schon mal auf die innere Checkliste, als mein Handy sich wieder meldete.

22:53
J: Super gerne!! Aber so kalt und so weit weg... Brrrr! Was für ne Station war es nochmal? Und du zu mir :) ???

Was wird denn das jetzt? Eine offene Klammer und drei Fragezeichen? Ich schob die Vorhänge zur Seite. Es schneite und der Wind pfiff draußen deutlich hörbar. Schon beim Gedanken wurde mir kalt. Dreckswetter! Aber Wein und Js warmes Bett klangen natürlich zugegebenermaßen nicht schlecht. Trotzdem fand ich den sich anbahnenden kleinen Machtkampf zu durchschaubar. Ich hatte ja schon ein Angebot gemacht, und schließlich bin ich ja auch kein Pizzaservice, den man Sonntag Abend mal schnell bestellt. Außerdem war ich die letzten drei Male, als ihr Beziehungsschalter mal wieder auf OFF ging, schon zu ihr gefahren. Ich mischte mir also aus Mehl, Dschungel-Schlamm, Faulheit und Stolz eine leckere Entscheidung zusammen, goss diese in eine Backform, setzte zur Dekoration eine offene Klammer oben darauf, und anschließend alles auf eine Karte.

22:56
Elia: (XXX)straße. Du bist dran! :) kommste?

Ich grübelte trotzdem weiter und war hin- und hergerissen. Hätte ich vielleicht doch einfach hinfahren sollen? Puh... Aber das ist auch ganz schon viel Action für ein bisschen Sex... Und ausserdem ist es hier so gemütlich...Und dann müsste ich ja auch sowieso erst noch duschen... Undundund... Sie ließ sich ebenfalls einige Minuten Bedenk- und Backzeit. Auch ihr Kuchen war zum größten Teil aus Faulheit und Mehl.

23:04
J: Ja da geb ich dir recht ;) aber habe es mir schon zu gemütlich gemacht und 2 Gläser Wein intus... Das müssen wir wohl vertagen. Schade. Ein Beamer wäre äußerst praktisch :)

Ich war inzwischen schon wieder in mein Bett zurückgekehrt. Eigentlich kannte ich diese Art von Ereignis ja auch bereits. Zwei Menschen, die durchaus einiges an Sympathie und die gleiche Veranlagung zur Faulheit teilen, pieksen sich nach einem eher tristen Wochenende kurz an, um zu testen, ob es ohne allzu großen Aufwand möglich wäre, ein wenig körperliche Zuneigung zu schnorren. Schließlich einigen sich beide darauf, dass zwar ausreichend Sympathie vorhanden wäre, aber die altbekannte Faulheit, die Natur und die Berliner Verkehrsbetriebe mal wieder im Weg stehen, und vertagen es auf den nächsten Versuch. Dann vielleicht im Frühling, wenn es draussen wärmer ist...

Ich antwortete nicht mehr. Nicht, weil ich beleidigt oder sauer gewesen wäre, sondern weil mein Prepaid-Guthaben auf unter 20 Cent gerutscht war und ich das Gefühl hatte, wir seien uns sowieso einig geworden. Sie meldete sich eine Minute später nochmal.

23:05
J: Würde mich freuen, dich bald mal wiederzusehen.

Vielleicht hatte sie auch ein schlechtes Gewissen. Musste sie aber gar nicht. Ich konnte sie gut verstehen. Es war ja auch scheißkalt. Und so ein Bekannter im Bett hilft vielleicht gegen die Kälte, aber eben nicht gegen die Einsamkeit. „Gute Nacht“ dachte ich mir, legte das Handy weg, machte den Fernseher aus und ging Zähneputzen.

Als ich mich nur eine halbe Stunde später vor einer Pornoseite im Internet wiederfand, musste ich dann allerdings doch mal kurz lachen.

