5. Juli 2013

Männername mit vier Buchstaben

Zuallererst muss ich mich wohl entschuldigen. Ich hatte in den letzten Wochen extrem viel um die Ohren und bin daher einfach nicht mehr zum Schreiben gekommen. Es gab einige schwierige familiäre Probleme, die sehr viel meiner Zeit in Anspruch genommen hatten. Dazu kommen Jobs die, bedingt dadurch, liegen geblieben waren und die ich so die letzten Wochen mehr vor mir hergeschoben als abgearbeitet hatte. Natürlich haben sich trotzdem einige lustige Geschichten zugetragen und ich habe, um sie nicht zu vergessen, inzwischen diverse angefangene Texte auf meinem Desktop liegen, die ebenfalls darauf warten 'abgearbeitet' zu werden. Da Familie und Job aber natürlich vorgehen, wird das wohl auch in den nächsten Wochen nur tröpfchenweise möglich sein.

Nicht nur meine Familie hatte mich in den letzten Wochen in die alte Heimat beordert, dazu kam noch, dass ein guter Freund meinte in den Hafen der Ehe einlaufen zu müssen und ich, kaum vier Tage in Berlin, schon wieder mein geliebtes Bett gegen Mutters Couch eintauschen durfte. Was ich bei solchen Anlässen in den letzten Jahren besonders deutlich vor Augen geführt bekommen habe, ist meine, mit zunehmendem Alter und fortdauerndem Singledasein, sich immer deutlicher manifestierende soziale Unverträglichkeit bei längerem, erzwungenem Zusammensein mit anderen Menschen auf engem Raum. Ich bin es nunmal nach über zehn Jahren des Alleine-Wohnens und fünf Jahren Singledaseins einfach gewohnt, den extremen Luxus der Einsamkeit zu genießen, wann immer meiner buckligen, kleinen, misanthropischen Persönlichkeit danach ist. Und das spüre ich und mein Umfeld in solchen Situationen schon nach wenigen Tagen. Ich erwische mich dann regelmäßig dabei, wie ich Freunde und Familie grundlos anfauche, kurze gehässige Bemerkungen in völlig unangebrachten Momenten mache (und zwar deutlich mehr als wenn es mir gut geht) oder vor mich hin schweige, bis sich mein Gegenüber mindestens so unwohl fühlt wie ich. Kurz, ich werde zum Ekel. Und ich bemerke es auch noch selber, kann aber nichts daran ändern. Ich bin wohl einfach nicht, oder nicht mehr, in der Lage auf Dauer mit jemand anderem eine Wohnung zu teilen. Wahrscheinlich ist das auch der Grund, warum ich in meinem Leben noch nie in Betracht gezogen habe, mit einer Frau zusammen zu ziehen. Dies wiederum hat mit Sicherheit, wenn man bedenkt wie Frauen auf längere Zeiträume des 'Sich-nicht-Weiterentwickelns' ihrer Beziehung reagieren, auch schon zu mehreren Trennungen beigetragen. Ein weiterer hässlicher Nagel zum Sarg meiner Träume vom glücklichen, jungen Pärchen mit der Altbauwohnung und den IKEA-Kindern!

Der Grund warum ich gerade kurz Zeit habe überhaupt zu Schreiben ist, dass meine beste Freundin, die mich traditionell und berufsbedingt immer zur Fashion-Week besuchen kommt, heute nach Potsdam geflohen ist, um meinem Familien- Hochzeits- und Job-gestressten Ekel-Ego aus dem Weg zu gehen. Wer kann es ihr verdenken? Wäre es möglich, würde ich mich momentan auch meiden. Als sie mich Anfang der Woche vom Flughafen abholte ging es mir kurzzeitig ganz gut. Ich war froh, der provinzigen, scheubeklappten Heimat entkommen und wieder in Berlin zu sein. Wir spazierten in bester Laune zu meinem Lieblingsthailänder um zu Abend zu essen.

Wie der ganze Bezirk, hat sich auch mein kleiner Lieblingsthai (liegt's an mir, oder klingt das strange?) in den letzen zwei Jahren extrem verändert und aus dem unscheinbaren Geheimtipp ist eine weitere Kantine für Berlins hippe Armee der Startup-Arschlöcher geworden. In Ermangelung einer Uzi müssen wir uns also damit arrangieren, dass kein Tisch mehr frei ist. Da wir ja aber in Berlin sind und das verdammt nochmal mein Thai ist, fragen wir einen, draussen allein an einer Bierbank vor sich hin schluffenden Studenten, ob wir uns dazusetzen können. „Klar“ sagt er freundlich, tolerant, weltoffen und vom Bildungsbürgertum in seiner schwäbischen Heimat dazu erzogen, als er die kleinen Maschinengewehre in unseren Augen sieht. Während wir noch über der DIN-A4-Faltkarte grübeln, setzt sich seine Freundin zu ihm. „Ey wie krass du hast jetzt echt die BZ mitgebracht, oder wie?“ sagt er grinsend. Ich hatte von den beiden auch eher eine taz erwartet, aber sie erklärt sofort, dass es in dem Kiosk gegenüber nix anderes gab. Puh. Das war knapp. Wie hätte er das nur ihren Lehrer-Schwiegereltern im Schwarzwald erklären sollen?

