24. Oktober 2012

Berliner Deeskalationsteam

Da begann die neue Woche also mit einer argentinischen Handynummer in meinem Adressverzeichnis. Nun ja. Die Wochen hatten auch schon beschissener begonnen. Nur was jetzt tun? Anrufen? SMS schreiben? Erst mal liegen lassen? Der Sonntag hatte sich als Tag für gute Ideen sowieso erledigt, da man ja als Mensch mit mehr als 30 Jahren im Scheckheft bekanntlich für eine Nacht im Club meist mit einem Tag im Tal der Schmerzen bezahlen muss. Manchmal ist der Preis gerechtfertigt.

Am Montag beschloss ich, dass es Zeit war sich zu melden und vor allem herauszufinden, wie die junge Dame überhaupt nochmal hiess. Mir war inzwischen bekannt, dass SMS die dümmste aller Möglichkeiten ist, mit einer eroberten Nummer umzugehen. Trotzdem gibt es Momente, in denen der Daumen über die Vernunft siegt. Während des Jobs am Montag Nachmittag war es dann soweit. Mein Hirn sagt „Stop“ aber mein Daumen tippt schon mal fröhlich drauf los.

Ob sie die Nacht überlebt hat, ob sie vor allem die Oper überlebt hat und ob sie Lust auf den Fernsehturm oder ein Restaurant mit „Deutscher Küche“ (wir hatten uns über das Fehlen kulinarischer Sehenswürdigkeiten in Berlin unterhalten) hätte schrieb ich ihr und hoffte vor allem, dass unter ihrer Antwort ein Name und kein Kürzel stehen würde. Es kam..... Nichts. Keine Antwort. Kein Name. Kein Kürzel.

Bei einer Frau, die sowieso in absehbarer Zeit den Kontinent verlassen wird, hast du nicht wirklich was zu verlieren, dachte ich mir. Und auf dem Nachhauseweg in der U-Bahn beschloss ich einfach nochmal anzurufen. Möglich, dass eine SMS von meinem High-Tech-Handy (Ich habe alle meine Mobiltelefone von meiner kleinen Schwester mit den Worten geschenkt bekommen „Da, das kannste haben, das ist so uncool, damit kann ich nicht mehr rumlaufen“) auf einem argentinischen Handy, das gerade in Europa ist, einfach nie ankommt. Also rufe ich an. Sie geht ran. Wir knüpfen eigentlich sofort an die Stimmung an in der wir uns zwei Nächte zuvor unterhalten hatten. Ja, sie hat die Oper halbwegs überlebt. Nein, sie hat keine SMS von mir bekommen. Blablablabla. Meinen Vorschlag Essen zu gehen findet sie gut. Sie schlägt vor mir eine E-Mail zu schreiben. Die sollte zumindest auch ankommen. Ihr Telefon kann sowas anscheinend. Die Idee finde ich wiederum gut. Wir verabreden uns für den nächsten Abend und ich soll ihr die Details per Mail schicken.

Am Abend bekomme ich eine E-Mail. Sie schreibt mir nicht nur ihren Namen (YES!), sondern auch gleich noch ihren WhatsApp-Namen (Was?), Skype-Namen (ok...) und Facebook-Namen (Das Mädel scheint im Internet vertreten zu sein...). Ich habe kein Facebook und weiß nicht ganz genau was WhatsApp ist, adde sie aber mal sicherheitshalber auf Skype. Außerdem schreibe ich ihr die Adresse des Restaurants in das ich mit ihr gehen will und schlage ein Treffen vorher am Alexanderplatz vor. Sie schreibt sie findet die Idee super und erkundigt sich, was für Schuhe sie anziehen soll, sie hätte hässliche bequeme oder schöne unbequeme. Ja, ja, Frauen.... Die unbekannten Wesen...