Ich könnte jetzt natürlich noch etwas total schlaues, erkenntnisreiches über moderne Menschen, Singledasein in der Großstadt , Anonymität und unsere Gesellschaft schreiben, damit die Geschichte wenigstens am Ende so klingt, als würde man irgendwas daraus lernen können. Mach ich aber nicht. Ich bin doch nicht Carrie Bradshaw.


Also Gute Nacht ihr Wichser.


Elia


11. Januar 2014

Vom Abstoßen der Hörner

...den zwei Knubbeln, die danach übrigbleiben, der Fähigkeit zu lieben und davon, dass Hörner
nachwachsen



Etwas ausgelaugt von einer anstrengenden, aber erfolgreichen, Arbeitswoche chattete ich gestern Abend ein wenig mit meiner lieben Blogger-Kollegin Esperame über das Leben, die Arbeit und unter anderem eben auch (surprise!) über Pick Up. Und während ich mir mal wieder selbst ein Schaf zeichnete, malte Espe mir - mit Worten natürlich, anders geht das ja in einem Chat nicht – ein so schönes Bild zu diesem Thema, dass ich es euch einfach nicht vorenthalten kann, und sie hier einmal zitieren will:


Ich habe gestern einem Freund erklärt, dass Pick Up wie Reha ist.
Deswegen brauchen manche nur ein paar sportgymnastische Übungen und dann gehen sie hinaus in die Welt und sind gute Sportler.
Und andere, die bleiben in der Reha, ein Leben lang, und machen da Wettkämpfe mit anderen Patienten…
Und sie sind da vielleicht die großen Champions...

Aber es bleibt doch Behindertensport.

- Esperame Robinson


Als ich mit meinem Schaf fertig war und den Wachsmalstift weggelegt hatte, dachte ich nochmal über Esperames Bild nach. Ich fand es nicht nur saukomisch, sondern eigentlich auch, in ganz verschiedenen Bedeutungen, eine ziemlich spannende Betrachtung des Ganzen. Wenn Pick Up wie Reha ist, ist Dating dann der 'wahre' Sport? Oder ist es das Führen einer Beziehung? Das Sich-wirklich-Einlassen auf einen anderen Menschen? Ist das andere tatsächlich nur eine Vorbereitung, eine Vorstufe, bestenfalls eine Trockenübung für den richtigen Wettkampf? Ist es für manche sogar wirklich nur ein isolierter, von der Realität abgetrennter Versuchsaufbau, in dem sie sich so weit in die 'Gefahrenzone' zwischen Mann und Frau hineinwagen können, wie ihre Behinderung es eben zulässt? Eine Imitation dessen, was zwischen Menschen passieren könnte, wenn sie Gefühle füreinander hätten - aber abzüglich all der Gefahren, die diese Gefühle eben mit sich bringen würden. Abgesichert, weil es einem ja eben eigentlich doch scheißegal ist, wer das Gegenüber wirklich ist. Und sollten Gefühle auftreten, drückt man den roten Schwesternknopf und schreit laut 'NEXT'. Oder ist es die Krankengymnastik, das langsame Wiederholen der immer gleichen Übung, bis man sich sicher genug fühlt, um sich auf das wirkliche Rennen, die Beziehung mit einem anderen Menschen, einzulassen? An diesem Punkt der Überlegung schlief ich ein. Das Schaf auch.



Ich wünsche dir auch einen guten Morgen“, antwortete die Rose.


Seit ich heute morgen aufgewacht bin, lässt mich der Gedanke an die 'Dating-Reha' nicht mehr los. Ich musste an zwei andere Aussagen denken, die ich in vor einiger Zeit mal gelesen hatte. Beide beschreiben das gleiche Bild nur aus unterschiedlichen Perspektiven. Sie stammen von einem Mann und einer Frau, wobei das für die Aussagen egal ist und die Personen, bzw. die Geschlechter der Personen, austauschbar sind. Sie waren inhaltlich ungefähr folgende:

Ich will mich erst mal ausleben und später, wenn ich das getan habe, fange ich dann eine feste Beziehung an“