Während meine Freundin weiter die Karte studiert, kann ich es nicht lassen, unseren neuen Nachbarn beim Abendessen zuzusehen. Sie passt auf eine komische Art perfekt zu ihm. Er hat dunkle Haare und dunkle Augen, verzichtet aber auf eine Frisur und trägt stattdessen lieber alles eine Nummer zu groß. Sie ist blond, blass und auf eine komisch schlabbrige Art dünn. Sie sind beide nicht wirklich schlechtaussehend, weigern sich aber offensichtlich aus politischen Gründen etwas aus sich zu machen. Sie wirken beide gleich alt, gleich gestylt und gleich langweilig. Sie passen nicht wie ein Paar zusammen, das guten Sex hat, sondern eher wie Brüderchen und Schwesterchen. Warum verlaufen sich solche Leute nicht einfach mal im Wald? Warum haben solche Leute Beziehungen? Ganz einfach: Weil sie keine Ekel sind wie ich, sondern beim Essen nur lauter nette Gedanken haben, weil sie andere Leute nicht unangenehm lange beobachten und weil sie sicher schon lange zusammenwohnen. In einer schönen Altbauwohnung. Gleich auf der anderen Straßenseite. So jetzt aber erstmal was gegen den Hass machen. Der kommt vom Hunger. Ich gehe rein um zu bestellen.

Als ich wieder rauskomme sind die zwei schon am essen und haben die BZ neben sich aufgeschlagen. „Männername mit vier Buchstaben“ sagt sie. Zuerst denke ich es liegt daran, dass man ja unmöglich öffentlich eine BZ lesen kann, aber schon nach wenigen Minuten ist nicht mehr zu übersehen, dass die zwei wohl ziemlich regelmäßig Kreuzworträtsel zusammen machen. Und sie scheinen eine genau dosierte und angemessene Menge Spaß dabei zu haben. Ich frage mich, was das für Pärchen sind, die Abends Kreuzworträtsel zusammen machen. Ich hatte mal eine Freundin, die Abends immer Kniffel mit mir spielen wollte. Sie war Lehrerin, hatte einen Hund und wohnte in einer Art Reihenhaussiedlung in einem eher spießigen Stadtrandbezirk. Ich hatte zwei mal versucht mit ihr nach dem Gassigehen in der Küche Kniffel zu spielen, aber es machte mir keinen Spaß. Wir waren zwei Jahre zusammen und stritten uns in dieser Zeit kein einziges Mal. Dann machte ich mit ihr Schluss. Ich war ehrlich zu ihr. Ich sagte ihr, dass ich mich von ihr trennen müsse, weil wir uns nie streiten würden. Weil sie nie ausflippt, weil sie nie etwas kaputt macht, nie irrational wird oder Scheiße baut. Weil wir uns perfekt verstehen. Aber perfekt verstehen kann ich mich auch mit mir allein. Streiten kann ich mich nicht mit mir allein. Ich brauche Reibung. Ich bin selbst kontrolliert und, so weit ich das beurteilen kann, logisch. Was ich brauche ist jemand, der anders ist, oder sein kann. Irrational und chaotisch. Mich gelegentlich rausholt aus meiner Küche und nicht dort Kniffel mit mir spielen will. Oder wenigstens dort mit ein paar Tellern wirft, von mir aus auch nach mir. Ich stelle gerade mal wieder fest, dass meine Therapeutin eine Pfeife war.

Offensichtlich bin ich auch in dieser Hinsicht gestört, denn die zwei neben uns schienen ja ihr Glück gefunden zu haben. In sich und in Kreuzworträtseln. Es gibt diese Paare. Es gibt sie sogar zuhauf. Sie besiedeln in Berlin ganze Bezirke und bekommen dort, wenn sie nicht gerade Kreuzworträtsel lösen, ihre langweiligen Kinder. „Anderes Wort für Sprudelwasser mit vier Buchstaben“ sagt sie. Ich frage mich, wie solche Pärchen streiten? Oder streiten sie überhaupt? Wahrscheinlich nicht. Wahrscheinlich diskutieren sie es lieber in Ruhe aus, statt sich zu streiten. Das sind diese Art von Pärchen, die nach ihrer Trennung auch immer sofort beste Freunde sind. Total harmonisch und ohne Hassgefühle. Keiner bumst einen anderen und wenn dann ist es ganz offen und auch voll ok. Ich fand diese Trennungen und Menschen, die dazu in der Lage sind, schon immer pervers. Wie kann man sich denn bitte harmonisch trennen? Desto länger ich den beiden zusehen, desto unmöglicher erscheint es mir, dass sie sich überhaupt trennen. Ich versuche mir mit aller Kraft vorzustellen, wie so eine Trennung aussehen könnte. Aber alles was ich sehe sind die beiden, wie sie sich gegenübersitzen. Jetzt in einer noch größeren und noch schöneren Wohnung. Viele, viele ruhige, glückliche Jahre später und beide sind schon sehr alt. „Männername mit vier Buchstaben“ sagt sie in meiner Vorstellung.

„Hallo....?“

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