Am nächsten Tag treffen wir uns, wie verabredet, am Alex und fahren gemeinsam in das Restaurant. Die Unterhaltung läuft von Anfang an gut. Wir bestellen und reden über dies und das. Sie erzählt viel über sich und ihre Familie. Über ihre Hobbys, Haustiere und Vorlieben. Ich hatte sie hübscher in Erinnerung, aber sie ist immer noch deutlich über Durchschnitt. Ich schiebe es auf den fehlenden Alkohol. Was so ein bisschen Symmetrie-Verschiebung alles ausmacht.
Wie auch immer. Der Abend wird länger. Nach dem Essen gehen wir noch in eine Bar. Das Gespräch läuft super aber das Mädel erscheint mir nerdiger und nerdiger. Die zwei Hunde und eine Katze als Haustiere lasse ich mir noch eingehen. Die Wochenenden vor dem Piano mit den Hunden als Publikum gehen auch noch so durch. Auch dass sie, wenn sie weggeht, nur mit ihren Jungs saufen geht, keine Mädchen als Freunde hat und tanzen scheiße findet lasse ich gelten. Stutziger macht mich die Vorstellung, dass sie vier Mal im Jahr für längere Zeit alleine in die Berge wandern geht. Was sie mir aber wirklich hätte vorher sagen können ist, dass sie nicht nur anscheinend eine große Fangemeinde als Figur in einem Online-Rollenspiel hat, sonder dort auch schon seit langer Zeit verheiratet ist (also in dem Rollenspiel) und viele ihrer Freunde auch nur über dieses Spiel kennt....
Bingo! Ich habs mal wieder geschafft, die freakigste Tante in dem ganzen Laden aufzureissen! Wahnsinn. Mein Psycho-Radar hat sich ein weiteres Mal auf großartige Weise selbst übertroffen.

Sie wird im Laufe des Abends immer redseliger und zeigt mir ne knappe Stunde lang Fotos von der ganzen Familie, Freunden und Bekannten inklusive dazugehöriger Haustiere auf ihrem Streichel-Telefon. Irgendwann ist es 2:00 und mir wird bewusst, dass ich morgen sehr früh aufstehen muss. Ich zahle unsere Drinks und frage sie reichlich direkt, ob sie noch mit ins Taxi zu mir nachhause steigen will.

I: Ok, i´ll take a Taxi to my place. You wanna come with me?

S: Why?

Sie kichert. Hm... Die Reaktion kenne ich noch von meiner beknackten Kuss-Frage.
Naja... Komische Fragen verlangen bekanntlich komische Antworten.

I: Because you are leaving Berlin in two days. So...... We have not so much time left.

Ich weiss nicht mehr genau, wie sie geantwortet hat. Auf jeden Fall ist sie nicht mit zu mir gefahren. Stattdessen habe ich sie für den nächsten Abend zu mir nachhause zum Essen eingeladen. Was sie ohne zu zögern für eine super Idee hielt. Und so verabredeten wir uns für den nächsten Tag.

Auf dem Weg nachhause war ich mir schon nicht mehr wirklich sicher, ob aus der Nummer überhaupt noch mal was wird bzw. ob ich eigentlich das, was man aus der Nummer machen könnte, überhaupt haben will. Ich hatte das Gefühl sie sei nicht uninteressiert, aber extrem schüchtern. Die Tatsache, dass sie übermorgen wieder fliegen würde, machte eigentlich nur zwei Wege für diese Situation denkbar. Entweder eine kurze, nette Bettgeschichte, oder eine lange komplizierte Fernbeziehung. Zweiteres reizte mich inzwischen in Bezug auf dieses Mädchen überhaupt nicht mehr und so blieb eigentlich nur Variante eins. Diese würde aber, wenn sie überhaupt klappen sollte, eine schnelle Eskalation erfordern. Ich hatte meine Zweifel an uns beiden. An mir, ob ich das bringen würde – ich merkte wie von meiner Seite seit dem Kennenlernen auch das körperliche Interesse an ihr deutlich abnahm – und an ihr, ob sie das zulassen würde – sie schein wie gesagt was Männer, oder besser gesagt Menschen im allgemeinen, betrifft extrem vorsichtig zu sein.


Unser Date am nächsten Abend begann nett mit Whisky und Kochen bei mir. Nettes Gespräch, nette Atmosphäre, nettes Mädchen. Und Nett, das wissen wir ja alle, ist eben vor allem die kleine, hässliche Schwester von Scheisse.
Und so kochten wir und assen und tranken und quatschen. Ich war müde von dem wenigen Schlaf, den ich in der Nacht davor bekommen hatte und wurde langsam aber sicher auch immer müder. Was sie wiederum anscheinend vor allem dazu ermunterte fleissig weiter zu trinken und immer wieder (das kannte ich ja schon von ihr) regelmässig zu betonen, dass sie wirklich üüüüüberhaupt nicht müde sei. Great.
Irgendwie war ich weder müder genug, um das Date zu beenden noch fit genug um mich ausreichend um körperliche Eskalation zu kümmern und so schaffte ich es zwar, sie nach dem Essen und Trinken in Mein Schlafzimmer zu lotsen, dort gab ich dann aber erst Mal der übermächtigen Mutter Gravitation nach und machte es mir auf meinem Bett bequem, während sie anscheinend nach längerer Suche den tatsächlich am weitesten vom Bett entfernten Punkt des Zimmers gefunden hatte. Und so stand sie da. An der Wand gegenüber. Und wir unterhielten uns weiter.
Was für eine behinderte Situation.