Ich will einen Partner, der sich ausgetobt hat und danach wirklich weiß, was er will. Anstatt einen, der mir später dann irgendwann fremdgeht“

Beide Aussagen begegnen einem in ähnlichen Formulierungen, wie ich finde, relativ häufig. Die Vorstellung dahinter ist klar. Im einen Fall beschreibt jemand, dass er sich erst mit vielen wechselnden Partnern sexuell ausleben möchte, um sich dann, wenn seine Neugier gestillt ist, auf eine feste Beziehung einzulassen. Die andere Aussage beschreibt das gleiche Bild nur eben aus einer anderen Perspektive. Hier wird ein Partner gesucht, der sich sexuell bereits ausgetobt hat und dadurch, so die Annahme, nun weniger 'anfällig' für Seitensprünge und Abenteuer, und bereit für eine treue, feste Beziehung ist. Auf den ersten Blick klingen diese Ansätze schlüssig. Doch desto mehr ich im Einzelnen darüber nachdenke, desto unlogischer erscheinen sie mir.

Die erste Aussage beschreibt jemanden, der Spaß daran hat, Sex mit verschiedenen Menschen zu haben; ohne Beziehung, und vor allem auch ohne jegliche emotionale Bindung. Und so wie ich es verstehe, macht der zweite Teil der Aussage auch nur dann Sinn, wenn man Emotionen zwischen Menschen sowohl beim Sex, als eben auch beim finden eines festen Partners, komplett außer Acht lässt. Denn diese zweite Hälfte der Aussage suggeriert, dass das Eingehen einer festen Beziehung einzig und allein eine rationale Entscheidung dieser Person ist. Dass man eine Beziehung aus Liebe eingeht, sich binden möchte, weil man sich verliebt hat, wird hier komplett ausgeblendet. Dann würde diese 'Planung' nämlich auch schon gar nicht mehr funktionieren, weil genau das - das Verlieben – eben jenseits, und oft entgegen, jeder rationaler Entscheidung passiert. Der Liebe ist es scheißegal, ob du dich 'bereit' fühlst, oder ob sie gerade in deine Lebensplanung passt. Und es ist ihr genauso scheißegal, ob du dich jetzt entschlossen hast, eine feste Beziehung zu wollen. Ob und wann dir der Mensch begegnet, mit dem du deine 'Plan-Beziehung' führen willst, und ob ihr euch verliebt, lässt sich eben weder im Voraus planen, noch ab einem bestimmten Zeitpunkt entscheiden.

Natürlich lässt sich die Ratio soweit überzüchten, dass du dir selbst, in dem Moment in dem du Gefühle für jemanden entwickelst, oder dir eine Beziehung wünschst, einfach verbietest dies zuzulassen; du gehst auf Abstand und entziehst dich der Situation. Nur: Wie ehrlich ist dieses Verhalten dir selbst gegenüber? Wie ehrlich ist es deinen Emotionen gegenüber?

Bekanntlich gibt es auch Menschen, und zwar nicht wenige wenn man mal darauf achtet, die sich einfach nur eine feste Beziehung wünschen - oder besser eine Beziehung brauchen - und so eigentlich mit jedem Menschen, den sie kennenlernen eine Beziehung eingehen können, und oft auch tun. Bei solchen Menschen geht es um die Beziehung als Konstrukt oder Lebenssituation und nicht um den Partner, die Emotionen oder die besondere zwischenmenschliche Verbindung zu ihm. Der Partner ist für solche Personen oft erschreckend leicht austauschbar; Hauptsache man hat eine Beziehung und ist nicht 'allein'. Wenn man genauer hinsieht, sind gerade solche Menschen, mit oder ohne Beziehung, in sich selbst aber oft extrem allein.

Und genau hierin ähneln sich nun die beiden Systeme wieder extrem. Der eine Mensch, der sich selbst Emotionen (oder zumindest so starke Emotionen, dass er den Wunsch verspürt, sich zu binden) verbietet, und der andere, der fast unabhängig von seinen wahren Emotionen oder dem Partner, ständig auf eine feste Bindung drängt, weil er abhängig davon ist, in einer Partnerschaft zu leben. Beide fürchten in einen Zustand zu geraten, in dem sie scheinbar die Kontrolle über ihr Fühlen verlieren. Beide haben Angst vor Verletzungen. Der eine hat Angst alleine zu sein, auf sich selbst zurückgeworfen zu werden, gezwungen zu sein, sich mit sich selbst auseinanderzusetzen. Der andere hat Angst, Kontrolle über sich und seinen Emotionen zu verlieren, verletzlich zu werden, in Teilen abhängig von den Entscheidungen und dem Handeln einer anderen Person. Beide bilden sich ein, sich frei zu fühlen. Aber beide sind unfrei in ihrer eigentlichen Abhängigkeit, ihrer Unfähigkeit, ihren Zustand gegen einen anderen aufzugeben - den Schmerz nicht riskieren, oder nicht zulassen zu können.

Der zweite Satz hingegen beschreibt den Gedanken, einen Partner zu finden, der sich sexuell bereits 'ausgelebt' hat und die damit verbundene Hoffnung, dieser würde dann weniger den Wunsch verspüren, fremdzugehen oder in der Beziehung zu betrügen. Hält dies der Realität und unseren Erfahrungen stand? Ich finde nicht. Nach meiner Erfahrung, gehen Menschen in den meisten Fällen nicht deswegen fremd, weil sie VOR der Beziehung zu wenig Partner oder Sex hatten. Sie gehen fremd, weil WÄHREND ihrer Beziehung etwas nicht stimmt, sie sich unbefriedigt fühlen, oder sich etwas zum negativen verändert hat. Es ist oft eher ein Hilferuf oder Warnsignal, dass in der Beziehung aktuell etwas nicht in Ordnung ist.

Ein anderer Grund kann sein, dass jemand sowieso das Bedürfnis oder die Veranlagung hat, mit vielen wechselnden Partners Sex zu haben. Meines Erachtens sollten solche Personen dies von Beginn der Beziehung an aber offen kommunizieren und gar nicht erst eine monogame Beziehung eingehen. Mag vielleicht sein, dass das eine Zeit lang gut geht, weil derjenige oder diejenige sich vor der Beziehung die entsprechenden 'Hörner abgestoßen' hat, aber diese Art von Horn, soviel ist klar, wird schnell nachwachsen und dann eben doch zu genau dem Konflikt führen, der hier eigentlich vermieden werden sollte.

Die Angst, in einer Beziehung verletzt zu werden, ist normal und wird mit schlechten Erfahrungen im Laufe des Lebens oft nicht kleiner. Belogen zu werden ist, gerade in einer Beziehung, wo es ja um Vertrauen geht und man sich öffnet, besonders schmerzhaft. Aber lässt sich dieses Risiko tatsächlich dadurch mindern, dass man einen Partner findet, der vor der Beziehung ein besonders ausschweifendes Sexualleben hatte? Ich persönlich wurde, wie viele andere auch, in einigen Beziehungen belogen und habe dafür oft die Schuld in mir oder der Beziehung gesucht. Antworten fand ich aber in den meisten Fällen vor allem bei einem Blick in die Vergangenheit dieser Partnerinnen und, wenn der Kontakt noch bestand, später auch bei Gesprächen über ihre Beziehungen nach mir. Meiner Erfahrung nach, gibt es einfach Menschen, die in Situationen, die für sie unangenehm sind, zu einer Lüge greifen. Diese Menschen haben das meist in früher Kindheit gelernt und nie geschafft es abzulegen. Sie haben vor allem ihre Eltern, oft ihre Freunde und später eben ihre Partner immer dann belogen, wenn es für sie sonst zu einem größeren Konflikt gekommen wäre. Ich habe diese Erfahrung allerdings sowohl mit Frauen gemacht, die vor mir viele wechselnde Partner hatten, als auch mit Frauen, die lange Beziehungen bevorzugten. Meiner Meinung nach hat dies überhaupt nichts damit zu tun, ob und in welchen Situationen ein Mensch lügt oder fremdgeht.



Adieu,“ sagte der Fuchs.


Sicher ist ja mal vor allem, dass immer alles anders kommt und so weiter. Daher kann es dem wilden Aufreißer nämlich irgendwann, bei einem beliebigen One-Night-Stand, doch passieren, dass er sich plötzlich und ungewollt richtig heftig verknallt. Vorausgesetzt, er schafft es seine Angst vor Verletzung soweit zu drosseln, dass sein Herz nach dem Club noch mit ins Taxi steigt und nicht an der Bar sitzen bleibt. Zu wünschen wäre es einigen auf jeden Fall. Und genauso kann ein anderer, der sich nach der großen Liebe sehnt, plötzlich den Spaß am unverbindlichen, fiesen, kleinen Fick entdecken. Erzwingen lässt sich beides nicht. Offen sollte man aber zumindest für alles sein.

Ich bin ja zu Beginn dieses Blogs eigentlich genau dazu losgezogen. Um eine wilde Zeit zu starten und reichlich bedeutungslosen Sex zu haben; eben um mir die besagten Hörner abzustoßen. Nicht, dass ich nie kurze Affären gehabt hätte, aber gegen die festen Beziehungen in meinem Leben, waren sie eben immer die Ausnahme. Ich dachte ich müsste das machen. Klang ja auch logisch. Aus irgendeinem Grund ist aus dem 'Abstoßen' aber nichts geworden. Vielleicht habe ich ja auch gar keine Hörner... Das würde zumindest die Kopfschmerzen erklären, mit denen ich am nächsten Morgen immer aufwache, anstatt mit der heißen Frau, die sich nur schnell verabschieden will. Vielleicht bin ich da einfach behindert. Oder vielleicht hat diese Hörner auch nicht jeder. Ich weiß es nicht. Eigentlich ist es auch egal. Denn das Abstoßen würde, so wie ich es sehe, ja auch weder mir noch jemand anderem etwas bringen. Letztendlich ist nur wichtig, dass man sich keiner Option verschließt, raus geht und offen bleibt für alles was so passieren kann. Und wenn man bisher überhaupt etwas aus meinem Blog lernen konnte, dann das:
Wenn du gerade so ganz und gar nicht danach suchst und nichts erwartest... dann, genau dann, passiert nämlich..... auch nichts.

Ja... So schaut's mal aus. Ganz schön viel Philosophie für einen Samstag Nachmittag. So, ich male jetzt jedenfalls noch ein Schaf und dann geht es heute Nacht mal wieder auf die Piste. Ich bin schon sehr gespannt, welche Überraschungen die Nacht, das Leben und die Berliner-Pilsner-Brauerei für mich bereithalten.


In diesem Sinne: Packen wir die Sache bei den Hörnern!



Elia.


1. Januar 2014

Die stille Seite des Mondes

Es ist der erste Januar 2014 und Michael Schumacher liegt im Koma. Das ist mir allerdings scheißegal. Genauso scheißegal ist es mir, dass ein fetter Kerl beschlossen hat, den Brustkrebs seiner Frau als Werbegag an die Telekom zu verticken. Alles Arschgeigen da draussen. Gott bin ich froh, dass ich keinen Fernseher hab. So muss ich wenigstens nur dafür bezahlen, dass der Kot produziert wird, aber fühle mich nicht auch noch verpflichtet, hinzusehen wenn man ihn uns vorführt. Ich klicke diese komische Fernseh-Website wieder zu. Es ist 12:30Uhr und ich bin wach. Ich war um 7:00Uhr im Bett und habe somit halbwegs ausgeschlafen. Ich habe keinerlei Kater, was wohl daran liegt, dass ich mir gestern Nacht durchgehend frustrierend nüchtern vorkam. Nüchternheit kann in manchen Momenten im Leben eines Mannes eine wirklich herbe Enttäuschung darstellen. Ich stehe auf und mache mir einen Kaffee. Ich kann mich an jede Sekunde der gestrigen Nacht erinnern. Kein Kater. Kein Blackout. Kein Exzess. Das ist neu. Das ist neu. Hurra, Hurra die Schule brennt.

Vincent kam gestern um 21:00 zu mir. Ich habe beschlossen ihn ab jetzt Vincent und nicht mehr 'Wing2' zu nennen. Ich habe überhaupt beschlossen, mit diesem beknackten Pick-Up-Sprech aufzuhören. Das ist ja scheiß-peinlich. Wie Kleinkinder, die über ihre Action-Figuren reden und kein Schwein versteht ein Wort, weil niemand alle Folgen ihrer Epileptiker-Sendung im Fernsehen dazu kennt. 'Wing2'....als hätten wir uns auch nur ein einziges mal 'gewingt'... Ich hab ihm mal nen Approach...ä …oh – dafür gibt’s kein gutes Wort - ...ach scheiß drauf, ich hab ihm mal nen Approach versaut. Das war's aber auch schon zum Thema 'Wing'. Jedenfalls kam Vincent um 21:00Uhr zu mir. Ich hatte gekocht und Kerzen angemacht und er hatte Raketen gekauft. Alles könnte so einfach sein, wenn man nur schwul wäre. Nach dem Essen gab's lecker Alkohol. Wodka. Immer abwechselnd mit Espresso. Man ist halt keine 20 mehr, und nach dem guten Essen will man eigentlich ja in seinem Sessel einschlafen. Aber nix da!

Ich hatte am Samstag schon ohne Erfolg versucht meine beginnende Erkältung mit kalter Luft, lautem Punkrock, Zigarettenrauch und viel Alkohol los zu werden. Hatte nicht funktioniert. Ich werde die Versuchsreihe dazu trotzdem nicht aufgeben. Ich bin von der heilenden Wirkung dieser Kombination immer noch fest überzeugt. Jedenfalls saß ich Vincent, mit roten Augen und roter Nase, gegenüber und schniefte in meinen Schnaps, während er mir seinen üblichen Neujahrs-Blues vortrug: Das Leben ist kurz und ungerecht. Die Frauen sind hässlich oder doof. Und der Gin schmeckt nicht, mit dem billigen Bitter-Lemon von LIDL. Ich hörte es mir an, wie man das von einem guten Freund erwartet, und sorgte gleichzeitig für permanenten Nachschub an Espresso und Wodka.

Um Mitternacht standen dann zwei Löwe-Singlemänner, einer Mitte Dreißig, einer Mitte Vierzig, auf einem kleinen Balkon in Berlin und schossen abwechselnd 'Horoskop-Raketen' auf LIDL um sich für den beschissenen Gin zu rächen. Als wir damit fertig waren, schoss sich Vincent bei der Gelegenheit auch gleich noch endgültig selbst mit einem großen Glas Wodka/Sekt ins Off. Prost. Danach stand er kichernd und besoffen vor meinem mp3-Player und spielte alte Depeche-Mode-Songs, während ich versuchte, diverse Privat-Party-Optionen abzutelefonieren, um herauszufinden, welche die beste sei. Wir entschieden uns für eine Party in einem kleinen Club in Neukölln.

Um 2:30Uhr verließen wir meine Wohnung und standen erstmal direkt auf einem Mini-Rave im Treppenhaus. Die Silvester-Party der Mädchen-WG neben mir schien sich wohl mit der Party der Jungs-WG unter mir im Treppenhaus zusammen geschlossen zu haben. Die drei Stockwerke bis nach unten waren jedenfalls ein Slalom, vorbei an betrunkenen Menschen, leeren Flaschen und Erbrochenem. Ich musste Vincent nach jeder Treppe daran erinnern, weiter zu gehen, weil er in seinem Zustand jeden, der ihm begegnete, anquatschte. Und genau dieses Programm zog er auch den kompletten Weg, inklusive U-Bahn-Fahrt, bis zur Party in Neukölln durch. Ich musste ihn von einigen Mädchen-Gruppen fast wegzerren. Jeder Pick-Up-Coach wäre stolz auf ihn gewesen. Alkohol ist eben der eigentliche Zaubertrank der sozialen Interaktion. Scheiß auf Inner-Game!

Als wir auf der Party ankamen war mir immer noch schlecht von der U-Bahn-Fahrt. Vielleicht war es auch meine Erkältung. Oder die zwei Liter Espresso-Wodka-Mischung in meinem Magen. Es war eine Gruppe alter Schulfreunde von mir dort, einige aus Amsterdam und Istanbul angereist, manche hatte ich weit über ein Jahr nicht gesehen. Ich lies mich einmal rumreichen und von jedem drücken und landete schließlich an der Bar. Ich bestellte Bier, um meinen Magen zu beruhigen. Eigentlich hätte ich doch Arzt werden sollen. Der Club war gerammelt voll und die, wohl hauptsächlich zugezogene, Studentenschaft heftig am feiern und tanzen. Es lief Old-School-HipHop. Ganz was verrücktes.

Vincent bestückte sich mit einem großen Wodka mit Eis und hing direkt am ersten Mädchen. Ich stand mit meinem Bier an der Bar und fragte mich, was heute denn mit mir los sei. Ich fühlte mich nicht nur krank sondern auch nüchtern. Eigentlich eine besonders gemeine Mischung. Ich bewegte mich ein wenig zur Musik, kam aber überhaupt nicht in Partystimmung. Nach ein wenig Small-Talk auf der Tanzfläche zog ich mich wieder an die Bar zurück. Die Nacht schien langsam zu kippen. Normalerweise hätte ich mit einer Alkohol-Dosis-Steigerung reagieren können, aber selbst darauf hatte ich nicht wirklich Lust. Ich stand weiter an der Bar und beobachtete still das bunte und laute Treiben um mich herum. Ich hatte kurzzeitig das Gefühl, alle würden ein Stück von mir zurückweichen, ich fühlte mich nicht richtig anwesend, und selbst die laute Musik und das Geplapper der Leute kam mir plötzlich extrem leise und gedämpft vor, als würde ich einen Film ohne Ton sehen. Ich sah ein Pärchen vor mir an der Bar wild knutschen und hinter ihnen die Hände der tanzenden Meute in der Luft. Ich entdeckte Vincent am anderen Ende der Bar im innigen Gespräch mit einem anderen Mädchen. Alles war irgendwie surreal und weit weg. Ich wurde kurz ganz ruhig und entspannt und fand alles richtig und gut um mich herum. Ich fühlte mich irgendwie 'NICHT' – weder gut noch schlecht – einfach 'NICHT'. Normalerweise hätte ich den Drang verspürt, mit zu machen, zu trinken, zu tanzen oder Frauen anzusprechen, ein Teil zu sein von dem großen, sozialen Autoscooter um mich herum. Für den Moment hatte ich auf nichts davon Lust und es war komischerweise auch mal völlig in Ordnung so.

Als die Musik wieder lauter wurde, war mein Bier leer. Ich bestellte mir ein neues und gesellte mich zu einem Freund, an den Rand der Tanzfläche. Vincent kam noch einige Male vorbei, wippte ein wenig mit und beschwerte sich über die Damenwelt: „Was soll der Mist? Wieso haben die eigentlich alle einen Freund oder sind verheiratet? Und wenn die alle so glücklich und vergeben sind, warum sind sie dann nicht gefälligst zuhause und vögeln?“. Er wirkte ungewöhnlich aufgedreht und voll auf sein Ziel – Frauen - fokussiert.

Um 5:00Uhr hatte Vincent, nach eigenem Bekunden, jede interessante Frau im Club angesprochen. „Der Laden ist verbrannt“ meinte er kurz und unbefriedigt. Er wollte weiterziehen. Mir war es egal und so einigten wir uns darauf, uns wieder in die U-Bahn zu begeben und in unser gewohntes Revier zu fahren. Dort angekommen, hatte Vincent Hunger und wir gingen in unsere Lieblingspizzeria. Ich war inzwischen derart nüchtern, dass ich es kaum glauben konnte, und mir war klar, würde ich jetzt auch noch etwas Warmes essen, so wäre die Nacht für mich gelaufen. Wir aßen und amüsierten uns über den lautstarken Kampf der übermüdeten Pizza-Jungs mit dem betrunkenen Berliner Partyvolk.

Danach verabschiedete ich Vincent in die Nacht. Mir war völlig klar, dass er in den nächsten Club ziehen würde. Er war noch nicht fertig mit Silvester und den Frauen. Ich wollte in mein Bett. Und das zum ersten Mal seit langem, weder auf diese betrunken-kollabierende noch auf diese frustriert-unzufriedene Weise. Ich fand es völlig in Ordnung, entspannt nachhause zu gehen, statt noch eine Bar und noch einen Club, und darin mein 'Glück', zu suchen.

Zuhause angekommen war das Treppenhaus ein Schlachtfeld. Konfetti, Luftschlangen, Bierflaschen und einiges Unaussprechliches zierten die Stufen bis zu meiner Wohnungstür. Die Tür der WG unter mir, und die Tür der Mädchen-WG standen offen und dumpfes Techno-Gewummer kam aus beiden Wohnungen. Nein, auch das wollte ich mir nicht ansehen. „Man muss seinen Nachbarn ja auch noch mal in die Augen sehen können“ dachte ich mir, und dafür sollte man es vielleicht vermeiden, ihnen morgens um 7 auf Drogen, oder kotzend über ihrer Kloschüssel, zu begegnen. Verdammt! Geht es jetzt los? Werde ich jetzt doch noch erwachsen?



Gegen 15:00Uhr meldete sich heute Vincent bei mir. Ich war bester Laune und gerade damit fertig geworden, meine Küche zu wischen und meine Wohnung aufzuräumen. „Guten Morgen“ krächzte er in den Telefonhörer. Wie es denn noch gelaufen sei, fragte ich und nippte an meinem Kaffee. Er erzählte mir kurz von dem kleinen Techno-Schuppen in dem er gestrandet sei. 'FICKN' sei dort in großen Buchstaben, aus silbernen Luftballons, über der Bar gestanden. Das E war schon zerstört gewesen. Aber der Club hatte nicht halten können, was die Luftballons versprachen. Weder Ficken, noch Fickn war für ihn drin gewesen. Beziehungsweise, drin wäre es wohl schon gewesen, aber die zwei Mädels, die ihn dort noch morgens um 9 angetanzt hätten, wären ihm einfach zu durch und zu kaputt gewesen. Er hatte sie der Meute und der Nacht überlassen. Oder wem auch immer.

Ich bin heute den ganzen Tag nicht wirklich dahinter gekommen, ob es nur meine Erkältung war, die mir so die Energie genommen hatte, oder ob dieser ganze Club-Kram einfach von mir letztes Jahr etwas überstrapaziert wurde und daher stark an Reiz eingebüßt hat. Eigentlich ist es auch egal. Ich habe mich gestern Nacht, ganz ohne Vollrausch und ohne Frau, ziemlich zufrieden in mein Bett gelegt. Eigentlich deutlich zufriedener als in vielen Nächten davor. Das könnte ja auch eine Verbesserung sein. Scheiße, oder ich werde echt erwachsen!! Ich sollte das doch lieber beobachten. Wenn es nicht wieder anders wird, muss ich es wohl mit kalter Luft, lautem Punkrock, Zigarettenrauch und Alkohol behandeln. Mit solchen Alterserscheinungen ist nicht zu spaßen.


Ich wünsche euch allen ein großartiges 2014!



Elia