Als sie sich offensichtlich sicher war, dass ich weder vorhatte mich jetzt auszuziehen noch sie zu verspeisen setzte sie sich schließlich doch zu mir aufs Bett. Und als das Gespräch, die Stimmung, meine Energie und der Abend nach einer weiteren Stunde den absoluten Nullpunkt, das Gewicht meiner Augenlieder dafür aber den absoluten Höhepunkt erreicht hatten und ich eigentlich schon am Überlegen war, wie ich dem Ganzen jetzt ein Ende setzen könnte für das ich mich im Nachhinein nicht bei allen Autoren der PickUp Literatur die ich bisher gelesen hatte persönlich entschuldigen müsste, beschloss mein erster großer Aufriss, dass jetzt doch der richtige Moment wäre um sich entspannt zurückzulehnen, ihren Kopf auf meine Schulter zu legen und auszuprobieren, ob der kleine, blasse Mann mit den leuchtend roten Augen neben ihr denn vielleicht noch genug Saft in den Batterien für eine ausgiebige Runde Latin-Love hätte.

Ich hatte ihn nicht. Oder vielleicht hätte ich ihn gehabt und sie hätte mich danach, wie eine Spinne ihr Männchen nach dem Sex, auch gleich verspeisen können, auf jeden Fall wollte ich ihn ihr nicht geben. Nicht jetzt. Nicht um (schon wieder!) 2:00Uhr Nachts, wo ich doch morgen wieder um 6:00 raus musste. Und so tat ich nichts. Ausser mich zu fragen, wie ich sie jetzt charmant in ein Taxi bekommen würde. Und natürlich, ob ich verrückt geworden sei. Ob mir überhaupt noch zu helfen sei. Da hatte ich seit zwei Jahren keinen Sex gehabt, seit zwei Monaten eine PickUp-Schlacht gegen alle meine inneren und äusseren Schweinehunde geführt, hatte dieses Mädel eine Nacht nach Strich und Faden „gebabysittet“, wie Mystery sagen würde, hatte wie aus dem Bilderbuch „getimebridget“ um sie wieder daten zu können. Hatte sie belabert, „attracted“, gefüttert und bespaßt als ob es kein Morgen gäbe. Und jetzt? Jetzt lag sie neben mir in meinem Bett. Das „HB“ aus dem Club von vor 3 Tagen. Bis hierhin hatte ich es geschafft. Und alles was ich jetzt wollte, war schlafen. Nicht mir ihr. Sondern wie ein Baby. Schlafen.

Mir war nicht mehr zu helfen. Ich gab auf. Sie betonte tatsächlich noch ein letztes Mal wie „üüüüüüüüüüüberhaupt nicht müde“ sie sei und dann sagte ich ihr, dass ich ihr jetzt ein Taxi rufen würde. Brachte sie zur Tür und wartete mit ihr auf das Taxi. Drückte sie und küsste sie zum Abschied auf die Wange. Sagte ihr wie schön es war sie kennengelernt zu haben undsoweiterundsoweiter. Schloss die Tür ging in mein Schlafzimmer, fiel ins Bett und schlief sofort ein.

Am nächsten Morgen dachte ich beim Kaffee darüber nach, was da schief gelaufen war. Ich fand nur eine für mich schlüssige Erklärung: Ich hatte ein Mal gelesen, dass das weibliche und das männliche Gehirn bei der Partnerwahl genau andersherum vorgehen. Männer ersetzen alles, was sie noch nicht über die Partnerin wissen mit einem positiven „Ja“ (sie wird sicher nett sein, sie wird sicher gut im Bett sein, sie wird bestimmt Humor haben...) wohingegen Frauen erstmal alle unbekannten Variablen mit einem „Nein“ beantworten. Daraus ergibt sich, dass Männer erst im Laufe des Kennenlernens von ihrer Positiven Wahl zu einer Negativen umgestimmt werden können, wohingegen Frauen sozusagen erstmal Nein sagen und sich dann für den Partner, oder von ihm, überzeugen lassen.
Anscheinend hätte es in der Mitte dieses Drei-Tage-Dates vielleicht einen Punkt gegeben, an dem wir hätten miteinander schlafen sollen. Dieser war dann wohl kurz bevor ich sie irgendwie zu anstrengend und zu nerdig fand um mit ihr etwas anzufangen und kurz bevor sie mich interessant genug fand um mit mir etwas anzufangen.

Wir hatten ihn leider verpasst. Er muss sehr kurz gewesen sein.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen